Zeitlos gegen die Scheinheiligkeit

Ingeborg Wolff inszeniert für das TiC Dario Fos Farce „Bezahlt wird nicht“

von Frank Becker
Zeitlos, deftig, witzig
 
Ingeborg Wolff inszeniert für das TiC
Dario Fos Farce „Bezahlt wird nicht“
 


Inszenierung
: Ingeborg Wolff – Bühne: Sandra Beckmann – Kostüme – Gela Banerjee - Fotos: Andreas Fischer
Besetzung: Sabine Henke (Antonia) – Beate Rüter (Margherita) – Jean-Philippe Ili (Giovanni) – Ilja Enkaschew (Luigi) – Andreas Wirth (Polizist/Carabiniere) – Wolfgang Sprotte (Leichenbestatter/Alter)
 
 
Sozialkritik hautnah
 
Bezahlt wurde natürlich artig, denn die Besucher der ausverkauften Vorstellung im „Theater in

Ili, Henke - Foto © A. Fischer
Cronenberg“ wollten keine Revolution, sie wollten sich amüsieren. Dieses Ziel wurde mit der treffsicheren, zwar zeitlosen, doch elegant T-Euro-zeitangepaßten Inszenierung der herrlichen Farce Dario Fos, mit der die Schauspielerin Ingeborg Wolff ihren Regie-Einstand im TiC gab, glänzend erreicht. Der Volksstück-Charakter der ernsten Komödie wurde dabei spritzig ausgearbeitet. In dem intimen kleinen Theater ist der Zuschauer so hautnah dabei, daß er beinahe unvermeidlich Teil einer solchen sozialkritischen Thematik wird - die räumliche Nähe zum Schauspiel läßt den Funken überspringen, das Problem setzt sich einem sozusagen auf den Schoß.
 
Turbulenzen mit Pfiff
 
Zur Zeit sozialer Unsicherheit und Unruhe (1974) hatte der nachmalige Nobelpreisträger (1997) Dario Fo sein Stück über kleine Leute geschrieben, die ehrlich zu sein versuchen, sich dann aber zur

Ili, Enkaschew - Foto © A. Fischer
Auflehnung gegen die unverschuldete Armut mit Diebstahl wehren. Die Grundnahrungsmittel werden unerschwinglich, der Supermarkt wird geplündert – bezahlt wird nicht! Das Heft des Handelns nehmen dabei die Frauen in die Hand: sie sind es, die den brav am Fließband malochenden Männern Essen auf den Tisch bringen müssen. Also tun sie, was zu tun ist, wenn auch „dämlich“. Die resolute Antonia (Sabine Henke) kommt mit etlichen Tüten Diebesgut nach Hause und macht die zögerliche Nachbarin Margherita (Beate Rüter) zur Mitwisserin. Daß in der Hast der Plünderung neben Reis und Nudeln auch Vogel- und Hundefutter zur Beute gehört, wird im Lauf der turbulenten Geschichte für viel zusätzlichen Witz sorgen. Denn die Frauen müssen nicht nur ihre Männer, sondern auch der Polizei hinters Licht führen. Kuriose Küchenzettel, scheinbare Schwangerschaften und aberwitzige Ausreden sorgen für ein Feuerwerk an pfiffigen Pointen.
 
Die Scheinheiligen
 
A. Wirth - Foto © A. Fischer
 
Jean-Philippe Ili gibt den liebenswert ehrlichen Tölpel Giovanni, fern ab von revolutionären Ideen, dem seine resolute Gattin Antonia eindeutig über ist, wenngleich aus sie in ihrer alltäglichen Empörung nicht allzuweit über ihren sozialen Horizont blickt – während die bekümmerte Margherita ("...und ich war nicht dabei!") ihren langsam denkenden Luigi (Iljas Enkaschew ist ein komödiantische Offenbarung) gerade so in Schach halten kann. Daß die beiden Männer sich im Verlauf des Geschehens der inneren Revolution anschließen, ist nicht zuletzt dem biederen Stadt-Polizisten (Andreas Wirth) zu verdanken, der sich im Gegensatz zum überheblichen schnauzbärtigen Carabiniere (ebenfalls Andreas Wirth) als verkappter Sympathisant des Aufbegehrend gegen die Knechtschaft der Herrschenden entpuppt.  

Ein deftiger Spaß

Mit fühlbarer Spielfreude, stetig hohem Tempo und grandios witzig setzte das stimmig besetzte

v.l.: Rüter, Henke, Enkaschew, Wirth, Ili, Sprotte - Foto © A. Fischer
Ensemble den von Dario Fo mit deftigem Schalk entworfenen grotesken Slapstick der haarsträubenden Situationen inklusive wilder Verfolgung durchs Theater um. Die Scheinheiligen der Arbeiterklasse, die Vertreter der Staatsmacht und die Verlogenheit der bürgerlichen Moral werden auf den Punkt genau ad absurdum geführt. Was Dario Fo 1974 vor dem ernsten Hintergrund der italienischen Krise und des staatstragenden Katholizismus mit beißendem Witz skizzierte, sieht heute unter Berlusconi und Benedikt wohl kaum weniger dramatisch aus und bedarf ebenso der Pritsche des Narren. Ingeborg Wolff ließ beide nicht ungeschoren davonkommen und brachte Benedikt eins ums andere Mal zum Wackeln. Ein deftiger Spaß.
 
Weitere Informationen unter: www.tic-theater.de