Il Corsaro
Spektakuläre Schweizerische Erstaufführung einer Rarität von Giuseppe Verdi
Opernhaus Zürich, 22. November 2009
Dirigent: Eivind Gullberg Jensen – Inszenierung: Damiano Michieletto – Bühnenbild: Paolo Fantin - Kostüme: Carla Teti - Lichtgestaltung: Martin Gebhardt Eindrückliche zwei Stunden
Der Premierenabend war kurz aber eindrücklich. Durch eine reine Spielzeit von nur eineinhalb
Das 1848 zur Zeit der europaweiten Revolutionen und der italienischen Unabhängigkeits- und Einigungsbestrebungen in Triest uraufgeführte dreiaktige „Melodramma tragico“ handelt vom tragischen Schicksal von Corrado, einem Anführer von Piraten (die man im Mittelmeer als Korsaren bezeichnete). Mit Hilfe der Sklavin Gulnara entgeht er dem vom Sultan Seid verhängten Todesurteil. Das unausweichliche Schicksal trifft ihn aber mit dem Tod seiner Geliebten Medora, und Corrado stürzt sich ins Meer.
Byron - Verdi
Verdis Librettist, Francesco Maria Piave, basierte die Oper auf der italienischen Übersetzung von Lord Byrons Verserzählung „The corsair. A tale“ von 1814, die zugleich Byrons autobiografischste ist. Im Interview ist zu lesen, daß Regisseur Michieletto - offensichtlich inspiriert durch Byrons Verserzählung - zwei Aspekte mit seiner Inszenierung beleuchten will: Die Verdeutlichung des Konflikts zwischen Corrado und der Gesellschaft und die Frage, was es bedeutet, Korsar zu sein. Die Antwort finden Michieletto in dem Zeit seines Lebens skandalumwitterten Byron selbst, der sich als Gesellschaftsrevolutionär stark mit seinem Korsaren identifizierte. Michieletto ging allerdings nicht so weit, die Oper als reine Autobiographie Byrons zu inszenieren, sondern verbreitete den Mythos Byron als Stimmung, etwa im ersten Bild, als Corrado als rastloser Poet auf seinem Schreibtisch im Meer schwimmt oder durch Giovanni, Corrados Kompagnon, der bei seinen Auftritten in der Gestalt Byrons die Verserzählung wie ein Drehbuch an der Bühnenrampe mitzulesen scheint.
Byrons Konflikt mit der Gesellschaft wird vor allem im 2. Akt verdeutlicht, nachdem Corrado seine Geliebte Medora verlassen hat, um die Auseinandersetzung mit Seid und seinem Gefolge zu provozieren, die die neue Schicht von sehr reich gewordenen Unternehmern und Bankiers während der ersten Industrialisierung anfangs des 19. Jahrhunderts repräsentieren und gegen die der einsame Nonkonformist Byron mit Skandalen verschiedenster Art rebellierte. Unendlichkeit des Meeres Szenisch werden der autobiografischen Aspekt, der Konflikt mit der Gesellschaft und letztlich die
Zusammen mit der ästhetischen und einfallsreichen Lichtgestaltung von Martin Gebhardt ergeben sich vor allem am Anfang sehr eindrückliche und spektakuläre Bilder. Die in Farben und Materialien unterschiedlichen Kostüme (rot, lila, schwarz. Stoff, Latex) von Carla Teti gaben auffälligen Kontrast.
Sängerfreundliches Dirigat
Der norwegische Dirigent, Eivind Gullberg Jensen, liefert nach einem vor vielen Jahren in Costanza (Rumänien) dirigierten Rigoletto mit seiner zweiten Verdi-Operngesamteinspielung eine sehr gute Leistung ab. Die Ouvertüre gelingt ihm und dem sehr guten Züricher Opernorchester nach Startschwierigkeiten in den Streichern lyrisch, rhythmisch und schmissig. Der neue Chefdirigent der NDR-Radiophilharmonie Hannover zeigte dann auch, wie angenehm sängerfreundlich ein Dirigat gestaltet werden kann. Gullberg Jensen ging bei den Tempi auf die Sänger ein und nahm das Orchester oft zurück, so daß die Stimmen auch bei den Pianostellen nie Gefahr liefen, zugedeckt zu werden. Insgesamt war es eine eher lyrische Herangehensweise, die gut mit der Inszenierungsidee harmonierte. Einzig die Akzentuierungen in den Pianostellen könnten deutlicher und Crescendi noch stärker sein, ansonsten gelangen die vielen schwungvollen Effekte des jungen Verdi. Die Anfangsnervosität dieser wichtigen Premiere war dem öfter Mißklänge produzierendem Orchester und den Bühnenpersonen, die zudem alle ihre Rollendebüts durchliefen, zu Beginn jeweils unterschiedlich anzumerken: Tempo-Unstimmigkeiten und Forcieren (Grigolo), Schleppen (Scorsin), kürzerer Atem (Mosuc), weniger Stimmbrillanz (Giannattasio), starkes Vibrato (Pons). Dies legte sich allerdings sehr rasch bei allen Beteiligten. Das Bühnenbild erwies sich als sehr vorteilhaft für die Stimmen, da die geneigte Spiegeldecke die Stimmen wie ein Trichter verstärkten.
