Vollmond

Ein Stück von Pina Bausch (Inszenierung und Choreographie) - Wiederaufnahme 2009

von Jürgen Kasten

Szene aus "Vollmond" - mit Jorge Puerta Armenta
September 2008 - Foto © Jochen Viehoff
Vollmond
Ein Stück von Pina Bausch
(Inszenierung und Choreographie)
 


Bühne: Peter Pabst - Kostüme: Marion Cito - Musikalische Mitarbeit: Matthias Burkert, Andreas Eisenschneider - Mitarbeit: Robert Sturm, Daphnis Kokkinos, Marion Cito - Bühnenbildassistenz: Alexandre Corazzola - Kostümassistenz: Jo van Norden – Fotos: Jochen Viehoff, Laurent Philippe, Jong Duk Woo
 
Musik von:
Amon Tobin, Alexander Balanescu mit dem Balanescu Quartett, Cat Power, Carl Craig, Jun Miyake, Leftfield, Magyar Posse, Nenand Jelić, René Aubry, Tom Waits (als CD beim Tanztheater erhältlich).
 
Die Tänzerinnen und Tänzer:
Pablo Aran Gimeno, Rainer Behr, Silvia Farias Heredia, Ditta Miranda Jasjfi, Dominique Mercy, Nazareth Panadero, Helena Pikon, Jorge Puerta Armenta, Azusa Seyama, Julie Anne Stanzak, Michael Strecker, Fernando Suels Mendoza.


Wiederaufnahme während der Dreharbeiten zu "Pina"

Gesehen habe ich die Wiederaufführung des relativ neuen Stückes (Premiere am 11.05.2006) im Opernhaus Wuppertal am 31.10.2009. Vor dem Beginn betrat Wim Wenders die Bühne und entschuldigte sich für sein aufwendiges Kameraequipment, das fast ein Drittel des Parketts einnahm. In weiser Voraussicht wurden die Sitzreihen dahinter frei gelassen. Trotzdem nahm der Kamerakran vielen die Sicht. Dafür gelten die Eintrittskarten auch für die Premiere des Filmes „Pina“. (Voraussichtlich im Herbst 2010 in Wuppertal uraufgeführt).
 
Die Bühne, von Peter Pabst gestaltet, zeigt sich zunächst minimalistisch: hinten rechts ein großer Felsbrocken, ein stetig ansteigender Bach im Hintergrund, ansonsten alles schwarz. Später verwandelt sich die Bühne in eine rauschende Regenlandschaft, vor und unter der die Tänzer agieren. 12 Tänzer und Tänzerinnen aus der Fülle ihrer großen Compagnie hatte Pina Bausch für diese Inszenierung des Tanztheaters Wuppertal aufgeboten, das jetzt unter der künstlerischen Leitung von Dominique Mercy und Robert Sturm steht. Vollmond, dieser Titel stand von vornherein fest, ist ein mitreißendes Stück. Pina Bausch hat sich mit dieser Choreographie weiter vom Theater entfernt, wieder mehr dem Tanz zugewendet. Eindrucksvolle und ausdrucksstarke Soli sind es dann auch, die den Abend prägen.

Für Verliebte und Mondsüchtige

Vollmond – eine Nacht der Sehnsüchte, auf der Suche nach Zärtlichkeit, Hingabe, sich dem Himmel

Azusa Seyama - Foto: Tanztheater Wuppertal
© Jong Duk Woo
entgegen strecken, Hoffen auf das Unerwartete. Vollmond – eine Zeit des Kräftemessens, des Kampfes, sich selbst in den Mittelpunkt stellend, eine Nacht für junge Leute, Verliebte und Mondsüchtige.
Grandseigneur Dominique Mercy brilliert mit einem seiner ekstatischen Soli, kommt auf allen Vieren auf die Bühne gerannt, einer Gorillapose ähnlich. Mit weitausgreifend zuckenden Bewegungen findet er zum aufrechten Gang, deutet klassische Tanzschritte an. Später will er sich den versunken tanzenden Paaren zugesellen, erwartungsfroh zwei Sektgläser schwenkend. Die jungen Leute beachten ihn nicht.
Nazareth Panadero stellt einen Stuhl in den Raum. „Bei Vollmond muß man für die Geister einen Platz freihalten“, lacht sie. Ditta Jasjfi versucht ein krampfhaftes Lachen. Es wird ein quälendes Schluchzen und Schreien, endet dann aber doch in einem befreienden Gelächter. „I am beautiful, I am young“, verkündet Azusa Seyama selbstbewußt.
Fröhlich, leicht und luftig scheint alles zu sein; spielerisch einfach sehen selbst die akrobatischen Sprünge der Tänzer aus; meditativ sanft die Stimmung, wenn eine Frau in einem Schlauchboot den Bach entlang treibt.
 
Geschlechterkampf, doch jetzt mit Lächeln

Doch der „berühmter Geschlechterkampf“ ist latent vorhanden, wie immer bei Pina Bausch. Die Männer wollen dominieren. Gewaltsam halten sie die Frauen auf, wollen sie festhalten, treiben böse Scherze mit ihnen. Hingehaltene Sektgläser füllen sie bis zum Überlaufen, schütten den Rest über die Frauen aus. Die nehmen es lächelnd hin. Fernando Mendoza will Julie Stanzak auf die gleiche Art bedienen. Sie erstarrt jedoch zu einer leblosen Statue. Achselzuckend zieht er ihr das schwarze Kleid über den Kopf, wie mit einem Totentuch bedeckt, wendet sich gleichmütig ab.
Perfide sticheln die Frauen zurück: Azusa läßt Michael Strecker ihren Büstenhalter öffnen, zählt die Sekunden und lacht ihn aus, weil er zulange braucht. Fernando nähert sich neugierig einer stumm dastehenden Frau, die ihn mit einer wilden Kußserie zurück treibt. Julie hält huldvoll vier Herren ihren nackten Arm hin. Besitzergreifend beißen sie hinein. Lustvoll lächelnd genießt sie es.
Viele kleine Szenen zwischen den Soli, die jeder der Tänzer und Tänzerinnen hat, vom Publikum spontan beklatscht.


Ensemble - Foto: Tanztheater Wuppertal © Laurent Philippe
 
Ein Bilderrausch

Der zweite Teil dann dichter in der Abfolge der Tänze, drängender die Musik. Die Compagnie findet kurz zu einer Gruppe zusammen, tanzt synchron diagonal über die Bühne.  Regen fällt vom Bühnenhimmel. Die Tänzer wirbeln hindurch, Wassertropfen stehen gleißend im Mondlicht. Lauter wird die Musik, hämmernd, immer schneller die Tänzer. Wasser wird gegen den Felsen geschleudert, Fontänen verwandeln die Bühne in eine gigantische Wasserlandschaft. Der Bach schwillt an. Alle Tänzer tanzen nun stehend, liegend oder sitzend im Wasser. Ein Bilderrausch, der alle Sinne beansprucht, eine fulminante Wasserschlacht, ein grandioser Schluß.
Pina Bausch wäre zufrieden, wenn nicht gar stolz ob dieser Vorstellung. Die Tänzerinnen und Tänzer wissen es. Erschöpft nehmen sie den nicht enden wollenden Applaus entgegen. Die Nässe ihrer Gesichter rührt nicht nur vom Wasser her.
 
Weitere Informationen unter:  www.pina-bausch.de

Redaktion: Frank Becker