Jahrhundert der Comics - Der künstlerische Aspekt

Ein Buch und eine Ausstellung über die Geschichte von 100 Jahren amerikanischer Zeitungs-Comic-Strips und eine begleitende Ausstellung mit seltenen Exponaten aus Privatsammlungen

von Frank Becker

Cover: Ignatz aus "Krazy Kat"
Jahrhundert der Comics -
Der künstlerische Aspekt
 
Ein Buch und eine Ausstellung über die Geschichte von 100 Jahren amerikanischer Zeitungs-Comic-Strips und eine begleitende Ausstellung
mit seltenen Exponaten aus Privatsammlungen
 
Nach überwältigenden Publikumserfolgen in Dortmund und Bielefeld ist seit Samstag die von Alexander Braun kuratierte und sein Buch gleichen Titels begleitende Ausstellung „Jahrhundert der Comics“ in der Städtischen Galerie Remscheid zu sehen. Die Auswahl von raren Originalen und der durch Alexander Brauns Umsicht – er ist selber Sammler – erhalten gebliebenen und durch Restaurierung vor dem Zerbröseln bewahrten bis zu 100 Jahre alten amerikanischen Zeitungsseiten besticht vom ersten täglichen Zeitungs-Strip H.C. „Bud“ Fishers („Mutt and Jeff“) im San Francisco Chronicle 1905 bis zum zeitgenössischen deutschen „Ausreißer“, den stark von Robert Crumb beeinflußten FAZ-Strips von Tomas Bunk.
 
Köstlichkeiten auf hohem Niveau

Es sind Köstlichkeiten der besonderen Art, die Alexander Braun erforscht und zusammengetragen hat und die für Galerie-Besucher ohne einschlägige Kenntnisse mit ausgehängten Erläuterungstafeln und über ein ausführliches Faltblatt zum Mitnehmen analog zum Buch griffig erklärt werden. So werden die politischen, soziologischen, psychologischen und nicht zuletzt künstlerischen Hintergründe vieler der höchst komplexen Serien des frühen Comic-Strips verständlich vermittelt. Denn die

Alexander Braun erläutert Hintergründe - Foto © Frank Becker
Zeitungs-Strips besonders der frühen Jahre waren beileibe nicht nur heitere Unterhaltung, sondern zum einen häufig graphisch-künstlerisch höchst anspruchsvolle und darüber hinaus psychologische Tiefen auslotende Meisterwerke. Bemerkenswert ist das hohe intellektuelle sowie künstlerische Niveau dieser frühen Comics. Der spätere Bauhaus-Maler Lyonel Feininger etwa konzipierte 1906 zwei Serien für die Zeitung „Chicago Tribune“. Winsor McCay nahm ab 1904 in seinen Freuds Traumdeutung ähnlichen Serien (er konnte Freud damals noch nicht gelesen haben!) den Surrealismus vorweg und George Herriman erprobte mit seiner Serie „Krazy Kat“ lange vor den Comic-Katzen-Stars „Felix the Cat“ von Pat Sullivan, dem legendären Tom aus „Tom und Jerry“ von Fred Quimby/William Hanna/Joseph Barbera und „Garfield“ aus der Feder von Jim Davis über 30 Jahre lang ein fantastisch skurriles Theater „irgendwo zwischen Dada-Subversion und Beckettscher Bühnen-Absurdität“ (Zitat Katalog).
 
Kulturgut Comic - Erforschen und Bewahren

All das erkennend hat sich Alexander Braun der Erforschung und Bewahrung des Kulturgutes vor allem der sogenannten „Sunday Pages“, der besonders üppigen allsonntäglichen Comic-Seiten der großen amerikanischen Blätter der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewidmet. Buch und Ausstellung dokumentieren die Entwicklung der Bildgeschichten-Serien vom Ende des 19. Jahrhunderts bis heute. Zu sehen sind historische Exponate und Originalzeichnungen der bedeutendsten Zeichner dieses Genres, u.a. von Lyonel Feininger (The Kin-der-Kids/Wee Willie Winkie´s World), Winsor McCay (Tales of the Jungle Imps/Little Nemo), Rudolph Dirks (The Katzenjammer Kids), Harold Knerr (The Flenheimer Kids/Dinglehoffer and His Dog), Bud Fisher (Mutt and Jeff), George Herriman (Bud Smith/Krazy Kat), Hal Foster (Tarzan of the Apes/Prince Valiant), Chester Gould (Dick Tracy) oder Walt Kelly, d.i. Walter Crawford jr. (Pogo).
Seit Kindertagen selber Comic-Leser, der keinem Verbot durch kurzsichtige Eltern ausgesetzt war, hat Alexander Braun während des Studiums der Kunstgeschichte eine Lücke in der kunsthistorischen und tiefenpsychologischen Rezeption solcher Strips wie Winsor McCays Alptraum-Sequenzen in „Little Nemo“ und „Dream of the Rarebit Fiend“ oder dem Irrwitz von George Herrimans Ziegelsteine werfender Maus Ignatz in „Krazy Kat“ und Frederick Burr Oppers „Happy Hooligan“ erkannt. Von den 1980ern an sammelte er zunächst alte, heute kaum noch zugängliche Sonntagsseiten der führenden Blätter u.a. aus den Verlagshäusern von Joseph Pulitzer und Randolph Hearst, später noch erreichbare Originale einiger der berühmtesten Zeichner, die zu ihrer Zeit durch das neue Medium Comic teils sehr wohlhabend geworden waren.  

