Ein Abend im Mahler-Himmel

Auf den Götterflügeln von Steven Sloane - Hymne und offenes Wort

von Peter Bilsing
Mahlers Achte - E lucevan le stelle -
Ein Abend im Mahler-Himmel


auf den Götterflügeln von Steven Sloane
und den himmlischen aufspielenden
Bochumer Symphonikern
 
...und ein offenes Wort über die Probleme der Stadt Essen,
zur Historie der Neuen Philharmonie zu stehen.
 

Einmaliges Konzert am 31.Oktober 2009
 
Samstag, der 31.Oktober 2009, 20 h: Das vielleicht größte Konzertereignis seit Neueröffnung der Essener Philharmonie (ehemaliger Saalbau) im Jahre 2004 steht an. Mahlers 8., die Sinfonie der Tausend, steht als krönender Abschluß des Essen/Bochumer Mahler-Zyklus vor der Vollendung.
 
Da sich mittlerweile herumgesprochen hatte, daß Dirigent Steven Sloane und seine Bochumer Symphoniker quasi zum Geheimtip in Sachen Mahler avanciert sind, geht es draußen zu, wie in Bayreuth – Dutzende Besucher halten Zettel mit der Aufschrift „Karte gesucht“ hoch. Allein die vier Chöre beanspruchen immerhin gut 350 Plätze auf dem Orgelpodium hinter dem Orchester. Diese sonst zur Verfügung stehenden Zusatzplätze fehlten den Konzertfreunden doch sehr. Aber man hätte sicherlich ohne Probleme noch einen zweiten, wenn nicht dritten Abend ausverkaufen können, lägen nicht die Kosten auf so hohem Niveau. Schade!
 
Wer das Glück hatte, dabei zu sein, erlebte das Konzert seines Lebens. Schöner, ergreifender, moderner und formvollendeter wurde dieses Wahnsinnswerk selten gespielt. Es sah so aus, als wenn alle Musiker ihr Leben für diesen Dirigenten und das Werk geben würden. Besser habe ich es nie gehört – ob live oder auf Konserve. Einfach ungeheuerlich diese Spannung! Und auch der gut 20-minütige Dauerbeifall war in Essen Rekord – da sprangen die Zuhörer spontan auf und jubelten ohne Ende. Zu Recht. Was war das für eine Interpretation! Strahlende Gesichter, manche ob der Schönheit und absoluten Perfektion des Gehörten mit nachvollziehbaren Tränen in den Augen. Man dankte vor allem den Chören: Opern- und Extrachor des Aalto, Philharmonischer Chor Essen und dem Aalto Kinderchor Essen, die vom fleißigen Alexander Eberle nicht nur brillant eingespielt, sondern auch koordiniert worden waren. Eine exorbitante Leistung des Chordirektors, der für diese Aufgabe nicht etwa gesondert freigestellt worden war, nein, er hatte auch noch drei Wiederaufnahmen am Aalto-Theater parallel zu bewältigen. Bravissimo! Großes Lob auch für die Solisten, die sich so grandios wie einfühlsam integrierten: Claudia Baraisnky, Twyla Robinson, Christiane Karg, Alexandra Petersamer, Daniela Sindram, Robert Dean Smith Thomas Ollimans und Andreas Hörl.
 
Immerhin kommt die „Sinfonie der Tausend“ im Landschaftspark Duisburg im Rahmen der Ruhrtriennale bzw. des Kulturhaupstadt-Essen-Spektakels noch einmal im Jahr 2010, dann aber als gigantische Kirmes-Musik mit gleich mehreren Orchestern der Region und grob geschätzten 451 Chören vom Niederrhein. Wer „Hänschen klein“ in mindestens zwei Oktavsprüngen singen kann, ist dabei! Daß diese Guiness-Buch-Veranstaltung natürlich nicht der beste Mahler-Dirigent aller Zeiten leiten würde, war klar (Anmerkung: Gemeint ist natürlich nicht Bernstein, denn der ist ja schon tot –

Steven Sloane - Foto © Rudolph
sondern ich dachte an Steven Sloane!). Nein, ein berühmterer und teurerer Dirigent aus der obersten Liga soll extra eingeflogen werden, wie verlautet. Sloane darf nur die Vorarbeiten (Proben, Koordination…etc.) leisten. Ja, so geht man mit verdienten Leuten in diesem unserem Lande um! Bei dem, was er bisher geleistet hat, hätte man ihm den Ruhm dieses Giganto-Konzerts doch großzügig gönnen können.
 
