Schlagt ihr den Kopf ab!
Anna Bergmann inszeniert in Bochum einen nicht enden wollenden Alptraum frei nach Lewis Carroll
Premiere am 1. Oktober 2009
Regie: Anna Bergmann – Bühne: Ben Baur – Kostüme: Claudia González Espíndola – Musikkonzept: Heiko Schnurpel – Puppenbau: Suse Wächter – Licht: Bernd Felder – Fotos: Hans Jörg Michel Besetzung: Maja Beckmann (Alice) – Steffi König (Alice als Kind) – Martin Horn (Charles Dodgson, Kaninchen u.a.) - Martina Eitner-Acheampong (Mutter, Königin u.a.) – Sebastian Kuschmann (Vater, König) – Alexander Maria Schmidt (Bruder 1, Hutmacher u.a.) – Simon Böer (Bruder 2, Schlafmaus u.a.) – Christoph Jöde (Bruder 3, Humpty Dumpty u.a.) – Philipp Plessmann (Schmeichelkatze u.a.) – Claudia Acker (Storch, Reh u.a.)
Surrealistisches Tableau Was Lewis Carroll (d.i. Charles Ludwidge Dodgson, 1832-1898) in seiner phantastischen Erzählung „Alice in Wonderland“ 1865 noch mit der lakonischen Bemerkung „Ach, ihr seit ja nur ein paar blöde Karten“ und einem Federstrich auflöst, wächst sich in dem 1872 nachgelegten „Through the Looking-Glass and What Alice Found There“ (Alice hinter den Spiegeln) zu einem veritablen Psycho-Drama aus. Anna Bergmann hat für das Schauspiel Bochum die Motive Carrolls in der
Bergmann geht ans Eingemachte
Was Sigmund Freud und nach ihm C.G. Jung gegen die Widerstände der Pädagogik und Schulmedizin zum analytischen Standard machen konnten, scheint Lewis Carroll in den Alice-Romanen, angeblich für Kinder ins Gewand einer märchenhaften Geschichte gekleidet, vorausgefühlt zu haben. Im Kern seiner Erzählungen steht wie bei Freud und Jung und wie in der Bochumer Inszenierung die Frage nach dem Ich beim Blick in den Spiegel: „Wer bist du?“. Daß eine schlüssige Antwort ausbleiben muß, liegt auf der Hand. Daß Anna Bergmann die quälende Frage nach einer Schuld an den seelischen Befindlichkeiten der (Märchen-) Figuren drauflegt, erhöht den Leidensdruck. Wer sich also ins
Das Publikum im ausverkauften Haus konnte sich bei Saal-Licht lange in einem Spiegel betrachten, der als Portal in die Mitte des Eisernen eingelassen war, bis ein blondes junges Mädchen auf sehr hohen Absätzen den Spiegel nach innen schiebt und damit einen Weg in ein Spiegelkabinett öffnet. Alice (Maja Beckmann) nimmt den unfreiwilligen Kampf gegen die Qualen einer Alptraum-Welt auf. Die Rezeption hat immer wieder Dodgson der Pädophilie geziehen, wozu seine Aktphotographien sehr junger Mädchen Anlaß genug gaben. Anna Bergmann nimmt zu einer Zeit, in der immer häufiger Meldungen über Kinderpornographie, den jahrelangen Mißbrauch von Töchtern durch ihre Väter und brutal behandelte oder vernachlässigte Kinder die Schlagzeilen beherrschen, ein 1865/72 vielleicht noch unverdächtiges Thema mit deutlicher Zielsetzung auf.
Das Puppenspiel - ein genialer Wurf
Das wunderliche Traum-Land hinter den Spiegeln, in das Alice unter dem seelischen Druck und der körperlichen Bedrängnis durch die Eltern (Martina Eitner-Acheampong und Sebastian Kuschmann)
Alptraum-Land
Alice taumelt durch eine Welt voller brutaler Gewaltphantasien, in der Ängste, Haß und Selbsthaß, Mordlust und Suizid-Sehnsucht, elterlicher Druck, Todesfurcht, Sexualität und Perversion – und der
Die Rechnung geht nicht auf
Man kann der um eine Problembearbeitung bemühten Anna Bergmann einen mutigen Ansatz bescheinigen. Die Rechnung allerdings geht angesichts der Überfrachtung der Inszenierung nicht auf. Steffi Königs berührender Song am Ende aber entschädigte für vieles. Da war die Sprache egal. Die nächste Vorstellung ist heute Abend, 19.30 Uhr.
Weitere Informationen unter: www.schauspielhausbochum.de
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