Über die Post

von Erwin Grosche

Foto © Frank Becker

Über die Post
 
Ich hatte einmal Partei ergriffen für die Post. Ich weiß, daß es wenige Gründe gibt, für die Post Partei zu ergreifen, aber ich mag meinen Briefträger und dachte, ich sei es ihm schuldig.
     Ich hatte allerdings nicht mit solchen Reaktionen meines Hintermannes gerechnet. Eine gute Beziehung zu meinem Briefträger ist es mir doch nicht wert, mich seinetwegen so anschreien zu lassen. Auf jeden Fall ergriff ich also gerade für die Post Partei, als mein Hintermann konterte: »Ich will Ihnen mal was sagen, Sie Postsymphatisant. Daß die sich nicht schämen mit ihren ekelhaften, klebrigen Briefmar­ken, die man auf einer Seite ablecken kann, als wäre man eine Kuh, und auf der anderen Seite kann man sich an Moti­ven erfreuen wie HUNDERT JAHRE FISCHER-CHÖRE, als wenn die alle Platz finden würden auf so einer klei­nen Stempelfläche, oder HUNDE BRAUCHEN BÄUME, und beim Ablecken der Marke denkt man sofort, die ha­ben ihre Duftmarken auf diesem gezackten Zwergenpflas­ter hinterlassen, oder LECK MICH - 5° JAHRE DEUT­SCHE SCHIMPFWÖRTER mit einer Po-Motivmarke, und schnell wird noch einmal alles abgeschlabbert, ähbäh, und ab geht die Post.«
     Ich sag' Ihnen ganz ehrlich, da schrie jemand, der mit der Post seine Schwierigkeiten hatte. Ich stand einfach weiter­hin vor ihm, hielt meine Paket und meine Paketkarte fest, rückte manchmal auf und hörte zu:
     »Und dann diese unerträgliche Sturheit und Langsam­keit der Post. >Soll das ein Eilbrief werden?<
     Ich sterbe. Daß die sich nicht schämen, mit ihren kleinen Briefmarken auf erwachsene Menschen zuzugehen und da­für auch noch Geld zu verlangen. Sitzen die da den ganzen Tag mit ihren gelben Posthintern auf kleinen schwarzen Stempelkissen, und wenn dann ahnungslos eine Sonder­marke vorbeischleicht, wird die dann mal eben mit großen Zungen abgeleckt und abgeschleckt, von oben nach unten, von links nach rechts, und dann kommt noch der dicke fette Stempel drauf und das genau auf das Gesicht der Dichterin für 1 Euro 44. Und ZACK Luise Hensel eins in die Fresse gehauen und ZACK Droste-Hülshoff voll auf die Stirn und ZACK Ingeborg Bachmann auf die gelben Raucherfinger geklopft und ZACK Christa Wolf auf den Himmel gedon­nert, daß er sich teilt, und ab geht die Post und schnell in den Keller damit, und was dann passiert, das möchte ich gar nicht wissen, so gut vorstellen kann ich mir das, oh Postungeheuer.«
     Das war die Stelle, wo ich mich dann aus der Schalter­schlange 1 entfernt hatte, und mich lieber in die Schlange am Schalter 2 einreihte. Aber auch von dort hörte ich die Haßtiraden des Mannes, der nun nur noch mit sich selbst zu sprechen schien, obwohl alle zuhörten.
     »Was die sich am Postschalter immer für eine Zeit neh­men. Zuerst wird dort allen die große Briefmarkensamm­lung gezeigt, mit Motiven aus der ganzen Welt, und dann wird geschlabbert und gestempelt, was das Zeug hält, von oben nach unten, von links nach rechts, wie es sich für Be­amte gehört. Klar. Danach wird stolz mit den gelben Autos herumgejuckelt, mit dem Arm aus dem Fenster, wie Herr Sonnengott persönlich. Natürlich wird ab und zu auch an­gehalten, wenn sich der Postkasper mal wieder bequemt hat, einen Postkasten zu entdecken, »Herr Sparbier!« und später wird dann gemeinsam Postkarten gelesen, mit 'nem Bikinimädchen auf der Rückseite, und der Bundespräsi­dent auf der Briefmarke lächelt dazu.«
     Ich kam schließlich an die Reihe und war froh, das Post­gebäude verlassen zu können, in dem mein ehemaliger Hin­termann den Grund seines Kommens vergessen hatte und nun direkt auf den Postbeamten losging:
   »Mir fehlen ihre gelben Paketkarten. Gut, die neuen sind weiß und selbstklebend, aber wozu haben Sie schließlich Ihre Zunge?«
     Der Postbeamte schaute ihn nur an und schloß dann sei­nen Schalter und machte Mittagspause. Ich hörte im Hin­ausgehen meinen ehemaligen streitbaren Hintermann laut auflachen und dauernd diese Sätze wiederholen: »Stellen Sie sich nicht an, stellen Sie sich an. Sie sollen sich nicht anstellen, Sie sollen sich anstellen!«
     Da habe ich auch ein wenig lachen müssen. Vielleicht ist es das, was die Post so liebenswert macht. Sie bringt uns so oft zum Lachen, dass wir sie eher der Unterhaltungsindus­trie zuordnen sollten anstatt der Dienstleistungsbranche.
 
 
 
© Erwin Grosche – Veröffentlichung aus „Der Warmduscher-Report“ mit freundlicher Genehmigung