Eklat um Fassbinder-Stück am Theater an der Ruhr

"Der Müll, die Stadt und der Tod" - Matinee am kommenden Sonntag

von Andreas Rehnolt und Frank Becker
Eklat um Fassbinder-Stück
am Theater Mülheim/Ruhr
weitet sich aus
 
Am kommenden Sonntag stellt Intendant Roberto Ciulli mit einer Matinee das Stück "Der Müll, die Stadt und der Tod" vor
 
Mülheim/Ruhr - Zwei Wochen vor der geplanten Premiere des in Teilen als antisemitisch kritisierten Stücks "Der Müll, die Stadt und der Tod" von Rainer Werner Fassbinder am Theater Mülheim/Ruhr macht das bislang noch nie in Deutschland gezeigte Stück heftige Schlagzeilen. Der Zentralrat der Juden in Deutschland sowie die örtliche Jüdische Gemeinde Duisburg/Mülheim haben die Absetzung des Stücks vom Spielplan gefordert. Auch der örtliche Evangelische Kirchenkreis äußerte die Befürchtung, daß im Falle einer Aufführung der Schaden größer sei als der Anspruch auf künstlerische Freiheit. Am kommenden Sonntag stellt Intendant und Regisseur Roberto Ciulli in einer öffentlichen Matinee das vermeintliche Skandalstück vor. Die Premiere findet laut Spielplan am 1. Oktober statt.

Das Stück erzählt von der lungenkranken Hure Roma B., deren Stammkunde ein reicher Jude, ein Bau- und Grundstücksspekulant wird. Er benutzt sie als Werkzeug seiner Rache nach dem Holocaust, denn ihr Vater war an der Judenvernichtung im Dritten Reich beteiligt. Mord, brutale Homosexualität, sexuelle und psychische Perversion, schließlich die von der Polizei vertuschte Ermordung Romas durch den Juden - der junge deutsche Staat kann keinen Juden als Mörder gebrauchen - und die Ermordung des Zeugen durch die Polizei sind politisch, seelisch und ästhetisch der Stoff, der bislang die öffentliche Aufführung in Deutschland verhindert hat.

Der frühere Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignaz Bubis hatte 1985 die deutschsprachige Uraufführung des Theaterstücks in Frankfurt am Main verhindert. Bubis, der auch Immobilienmakler war, war wegen dieser Tätigkeit in den 1970er Jahren immer wieder Zielscheibe der öffentlichen Kritik im Konflikt zwischen Stadtentwicklung und Anwohnern. Er hatte damals erklärt, das Stück nutze "antisemitische Klischees". Ciulli hat die Forderungen nach einer Absetzung des 1975 geschriebenen Theaterstücks bislang abgelehnt. Die einzige deutsche Inszenierung von  Dietrich Hilsdorf 1985 am Schauspiel Frankfurt/M. wurde vor einen geschlossenen Kreis von 120 Journalisten aufgeführt und zur "Uraufführung" erklärt. Auch 1998 kam eine Aufführung am Berliner Maxim-Gorki-Theater nicht zustande. Öffentlich uraufgeführt wurde das Stück schließlich 1987 in New York und wurde danach auch schon an einer israelischen Bühne in Tel Aviv gezeigt.
 
Der Generalsekretär des Zentralrats der Juden, Stephan Kramer, erklärte, der Versuch Ciullis sei gescheitert, im Rahmen seiner Neuinszenierung einen mahnenden Charakter gegen Antisemitismus und die Verbreitung von Klischees und Vorurteilen gegenüber Juden aus dem Fassbinder-Stück zu gewinnen. Aus Respekt vor den Überlebenden des Holocaust und den Millionen von Toten sollte auf die Aufführung des Stücks verzichtet werden, so Kramer. Ciulli betonte, er wolle am Sonntag bei der Matinee sowohl das Stück als auch seine Intention für die Inszenierung vorstellen. Auch in der Lokalpolitik der Ruhrgebietsstadt gibt es unterschiedliche Reaktionen, die von Absetzung des Stücks bis hin zu Verteidigung des Rechts auf künstlerische Freiheit reichen.
Das Textzitat: "Schuld hat der Jud, weil er uns schuldig macht, denn er ist da..." mag pars pro toto stehen.
 
Die Matinee im Theater Mülheim/Ruhr findet am Sonntag um 12.00 Uhr statt. Die Premiere des Stücks ist für den 1. Oktober um 19.30 Uhr geplant.
 
Internet: www.theater-an-der-ruhr.de

Redaktion: Frank Becker