Musikstunde

Eine Plauderei über Dieter Bohlen und die GEMA

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstundestunde

Eine Plauderei über Dieter Bohlen
und die GEMA



Den derzeitigen Regengüssen bin ich ja beinahe dankbar, da geht man doch nicht vor die Tür, da bleibt man zu Hause und liest die Musenblätter. Deshalb: einen bersonders schönen guten Morgen, liebe Freunde meiner musikalischen Plaudereien.
 
Jetzt aber möchte ich endlich zu einem Thema kommen, das mir jedes Mal sauer aufstößt, wenn ich den norddeutschen Labskaus im Fernsehen sehe, das stärkste Brechmittel auf zwei Beinen, die menschgewordenen Antiperistaltik, Dieter Bohlen, einer, der – wie man früher im Knast gerne sagte – auch besser im Tempo geblieben wäre. Sei’s drum. Sauer stößt er mir auf, weil er zu den Großverdienern dank der GEMA gehört. Und das gibt mir Gelegenheit, einmal dieses unerfreuliche Thema hier in der Musikstunde zu beleuchten.
 
E-Musik, U-Musik, Jazz, Pop - da sind wir schon mitten in der Bredouille, das Dilemma eines ganzen Jahrhunderts haucht uns an und es wird einem schlecht, weil dieses Dilemma schwersten Mundgeruch hat. Wissen Sie, wer es schuld ist, daß es diese Unterscheidung überhaupt gibt? Nicht die Musiker, nicht die Komponisten, nicht die Rundfunkredakteure oder die Schallplatten-Hengste. Nein, diese Unterscheidung, die so vielen Konzertgängern, Musikern, Veranstaltern und Komponisten schon Kopfzerbrechen ohne Ende bereitet hat, kommt von der GEMA, und das kam - im Prinzip - so:
Richard Strauss, der seine Verluste im Skatspiel nicht immer von den Konzerteinnahmen decken konnte, hatte folgende Idee:
 
Ich dirigiere meine, sagen wir mal Salome, hier in München, dafür kriege ich Dirigenten- und Aufführungshonorar. Jetzt wird meine Salome am selben Abend in Berlin aufgeführt, da fällt das Dirigentenhonorar schon mal flach, weil ich nicht so lange Arme habe. Das Aufführungshonorar kriege ich dann, wenn die Berliner mir sagen: (schnodderig)
„Tach, Herr Strauss, wir haben hier ihre Salome aufgeführt und auch wenn es keinem gefallen hat, kriegen Sie anbei Ihr Aufführungshonorar in Höhe von soundsoviel Mark, ersatzweise aber aus Mangel an Geldmitteln infolge inflationärer Verwirrungen, denen die staatliche Gelddruckerei nachzukommen leider nicht in der Lage ist, als Brikett bei Brikett-Juhnke in der Kantstraße 34 a, 7. Hinterhof, abzuholen nach Bezug eines Brikett-Abhol-Berechtigungsscheins, der beim Bezirksamt Plötzensee jeden Freitag morgens zwischen halb sechs und 5 Uhr 30 früh gegen Vorlage einer Ausstellungs-Bewilligung eines Brikett-Abhol-Ermächtigungsscheins, die beim Ergänzungs-Bezirks-Kommando Wedding jeden Freitag ab 5 Uhr 30 früh abgeholt werden kann, vorausgesetzt, man hat den Nachweis der Residentschaft in Berlin-Mitte erbringen können, was für bayerische Staatsbürger nur gegen Vorlage eines Brikett-Außenlagerungs-Berechtigungszertifikats seitens des bei der preußischen Regierung akkreditierten bayerischen Militärattachés möglich ist, der seinerseits dazu jeden Freitag ab 11 Uhr 30 ermächtigt ist, es sei denn, die Weißwürste sind noch nicht geliefert, mit der Einschränkung, daß, sofern es sich um die Brikettierung des Aufführungshonorars infolge  einer kulturellen Leistungerbringung handelt, diese nachgewiesen werden muß durch die Vorlage eines Programmabdruckes des Direktors des Hauses, in dem diese kulturelle Leistung erbracht worden ist, sofern es sich um eine staatliche oder städtische Institution handelt, oder durch die Vorlage der Anzahl der in Anspruch genommenen Garderobenmarken, bestätigt durch die Bescheinigung der Zulassung einer öffentlich zugänglichen Garderobe durch die örtliche Ordnungsbehörde in Zusammenhang mit einer Bescheinigung der Korrespondenz der Anzahl ausgegebener Garderobenmarken mit der vorhandenen Sitz- und Stehplatzzahl durch den Vertreter der staatlichen Finanzverwaltung bei der zuständigen Bezirksbehörde, akkreditiert durch den Vertreter der Meldebehörde, falls es sich bei den diese kulturelle Leistung erbringenden Künstler um ortsansässige Künstler handelt oder akkreditiert durch die Vertreter der ausländischen Botschaften, falls es sich bei den diese kulturelle Leistung  erbringenden Künstler um nicht ortsansässige Künstler handelt, sofern der Nachweis der Residentschaft in Berlin-Mitte durch die jeweiligen bei der preußischen Regierung akkreditierten Militärattachés der den Brikett-Abol-Berechtigungsschein ausstellenden Behörde vorliegt, welche Bescheinigung aber vor dem die Brikettierung des Aufführungshonorars berechtigenden Ereignis an der zuständigen Behörde eingereicht sein muß, andernfalls sie in Entfall kommt, was zum Wegfall der Folgeberechtigungen, damit aber  zum Ausfall der Brikettierung des Aufführungshonorars und somit zum Nicht-Fall der Auszahlung von Honoraren in jedweder Form führt.“
(wieder bayerisch) Das ist aber nur für den Fall, daß die Berliner mir überhaupt melden, daß sie meine Salome aufgeführt haben. Wenn sie mir das aber nicht melden, bin ich gepitscht.
 