Das Medium Comic-Strip - etwa zur gleichen Zeit wie der Film entstanden – genoß Ende des 19. Jahrhunderts auf Anhieb allergrößte Popularität. In Form von sehr bald auch farbigen Beilagen zu den amerikanischen Sonntagszeitungen zielten Comics insbesondere auf das Millionenheer der Einwanderer, die noch unsicher in Sprache, Sitten und politischen Verhältnissen der Neuen Welt waren. Nicht wenige der erfolgreichen Zeichner waren Einwanderer aus Deutschland oder kamen aus deutschen Familien (u.a. Feininger, Dirks, Knerr). "Comics gehören, jedenfalls nach Ansicht eifriger Comic-Leser, zu den interessantesten Errungenschaften unseres Jahrhunderts", schrieb Axel Brück 1971 in seinem Vorwort zum ersten Band von "Weltbekannte Zeichenserien". Bis heute werden in den USA, in England und in Frankreich die Comic-Seiten der Sonntagszeitung zuerst aufgeschlagen, eine Kultur, die sich in Deutschland leider noch nicht hat etablieren können.

Comic als Spiegel des Zeitbildes

Die Ausstellung widmet sich auch den Zeiten der großen Depression und des Zweiten Weltkriegs. In diesen Jahren wurden die Comics von immer umfangreicheren und realistischeren Erzählsträngen bestimmt, die den Leser an möglichst exotische Orte und in fantastische Welten entführten. In diesen Jahren entstanden u.a. die bis heute unvergeßlichen Abenteuer von „Tarzan of the Apes“ (Harold Foster, 1929 nach Edgar Rice Borroughs), „Flash Gordon“ (Alex Raymond 1934) oder „Prince Valiant

Sammlung Braun - Foto © Frank Becker
(Prinz Eisenherz)“ (Harold Foster, 1937). Damals war „alles, was von der Tristesse des Alltags ablenkte, willkommen“.
Milton Caniffs Serien „Terry and the Pirates“ und „Male Call“ (speziell für die GIs im 2. Weltkrieg gezeichnet) und Chester Goulds Detektivgeschichte „Dick Tracy“  rangieren ebenso im Genre. Auch Mandrake (1934) und „The Phantom“, 1936 von Lee Falk gezeichnet, beide 60 Jahre lang erfolgreich, gehören in diese Zeit. Aus dem „Thimble Theatre“ von Elzie Crisler Segar (1919) wurde 1930, nachdem 1929 die Figur des Popeye eingeführt worden war, einer der erfolgreichsten Comic-Strips aller Zeiten, später von Bud Sagendorf kongenial fortgeführt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs dann verschob sich der Fokus auf Familienthemen. „Blondie“ von Murat „Chic“ Young war schon seit 1930 auf den Sonntagsseiten, „Hi and Lois“ von Mort Walker und Dik Browne kam 1954 als Dauerbrenner dazu und seit 1997 ist „Zits“ von Jerry Scott und Jim Borgman der internationale Abräumer.

Politische Stellungnahme

Der Comic traute sich zunehmend, auch politisch Stellung zu beziehen. So zogen während des Zweiten Weltkriegs z.B. Carl Barks´ Donald Duck aus den Disney Studios und Superman von Jerry Siegel/Joe Shuster gegen die Nazis ins Feld. Ab 1964 spritzte „The Wizard of Id“ von Johnny Hart und Brant Parker seine satirische Tinte auf die Westen der Mächtigen, und Dik Brownes „Hagar The Horrible“ tat es ihm ab 1973 im Wikingergewand gleich. Der in Skandinavien im Gegensatz zu Deutschland sehr erfolgreiche Strip "Beetle Bailey" von Mort Walker zieht seit 1950 das Militär durch den Kakao. Das Feld des Comic-Strip ist weit und sehr reich. Die wenigen hier aus dem Bereich des amerikanischen Comic-Strip genannten Beispiele können nur das Thema anreißen, das Buch und Ausstellung gültig präsentieren.
Die Begeisterung für die lustigen, spannenden, doch zugleich höchst intelligenten gezeichneten Geschichten und das wissenschaftliche Interesse halten sich dabei auf  harmonische und produktive Art die Waage. Leser und Ausstellungsbesucher bekommen ein ausgewogenes Angebot mit hervorragender Graphik,

© Carlsen Verlag/Archiv Musenblätter
herrlichem Humor, politischer Botschaft, Satire, Klamauk und tieferer Bedeutung, von Lyonel Feiningers ersten Karikaturen über Rudolph Dirks´ „Katzenjammer Kids/The Captain and the Kids“ und Pat Sullivans „Felix the Cat“ bis zu Hal Fosters „Prince Valiant“ und „Tarzan“ sowie Chic Youngs „Blondie“ und Walt Kellys im Grunde unübersetzbarem „Pogo“ (wenn auch Alfons Schweigert und Bernd Brummbär das in den 70ern versucht haben).
 
Die seltenen Exponate aus Privatsammlungen werden bis zum 20. Dezember in der Städtischen Galerie Remscheid, Scharffstr. 7-9, 42853 Remscheid gezeigt.
Informationen unter Tel. 02191-162798.


Zur Ausstellung, an der man sich nicht satt sehen kann, ist das oben beschriebene Katalog-Buch erschienen, das als künftiges Standardwerk zum Thema wärmstens empfohlen wird: Alexander Braun „Jahrhundert der Comics – Die Zeitungs-Strip-Jahre“, 245 S., 335 Abb., gebunden, 31,5 x 25 cm, 30,- € - ISBN 978-3-9812373-0-6.