Immerhin eröffnete Richard Strauss 1904 den damaligen Saalbau in Essen schon mit der Uraufführung von Mahlers 6. Sinfonie, historisch gesehen kann man also auf eine bedeutende musikalische Tradition zurückblicken. Von der 2004er Eröffnung bis heute hat Sloane nun alle Mahler Sinfonien vorbildlich eingespielt, und es ist sehr zu bedauern, daß der großspurig überall anwesende WDR diese einmaligen Musikereignisse nicht wenigstens als Klangdokumente aufgezeichnet hat. Denn es ist anzunehmen, daß der größte und reichste Landessender WDR mit seinen immerhin 29 Hauptabteilungsleitern auch hochqualifizierte klassische Musikredakteure beschäftigt, die den außergewöhnlichen Wert dieser Sloane-Konzerte ebenfalls erkannt haben. Stattdessen langweilt man die Hörer weiter mit diversen Müsli-Diskussionsabenden und den von der großen Schallplatten-Industrie wohlplazierten Berieselungs-CDs. So etwas wäre „Bayern 4 Klassik“ nicht passiert! Beschämend für einen so omnipotenten Sender!
 
Was in der kleinen Feierstunde nach diesem Prachtkonzert unterlassen wurde, war der unendlichen Mühe und Leistungsfähigkeit Michael Kaufmanns zu danken, der für solch Ausnahmemusiker nicht nur Aug und Ohr, sondern auch das Haus geöffnet hatte, statt sich allein auf sogenannte Old-Stars zu verlassen - weil man mittlerweile wohl den Namen des hinausintrigierten großen Ex-Intendanten Kaufmann, der dies alles in die Wege und Wiege geleitet hatte, anscheinend in der Essener Öffentlichkeit (nach alter Stalinmanier, sic !), nicht mehr erwähnen darf. Kaufmanns Name wurde überall liquidiert, Methoden, wie wir sie sonst nur aus totalitären Staaten kennen. Übel, übel…
 
Beispiel? Dann lesen Sie mal, was unter „Profil der Essener Philharmonie“ im Internet steht - Zitat: Ganz grundsätzlich stehen die „In Residence“-Künstler für den Anspruch des jungen Hauses, das Essen auf die Landkarte der bedeutendsten musikalischen Zentren der Welt zurückgebracht hat: In den vergangenen Spielzeiten waren dies die großen zeitgenössischen Komponisten Mauricio Kagel, Wolfgang Rihm, Jörg Widmann, HK Gruber, und Pascal Dusapin sowie die weltberühmten Dirigenten Christoph Eschenbach, Kurt Masur und Christophe Rousset. Weitere „In Residence“-Künstler wie Frank Peter Zimmermann, Christian Tetzlaff, das Ensemble Wien-Berlin, Heinrich Schiff und das Petersen Quartett trugen zur Profilbildung der jungen Philharmonie Essen weiter bei. Ein besonderes Augenmark verdient auch der Jazz: Carla Bley und Abdullah Ibrahim sowie Uri Caine, Joachim Kühn und der Trompeter Dave Douglas sorgten mit ihren „In Residence“-Auftritten für zahlreiche außergewöhnliche Highlights.“. Lesen Sie da irgendwo den Namen „Kaufmann“ (Intendant von 2004 – 2008), der für dies alles organisatorisch und initiativ verantwortlich war? Der sich für den mittlerweile weltweiten Ruhm dieser Philharmonie ursächlich zeigte? Nein! Was für eine Schande und was für ein Skandal! Und so hielt sich auch der derzeitige Intendant Dr. Johannes Bulthaupt an den unausgesprochenen „Maulkorberlaß“ und erwähnte die große Vorarbeit seines Vorgängers Kaufmann in Sachen Mahler-Zyklus mit keiner Silbe. Wie peinlich und wie klein…
 
Wünschen wir der so viel gescholtenen Pleite-Metropole Essen, daß man zukünftig solchen Provinzialismus überwinden möge und sich Europa und der Welt in demokratischer Toleranz und ehrlicher Anerkennung von Leistungen öffne. Das größte Fest feiert die Metropole am 18. Juli 2010 immerhin, wenn auf der A40/B1 von Dortmund bis Duisburg ein 60 Kilometer langer Tisch die Bewohner der gesamten Region (nicht nur die Edlen und Auserwählten) zu einer Tafel der Kulturen, Nationalitäten und Generationen zusammenbringt und unzählige Autofahren in den Selbstmord drängen wird! Dies könnte zum emotionalen Gründungsmoment der Metropole Ruhr werden – fürwahr. Alles Gute fürs Kulturjahr 2010!
 
Redaktion: Frank Becker