Ein Irrenhaus

"König Lear" in Köln als Hommage an Jürgen Gosch

von Andreas Rehnolt


"König Lear" als Hommage an Jürgen Gosch 
 
Karin Beier inszenierte das nur mit Frauen besetzte Stück
in Köln als Choreografie der Gequälten und Wahnsinnigen
 
 
Köln - Schwer und düster, mörderisch und feucht, geriet Karin Beiers Inszenierung von Shakespeares "König Lear" am 26. September im Kölner Schauspielhaus zu einer Hommage an den vor wenigen Monaten verstorbenen Regisseur-Kollegen Jürgen Gosch. Auf der kahlen, schwarzen Bühne hat Goschs Lieblings-Bühnenbildner Johannes Schütz eine hüfthohe Mauer aus bröckligen Tonziegeln gebaut, die im Verlauf der gut zweieinhalbstündigen Inszenierung zerschlagen, zerhauen und abgetragen wird. Mit sechs samt und sonders hervorragenden Schauspielerinnen hat Beier alle Figuren der Tragödie weiblich besetzt. Das auch vielleicht als Gegenstück zur vor wenigen Jahren in Düsseldorf umjubelten Gosch-Version von "Macbeth", in welcher der Regisseur alle Rollen von Männern spielen ließ.
 
Die Katastrophe der Macht

Worum geht es in dem Stück? Im Anfang steckt schon die ganze Katastrophe. König Lear will vor der Zeit abdanken, Macht, Besitz und Sorge um den Staat ablegen und sein Reich unter die drei Töchter aufteilen. Zwei von ihnen - Goneril und Regan - schmeicheln ihm. Doch seine Lieblingstochter Cordelia antwortet auf seine Frage, was sie an ihm am meisten liebe, mit einem schonungslosen "Nichts." Darüber ist Lear sowas von enttäuscht und wütend, daß er die Cordelia verstößt und sein Reich nur unter den beiden anderen Schwestern aufteilt. Doch kaum hat eine grandiose Barbara Nüsse als Lear seine Papierkrone in zwei Hälften gerissen und seinen Töchtern gegeben, nimmt die Tragödie ihren Lauf.
Die beiden schicken ihn in die Wüste, er ist ihnen lästig, unangenehm mit seinem Altersstarrsinn und seinem Beharren darauf, ständig bedient und umsorgt zu werden. Damit ist der Zuschauer schon nach wenigen Minuten mitten drin im Weltende-Drama, und die Mauer, die die intrigante Gesellschaft im Zaum halten soll, bekommt erste klaffende Wunden, die hier auch für Generationen-Konflikte, Erbschaftsstreitigkeiten und Machtgelüste stehen. "Wärst Du doch weise geworden, bevor Du alt geworden bist", sagt der Narr zu Lear, der über das Fehlverhalten der Töchter den Verstand verliert.
 
Grandios und anstrengend

Grandios in der Ausführung, extrem anstrengend für den Zuschauer, daß die Protagonisten auf der Bühne, die sich immer mehr in ein Schlachtfeld von enttäuschten Gefühlen, Hoffnungen und Intrigen verwandelt, zwei, manchmal drei Rollen zu spielen haben. So wird aus Cordelia (Kathrin Wehlisch) der Bastard-Sohn Edmund des alten Gloucester und dann ein koboldhafter Narr, und Goneril (Anja Lais) wird zum verstoßenen Gloucester-Sproß Edgar und auch zum rotnasigen Narren. Und da ist Kent (Anja Herden), der als treuer Diener dem alten Lear bis zu dessen Ende maskiert und hündisch nicht von der Seite weicht. Die Sprache wechselt von jetzt auf gleich im Tonfall und auch die Garderobe wird auf der Bühne quasi spielend gewechselt - Papierkleider der Königstöchter gegen 1970er Jahre-Klamotten, die vielleicht Aufsässigkeit und Trotz dem Althergebrachten gegenüber symbolisieren sollen.
 
Ein Irrenhaus

Am Ende wird klar, daß alle Gestalten auf der Bühne Irre sind, daß die hier gezeigte Welt an sich schon eine wahnsinnige ist und möglicherweise nur im Irrsinn ertragen werden kann. Kinderreime, Disney-Masken und das Lied "Lachend, lachend, lachend kommt der Sommer über das Land" verursachen in diesem Weltenchaos Gänsehaut. Wenn die Töchter sich gegenseitig an die Kehle springen, wenn sich die Widersacher die Augen ausstechen, wenn gemordet, geschändet und gefleddert wird, dann zeigt sich, daß die Gewaltspirale kein Ende findet. "Das Schlimmste ist noch nicht erreicht, solang man sagen kann: Das ist das Schlimmste", sagt eine der Figuren. Das Schlußbild brennt sich beim Zuschauer ein. Ein dürrer Lear im nassen Nachthemd mit einer Gräserkrone auf dem Kopf lehnt tot an den zerfetzten Resten der Mauer. Hinter ihm liegen die älteren Töchter in ihrem Blut, vor ihm die tote Cordelia. Das Fest des Massakers hat endlich ein Ende.
 
Der Applaus beim Auftaktstück von Beiers dritter Spielzeit als Intendantin in Köln war anerkennend, keineswegs enthusiastisch. Aber vielleicht lag das daran, daß man das Stück erst einmal verdauen muß. Allen Zuschauern sei empfohlen, zuvor zumindest eine Kurzfassung des "Lear" zu lesen. Ohne Kenntnis des Stücks wird die Bühnenfassung sonst vermutlich nicht verstanden.
 
Weitere Aufführungen: 2., 7., 24., 27. Oktober
 
Internet: www.schauspielkoeln.de

Redaktion: Frank Becker