Gustav Seitz und sein Buch "Studienblätter aus China"

Eine Betrachtung zur Literatur- und Politikgeschichte

von Jürgen Koller

Gustav Seitz und sein Buch „Studienblätter aus China“

Der Bildhauer Gustav Seitz (1906-1969)  war nach dem  II. Weltkrieg davon überzeugt, nur für seine Kunst  leben und arbeiten zu können. Er wollte den Kalten Krieg, der gerade im Nachkriegs-Berlin Ende der 40er Jahre stetig an Schärfe zunahm, nicht wahrhaben, wollte sich aus allen politischen  Querelen heraushalten.

So übernahm er 1947 an der Hochschule für Bildende Kunst in West-Berlin eine Lehrtätigkeit für Bildhauerei, zugleich war er jedoch davon angetan, daß die Ost-Berliner Akademie der Künste ihm im Jahre 1950 die Mitgliedschaft angetragen hatte.
Das wiederum war Anlaß für die West-Berliner Senatsbehörde, Gustav Seitz noch im gleichen Jahr von seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule zu suspendieren.
Im Jahre 1951 bereiste er daraufhin im Auftrag der Ost-Berliner Kunst-Akademie gemeinsam mit der Schriftstellerin Anna Seghers das kommunistisch gewordene China. Seitz dokumentierte seine Reiseerlebnisse in wundervollen Tusche-Zeichnungen von Land und Leuten.

Bereits 1952 erfolgte durch den Aufbau-Verlag in Ost-Berlin die Drucklegung der „Studienblätter“ als Blockbuch mit chinesischer Kordelheftung. Der Umschlag bestand aus grobem, hadernhaltigem Karton. Gedruckt wurde auf gelblichem, stark strukturierten Papier. Die Doppel-Seiten werden nicht aufgeschnitten – sie verbleiben eben im „Block“.
Sofort nach Erscheinen, noch im Jahre 1952, wurde die gesamte Auflage aus politischen Gründen eingestampft – das Werk sei „formalistisch“, es hätte keine  sozialistisch-realistische Formensprache; in seinen Erinnerungen schrieb Seitz, dass „… das Buch  als Karikatur des chinesischen  Brudervolkes verstanden worden“ sei.
Mit aller Eindringlichkeit erkannte der Bildhauer damals, daß man mit der kommunistischen Diktatur in Ost-Berlin keinen Kompromiss eingehen konnte. 
Aber gerade deswegen setzte sich Gustav Seitz vehement für eine freie, unzensierte Kunst in der DDR ein.

So äußerte er sich (um 1952/53) mit drastischen Worten über die jegliche Kunst tötende sogenannte ‚Formalismus-Diskussion’: „… Daß der Inhalt die Form bestimmt ist nichts neues, das braucht mir kein Heringsverkäufer, der Kunstfunktionär geworden ist, erzählen.“

Im Jahre 1954 wurden die „Studienblätter aus China“ in einer 2. Auflage neu gedruckt.
Seitz schreibt an seine Frau:
„… nur in 1000 Exemplaren. Auch wieder ohne es mir zu sagen…Ich bin der festen Überzeugung, es geht gegen die Zeichnungen…Mir hängt die Geschichte zum Halse heraus. Ich rühre nicht mehr daran. Jedenfalls gibt das auch einen Absatz in meiner Lebensbeschreibung.“

Welche Wirkung von diesem schmalen Buch ausging, belegt ein Brief aus Düsseldorf von Otto Pankok (vom 1.1.1954):
„Sie haben mir mit Ihrem Buch eine große Freude gemacht. Es ist schön und groß und frei. Ich glaube…,daß dort von China das Heil für die Menschen kommen wird. Es stellt dem Westen mit seinem technischen Krims Kram das Ewige entgegen. Welches ungeheuere Glück für diesen Stern!“ *)

Gustav Seitz hatte sich in jenen Jahren bereits politisch vom Regime im Osten verabschiedet. Nach der Vollendung der Arbeit  am Käthe-Kollwitz-Denkmal für den Stadtteil Prenzlauer Berg in Ost-Berlin (1956 -1958) – dort steht es heute noch am Käthe-Kollwitz-Platz – folgte Gustav Seitz im Jahre 1958 einer Berufung nach Hamburg an die Hochschule für Bildende Kunst.
Damit endete für den international renommierten Bildhauer der Lebensabschnitt Ost-Berlin.

Seitz wurde letztlich nach viel politischem Streit in den westdeutschen Medien -  vor allem der „Tagesspiegel“ in  West-Berlin ging hart mit ihm ins Gericht  (Wolf Jobst Siedler: „Wanderer zwischen zwei Welten“) -  das Recht auf Irrtum zugestanden wie vielen anderen vor ihm.

„Studienblätter aus China“ hat  seine spannende Geschichte - wer sich für das Buch interessiert – im Internet unter www.zvab.com (antiquarische Bücher) finden sich noch einige wenige Exemplare.

*) Anmerkung - alle Zitate aus: „Gustav Seitz, Werke und Dokumente, Archiv für Bildende Kunst im Germanischen Nationalmuseum, Nürnberg“, Prestel-Verlag München, 1984

 

Beispielbild

Gustav Seitz
Studienblätter aus China

© 1952/1954 Aufbau Verlag Berlin (Ost)

Mögliche Bezugsquelle:
www.zvab.com