Daß das nicht sein darf, war als Erkenntnis der Schritt von einem verlorenen Solo zum anderen. Also ist der Richard Strauss vom Skat-Tisch aufjestanden und hat jesagt: „so geht das nicht weiter, jeder Komponist, der aufgeführt oder auf Schallplatten reproduziert wird, soll für jede Aufführung und für jede Schallplatte, die verkauft wird, ein Honorar erhalten. Und damit das klappt, gründen mir die GEMA, die soll dann überall gucken: was wird aufgeführt, was wird verkauft, soll die Hand aufhalten und uns das Geld auszahlen.“
Gesagt, getan. Erstmal hat alles funktioniert, Berlin hat die Salome gemeldet und vier Jahre später hat die GEMA dem Richard Strauss drei Briketts in den Keller geschaufelt. Nur: jetzt nahm das überhand. Schallplatten etc. pp. sorgten für Aufruhr bei den Beamten von der GEMA. Weil: Salome ist eine Komposition, die dauert zwei Stunden. Schön. "Mein Papagei frißt keine harten Eier" ist auch eine Komposition, dauert aber drei Minuten. Salome: drei Briketts. "Papagei": drei Briketts, da kann doch was nicht richtig sein. Und den GEMA-BEAMTEN dämmerte die Erkenntnis: es gibt Musík und Músik. Musík ist Salome, Músik ist Papagei. Und schon war das Dilemma mit E- und U- Musik in der Welt. Mit weitestreichenden Folgen. Um nur einige Beispiele zu nennen:
Kleiderordnung:
Salome, also E-Musik, nur im Anzug oder Frack.
Papagei, also U-Musik,: egal.
Salome: Rauchverbot.
Papagei: Bauchladen, Zigarren, Zigaretten, alles.
Salome: Essen nur in der Pause.
Papagei: Hämchen, Gulasch, normal.
Salome: flirten nur mit Opernglas.
Papagei: Geh'n wir zu Dir oder zu mir?
Salome: 80 Mark Eintritt.
Papagei: ich wollt nur mal gucken.
Salome: Sex nur auf der Bühne
Papagei: keine harten Eier.
Salome: mehr als eine Aufführung pro Abend, sprich drei Brikett, geht nicht.
Papagei: 30 mal am Abend? Kein Thema! Gleich 90 Briketts!
 
