Wenn die Kinder artig sind...

"Der Struwwelpeter" - Heinrich Hoffmanns Kinderbuch-Klassiker in einer gediegenen Neuauflage

von Frank Becker
Wenn die Kinder artig sind...

So wie später im englischen Sprachraum Lewis Carrolls "Alice im Wunderland" und J.R.R. Tolkiens "Der kleine Hobbit" entstand das berühmteste deutsche Kinderbuch, Dr. Heinrich Hoffmanns "Der Struwwelpeter", zunächst nicht zur Veröffentlichung, sondern zur Unterhaltung der eigenen Kinder. Die Erfolgsgeschichte dieses bunten Bilderbogens mit seiner unmißverständlichen biedermeierlichen Moral hält seit seiner ersten Ausgabe 1845 an. Es gibt niemanden in meinem Bekannten- und Freundeskreis, der das herrliche Buch als Kind nicht besessen und als Quelle moralischer Grundsätze genutzt hätte.

Die heftigen Anfeindungen
in den 1960er und 70er Jahren wegen angeblich unpädagogischer und kinderfeindlicher Inhalte, als "antiautoritäre repressionsfreie Erziehung" propagiert wurde, hat der "Struwwelpeter" locker überstanden. Ich erinnere mich mit Schmunzeln daran, daß ich damals einmal auf den 5-jährigen Sohn einer antiautoritär erziehenden Freundin aufpassen sollte. Etwas ratlos, als er verlangte, daß ich ihm vorlesen solle, griff ich zum Struwwelpeter. Wir setzten uns mit Kaffee und Kakao zusammen aufs Sofa und verbrachten einen köstlichen Nachmittag mit den Versen und aufregenden Bildergeschichten, mit angeregtem Gespräch über die vorgestellten Personen und Unartigkeiten - und waren uns einig: wer in die Luft guckt und in den Kanal fällt, ist selber schuld. Wer bei Tisch kippelt und alles herunter reißt, hat den Zorn der Eltern verdient, und wer einen Hund ärgert, darf sich nicht wundern, wenn er ins Bein gebissen wird.

Der kleine Bengel fand es völlig richtig, daß die, welche einen Mohren verhöhnt hatten, nun selber schwarz gefärbt wurden, und gemeinsam lachten wir sehr über den Hasen, der mit dem Jäger die Rollen tauscht. Aber daß Paulinchen verbrennt, war uns gar zu entsetzlich da hat Herr Hoffmann etwas übertrieben. Und daß dem Daumenlutscher die Daumen abgeschnitten werden, fanden wir grausig und geschmacklos - nein die Geschichte mochten wir beide nicht. Da waren sich der Knirps und der Erwachsene ganz einig. Nur seine Mutter war entsetzt: Wie konntest du nur...?

"Der Struwwelpeter" hat in seinen 152 Jahren sicher noch keinem Kind Schaden zugefügt. Bis heute ist ihm seine Beliebtheit geblieben. Der Diogenes Verlag hat den "Struwwelpeter" erstmals vor 30 Jahren 1977 herausgebracht und legt in diesen Tagen eine hübsche Neuausgabe mit den Nachwort Heinrich Hoffmanns zur 100. Auflage 1876 vor. Die Illustrationen wurden aus den schönsten historischen Ausgaben zusammengestellt, der Text folgt der 100. Auflage.  Im Nachwort erläutert Hoffmann seinen pädagogischen Ansatz erläutert und endet mit der Bemerkung: "Immer aber ging ich von der Überzeugung aus: »Das Kind erfaßt und begreift nur, was es sieht«."  
Beispielbild

Dr. Heinrich Hoffmann
Der Struwwelpeter

© 1977/2007 Diogenes Verlag

HLn., 39 Seiten mit einen Nachwort von Heinrich Hoffmann
14,3 x 21,3 cm
ISBN 3-257-01115-6
€ 12.90 / sFr 21.90

Weitere Informationen unter:
www.diogenes.ch