Großartig: Vittorio Grigolo und Carmen Giannattasio
Der Protagonist, Vittorio Grigolo, hat als Corrado (Corsar) mit seiner wunderschönen und durch die in
Der im Oktober in Barcelona mit der Goldmedaille des Liceo ausgezeichnete Juan Pons in der Rolle des Seid war leider der musikalische Schwachpunkt an diesem Abend. Darstellerisch noch immer die Szene beherrschend, ist seine obere Lage dünn geworden. Wie schon im April, kurz nach seiner Bypass-Operation, in der Traviata an der Seite Netrebkos, als er nach der ersten Vorstellung ersetzt werden mußte, hatte man auch hier den Eindruck, er würde sich durch die anspruchsvolle Partie quälen und die Stimme in den höheren Lagen Gefahr laufen, wegzubrechen. Pons nahm die Stimme zwar rechtzeitig zurück und konnte mit einer guten Einteilung seiner geringen Kondition am Schluß noch ein energisches „Tremate“ seiner Gulnara entgegenschleudern, aber es bleibt ihm zu wünschen, daß er die Folgevorstellungen, sowie die danach angesetzten Nabucco und Trovatore gut durchsteht. Mit einer verhalten innigen Darstellung und brillanter Tongebung bestach Elena Mosuc in der relativ kurzen aber schwierigen Rolle der Medora, Corrados Geliebter. Sie sang ihre „Auftritts“arie im Liegen, in einem Bett, das neben Corrados Schreibtisch im Wasser schwamm. Man hielt den Atem an, ob Bett und Schreibtisch kollidieren, sich verhaken oder die ferngesteuerten Motorantriebe versagen würden. Giuseppe Scorsin als Giovanni, Corrados Kompagnon, hatte leider nur wenig Gelegenheit, seine schöne aber vibratostarke Baßstimme erklingen zu lassen.
Nebenrollen gut besetzt
Die Nebenrollen waren durch Mitglieder des Internationalen Opernstudios sehr gut besetzt: Shinya Kitajima als Selimo und Pablo Ricardo Bemsch (un schiavo), der eine wunderschöne Baritonstimme präsentierte. Besonders aufhorchen ließ Michael Laurenz Müller (Eunuco) mit einem kurzen aber äußerst souveränen Auftritt: Schöner Tenor, kraftvoll fokussiert wie eine Trompete. Merkzettel!
Stimmgewaltig konnte sich auch der Chor (Einstudierung Jürg Hämmerli) in Szene setzen, v.a. beim Auftritt von Seids Gefolge im 2. Akt. Gekleidet in (Latex) Frack, Zylinder und mit gewelltem grauem Haar, teils mit Bart, erinnerten einige der Vertreter der neuen Schicht aus Unternehmern und Bankiers unweigerlich an Verdi, wie man ihn von einem seiner berühmtesten Portraits kennt. So war nicht nur Byron, sondern auch der wegen Streitigkeiten mit seinem Verleger bei der Uraufführung abwesende Verdi in der Schweizerischen Erstaufführung auf der Bühne vertreten.
Die Harems(Chor)damen, anfangs gekleidet in roten Latex-Ballkleidern, hatten einige szenische Herausforderungen zu meistern. Möglicherweise war dies der Grund, warum in der Haremsszene zu Beginn des 2. Aktes nicht so präsent und akzentuiert gesungen und erst danach zur gewohnt starken Leistung gefunden wurde.
Die fesselnden und vor allem zu Beginn der Inszenierung zahlreich vorhandenen Regieideen nehmen zum Ende hin ab. Dies zeigte sich zunächst zu Beginn des 3. Aktes, in dem Juan Pons in seiner musikalisch ohnehin wenig wirkungsvollen Arie, in der er sich über seine untreue Gulnara beklagt, relativ konventionell über die Rampe bringen muß und noch mehr im letzten Bild, in der Todesszene des Korsaren, als der Protagonist lediglich aus dem Bett steigt und sich ins Wasser kniet. Wahrscheinlich wäre genau hier eine packende Regieidee nötig gewesen, um dieser spektakulären Produktion auch eine letztlich emotionale Wirkung zu geben.
Spektakuläre Bühne
Das eher konservative Züricher Publikum applaudierte allen Beteiligten, vor allem Grigolo, Giannattasio und Lokalmatadorin Elena Mosuc und auch dem Regieteam, das kaum Buhrufe einstecken mußte. Redaktion: Frank Becker |