Über sieben Brücken

"Willkommen im Paradies" - Ein Gastspiel der Stuttgarter Komödie im Marquardt in Essen

von Frank Becker
SCHAUSPIELBÜHNEN
IN STUTTGART
Ein bißchen Frieden
"Willkommen im Paradies"
Eine Ost-West-Revue von Ulf Dietrich

Inszenierung: Ulf Dietrich - Arrangement: Hans Christian Petzoldt - Musikalische Leitung: Uli Schreiber - Bühnenbild: Charles Copenhaver - Kostüme: Monika Seidl - Choreographie: Marga Render - Fotos: Jürgen Frahm
Besetzung: Stephanie Theiß (Elisabeth Schaeffler) - Harald Pilar von Pilchau (Thomas Schaeffler) - Tom Schimon (Mark Schaeffler) - Ingeborg Stüber (Margot Tanner) - Michael Hiller (Egon Tanner) - Katja Uhlig (Angela Tanner) - Jutta Habicht (Christine) - Axel Weidemann (Kurt) - Katharina Leisinger (Juanita)


Eine Insel mit zwei Bergen...

Mallorca 1990, im Jahr der Fußball-WM, Hotel Paradiso.
Mit der Melodie "Eine Insel mit zwei

Ein schöner Tag... (Ensemble) - Foto © Jürgen Frahm
Bergen" aus Michael Endes "Jim Knopf" beginnt ein musikalischer Reigen von Gassenhauern zum Mitsummen; Hans-Christian Petzoldt hat zu den Spielszenen des luftigen Boulevardstücks passend die Stücke ausgesucht.
Im späteren "17. Bundesland" des zu diesem Zeitpunkt noch nicht wiedervereinigten Deutschland kommt es zur historischen Begegnung der Luxus gewohnten, überdrehten Familie Schaeffler (West) und der treudeutsch spätsozialistischen Familie Tanner (Ost). Daß das "Clubhotel" eine Bruchbude am Rande des Ruins ist, wird bald offenbar. Allerdings können  die Tanners aus historischen Gründen mit dem Mangel besser umgehen als die Schaefflers. Autor und Regisseur Ulf Dietrich jongliert gefährlich mit Klischees, was zunächst so aussieht, als könne es durchaus ins Peinliche abrutschen. Dank der flotten Inszenierung und des  temperamentvollen Ensembles, das musikalisch von Uli Schreiber und choreographisch von Marga Render bestens eingestellt wurde, entwickelt sich die kleine Revue jedoch zu einem amüsanten Spiel mit den Eigenheiten, die sich in vier Jahrzehnten in zwei deutschen Staaten entwickelt haben. "Muddi" aus Dresden putzt das Hotelzimmer und Obermotz Schaeffler liebt das Beschwerdebuch.

Wir tragen die blaue Fahne



You sexy thing... - Foto © Jürgen Frahm
Passend zur ersten Ost-West- Begegnung (bevor es zu den zu erwartenden komplikationen kommt) erklingt das Lied der Diebels-Reklame, Mario Jordans "Welch ein Tag", und die Liebesgeschichte der Tochter (Ost) mit dem Sohn (West) wird stimmungsvoll mit dem Roxette-Hit "For the very first time" eingeläutet. Hier zeigt sich Katja Uhlig zum ersten Mal als veritable Popsängerin in den erstklassigen stimmlichen Gleisen von Olivia Newton-John. Sie wird das später eindrucksvoll unterstreichen und zum heimlichen Star der Aufführung avancieren.
Aber auch andere kommen zum Zug, denn Ulf Dietrich hat punktgenau besetzt. Das versteht sich, daß die Wessis die Hymne von Geier Sturzflug anstimmen "Wir steigern das Brutto-Sozialprodukt" und die Ossis das Lied der jungen Pioniere "Wir tragen die blaue Fahne" - und beinahe hätte der ganze Saal mitgeklatscht (so leicht verführbar sind die Deutschen eben, wenns auf Eins geht oder nach Marsch klingt). Eine hübsche Idee ist auch Nicoles "Ein bißchen Frieden" (Jutta Habicht) zur handfesten Rauferei zwischen den Familien zum Schluß des 1. Aktes.

Plus für die Ossis

Unbedingt hervorzuheben sind die Choreographien, in denen alle Mitspieler neben ihrem Gesangstalent hervorragende tänzerische Eigenschaften und Disziplin beweisen. Der Sommerhit "Macarena" ist einer davon, der zum "Go East" umgemodelte Village People Hit "Go West", ein anderer und der Knaller schlechthin ist "You Sexy Thing" á la Hot Chocolate. Das bekommt hier drei Sterne! "Babbas" Ruf nach "Freiheit" hat durchaus Substanz und Karel Gotts "Einmal um die ganze Welt" erscheint gleich in ganz anderem Licht. Natürlich darf bei einer solchen Begegnung ein Hit nicht fehlen, der aus dem Osten kommend (Karat) auch den Westen erobert hat (Maffay). Den sang Ingeborg Stüber (als geborene Westdeutsche eine wunderbare Dresdnerin) und tat sich Ehre damit an. Überhaupt: ein Plus für die drei "Ossis", deren einzig echter Michael Hiller ist, ein sächsischer Komödiant, der einen Wolfgang Stumph allemal an die Wand spielt. Zu loben sind auch die Kostüme, die Monika Seidl treffsicher gewählt hat - zwanzig Jahre "danach" gar nicht mehr so leicht.


Ensemble - Foto © Jürgen Frahm

Paradies mit Happy End

Nach allerlei Verwicklungen und Verwechslungen finden sich die Protagonisten in doch etwas krude ausgedachter Konstellation zum Happy End, zumindest beim jungen Liebespaar liegt es auf der Hand. "Willkommen im Paradies" ist mit leichter Hand gemachte, hübsche Unterhaltung. Wer sich mal von all dem Grau entfernen und einen unbeschwert heiteren, pointenreichen Abend erleben möchte, geht ins Essener Theater im Rathaus. Das Stück wird als Gastspiel der Stuttgarter "Komödie im Marquardt" dort noch bis zum 30. November en suite gespielt.

Weitere Informationen unter: www.theater-im-rathaus.de und www.schauspielhaus-komoedie.de