Also irgendwas stimmte da nicht, was dazu führte, daß man flugs großes und kleines Recht einführte. Großes Recht (gleich drei Briketts) für das Dicke, Kulturtragende, für Salome also, kleines Recht (gleich 0.03 Briketts) für das Kleine, Unterhaltende. Und schon war die Welt in Brüchen. Hier das wertvolle E, da das geringgeschätzte U. Und obwohl DonaU-Eschingen beides enthält (was die Extrem- Partituren-Climber in Donaueschingen noch nie realisiert haben!), hat sich das durchgesetzt, weil die Deutschen gerne Schublädchen haben, auf denen draufsteht, was drin zu sein hat: hier nur E und da nur U. Wobei auch immer klar ist, daß das E-Schublädchen eine geheime Klappe hat, wo man zum U-Schublädchen durchgreifen kann - wenn es keiner sieht. Aber das kennen wir ja von Beamten-Schreibtischen: das Fach, in dem die Wiedervorlage ist und das Fach, in dem der Sechsämtertropfen wartet!  Im Prinzip wäre da ja gar nichts dagegen zu sagen, Dieter Bohlen ist mit Sicherheit nicht Karlheinz Stockhausen, auch wenn beide gleich gerne mit Verona gespielt hätten (gut, bei Quaddel-Naddel sieht es wieder anders aus!), wenn das alles nicht dazu geführt hätte, daß sich die Anzugträger aus der E-Schublade immer weiter von den Jeans-Trägern aus der U-Schublade entfernt hätten. Und plötzlich war es wie die Frage: Normaler Glauben oder Protestant? Und so weit darf es mit der Musik nicht kommen. Wo wären denn da noch die Kriterien? Ist Ludwig's 'Wut über den verlorenen Groschen' wirklich E oder nicht doch ein bißchen U? Gounods Ave Maria über dem Bach'schen C-Dur-Präludium, das soll E sein? Da fliegt mir ja der Kiefer tiefer! Stockhausens 'Gesang der Jünglinge im Feuerofen' ist zwar sicher E, weil es ernsthaft weh tut, im Feuerofen zu stecken, aber wie ist es mit seinem Streichquartett, wo jeder Musiker in einem Hubschrauber sitzt? Das es doch sicher U, weil es Spaß macht, oder?! Oder: Telemanns Tafelmusik! Wenn es E ist, heißt sie zwar so, aber ich darf nix essen. Isses aber U: Her mit dem Hämchen, aber der Telemann kriegt nur 0.03 Briketts dafür, is auch nicht richtig, oder?! Oder: isses U, wenn Jimi Hendrix in "Star spangled banner" die amerikanische Nationalhymne so interpretiert, daß einem in dem Moment die Pervertierung des Freiheitsgedankens auf Kosten Vietnams so klar wird wie durch kein Buch, keine Oper, keinen Film, so, daß dir die Tränen kommen, weil du spürst: hier hat eine ganze Nation sich selbst in den moralischen Untergang katapultiert, und das in ein paar Minuten Musik, und das wäre weniger E als Pendereckis Lukas-Passion oder Verdis Requiem? Nee, is nix, das bleibt U und nur 0,03 Briketts!  Oder isses U, wenn  die Rolling Stones im 'Mothers little Helper' das Dilemma einer ganzen Elterngeneration auf den Punkt bringen, die sich ob der Ratlosigkeit der neuen Generation gegenüber und der Anforderung, daß jetzt auch Mami arbeiten muß, also angesichts des Umbruchs in der Lebensgestaltung einer ganzen Epoche, mit Pillen und Tranquilizern wegbeamen und damit eine Generation von Kindern vor die Situation gestellt haben, entweder allein mit dem Leben zurecht zu kommen oder zu verrecken, eine neurotische Entscheidung, an der wir heute alle noch zu knapsen haben - is das wirklich U? Das soll weniger wert sein als John Cages Klavierdeckelzuklappen? Ich glaub mich hacken se! Hätte es das damals schon gegeben, wir würden heute Brahms als Jazzer feiern (2er und 3er!), Paganini als Al di Meola der Geige, Chopin als Chet Baker am Klavier, Liszt als Madonna, Beethoven als The Who, Schumann als Carlos Santana, Mendelssohn als Scott Joplin, Bach als Duke Ellington und Mozart als...gut, da gibt es nix. Aber einer muß ja die Ausnahme sein! Nee, das kann es nicht sein. Tatsächlich haben Komponisten, Musiker und überhaupt Ausübende nie das Problem mit U und E gehabt. Weder Kurt Weill, noch Friedrich Hollaender, weder Pavarotti (nur das Warten auf das hohe C macht sein Ausbleiben zum Ereignis!) noch Richard Tauber, weder...die Liste ist beinahe um jeden Namen, den es in der Musik überhaupt gibt - sofern es sich um wirkliche Musiker und Musikerinnen handelt - ergänzbar. Auch Stravinsky - den solche Kriterien als Komponisten nie interessiert haben (wenn ihn etwas interessiert hat, dann Geld) - gehört dazu. Die wirklichen Musiker hat immer nur eines interessiert: Musik zu schreiben, zu machen, die diesen Namen verdient.
 
Und da sind wir beim Kern der Sache: Musik ist zum Glück eine Sprache, die sich dem Gehirn und damit all den Verführungen, die der Wahrheit das Leben so schwer machen, entzieht. Musik ist die einzige Sprache der Menschheit, die Lüge nicht verstecken kann: in dem Moment, wo ich Musik höre, weiß ich, ob es wahr ist oder gelogen. Da gibt es keine Grammatik und keine Regeln, da gibt es keine Sprachgrenzen und keine Nationalitäten: sobald Töne erklingen, weiß ich: ja oder nein. Und das ist etwas vom Größten, was Menschen möglich ist. Ist das nicht wunderbar?
 
 
Ihr
Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker