Dienstagmorgen

Hausschuhe aus Bangladesh, gewebt

von Eugen Egner

Dienstagmorgen

An einem Dienstagmorgen brauchte Otis Morgenthau nicht zur Arbeit. Weil der Chef seine Witwe verbrannte oder etwas ähnliches feierte, blieb die Firma geschlossen. Otis war Angestellter bei einer Hausschuhfirma in Bang­ladesh. Jeden Morgen flog er die soundsoviel tausend Kilometer hin, jeden Nachmittag zurück. Der weite Weg störte ihn nicht, darüberhinaus behagte ihm die leichte Büroarbeit. In seiner Abteilung fühlte er sich ausgespro­chen wohl. Das lag nicht zuletzt an seinen Kollegen, die ebenfalls täglich zwischen ihrem deutschen Wohnsitz und dem asiatischen Arbeitsplatz hin- und herpendelten. Sie scherzten, tranken Tee, taten den Hausschuhweberinnen schön und beantragten hin und wieder neue Akten­schränke. Während der Bürostunden trugen sie die Er­zeugnisse der Firma an den Füßen.

Otis überlegte, was er mit diesem freien Tag anfangen wollte. Was blieb ihm, als sich von dicken, lauten Fliegen durch die Zimmer jagen zu lassen?

© Eugen Egner
Beispielbild
Eugen Egner - Foto © Frank Becker

Eugen Egner, * 10.10.1951 in Ingelfingen

Dichter phantastischer Prosa (Auswahl): "Androiden auf Milchbasis", "Gift Gottes", "Die Eisenberg-Konstante", "Aus der Welt der Menschen", "Der Universums-Stulp"), „Nach Hause“ (April 2007)
Erfinder glaubhafter Biographien ("Die Tagebücher des W.A. Mozart", "Aus dem Tagebuch eines Trinkers")
Hörspiel-Autor (u.a. "Das Schattenfräulein", "Was macht eigentlich Harry Absolut?")
Zeichner (u.a. "Meisterwerke der grauen Periode", "Als die Erlkönige sich Freiheiten herausnahmen", "Gefährliche Gitarristen")
selbst gefährlicher Stromgitarrist, 1/3 der Free-Jazzrock-Formation "Gorilla Moon"