Autobiographische Notizen

Hanns-Josef Ortheil - „Die weißen Inseln der Zeit“

von Frank Becker
Hanns-Josef Ortheil: 
„Die weißen Inseln der Zeit“
 

Daß Hanns-Josef Ortheil seit seinem brillanten Debüt 1979 zu den bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellern des letzten Vierteljahrhunderts gehört, hat er spätestens mit den Romanen seiner „Trilogie der schönen Künste“ unterstrichen, in denen er Goethe („Faustinas Küsse“), Mozart („Die Nacht des Don Juan“) und Turner („Im Licht der Lagune“) sprachgewaltige literarische Denkmäler setzte.

Daß Ortheil einen entscheidenden Abschnitt seiner Jugend in Wuppertal erlebt hat, weiß, wer seine erste autobiographische Veröffentlichung „Das Element des Elephanten“ (1994) gelesen hat. Genau zehn Jahre danach und nach seinem Roman „Die große Liebe“ legte er 2004 mit „Die weißen Inseln der Zeit“ eine weitere Autobiographie vor, die wie eine Reise im Zeitraffer, ein aufgeschlagenes Tagebuch, eine Spurensuche in eigener Sache ein weiteres Mal seine große Erzählkunst belegte.

„W wie Wuppertal“ ist das Kapitel überschrieben, das seine Zeit am CDG, seine Erinnerungen an WSV, Pietismus, Engels und Krummacher in der Stadt an der Wupper behandelt. Seinem Freund Peter erzählt er davon, lädt ihn ein: „..vielleicht tust Du mir irgendwann ... sogar einen ganz großen Gefallen. (...) Den, mit mir nach Wuppertal zu fahren, sage ich. Wir gehen ins Stadion am Zoo, und ich zeige Dir den Grifflenberg und mein Gymnasium (...), das wird ein Erlebnis, nein, ich glaube sogar, diesmal wird es ein Genuß, ein rundum großer Genuß.“ 
Auf Wuppertal folgte Mainz: „Ich komme aus Wuppertal, heute ist mein erster Schultag in Mainz, sagte ich“, erzählt er aus dem Protokoll der Erinnerung an den Aschermittwoch 1966 am Mainzer Gymnasium. „Der Hausmeister ließ mich den Satz wiederholen, als verstünde er ihn schlecht. Dann lachte er minutenlang.“ Im Vergleich mit der neuen Stadt, der neuen Schule kommt Wuppertal nicht gerade blendend weg: „In Wuppertal lachte man nicht, man gehörte zu einer der über hundert protestantischen  oder pietistischen Sekten (...). Wir trugen  kurzes, gescheiteltes Haar und hielten die Nase hoch, um das Wuppergebräu nicht zu riechen. Der Schuldirektor kam in Wuppertal gleich nach dem Papst.“

So dachte ein gestandener Romancier über seine Jugend als 15-jähriger in der Zucht des Carl-Duisberg-Gymnasiums in Wuppertal – damals.
Hanns-Josef Ortheil ist damit, zehn Jahre nach den ersten Erinnerungen erneut ein Buch mit Reflexionen von hohem Rang gelungen. Warum ich Ihnen das heute erzähle? Ganz einfach: die autobiographischen Schübe Ortheils kommen in immer kürzeren Abständen – heuer, nur fünf Jahre danach kündigt Luchterhand einen Schlüsselroman Ortheils an „Die Erfindung des Lebens“. Sobald der uns vorliegt, werden wir berichten.
 
Jetzt aber erst noch einmal:
„Die weißen Inseln der Zeit“ – Orte, Bilder, Lektüren“ -  Luchterhand Literaturverlag, München 2004, 318 S., geb. mit Büttenumschlag, 19,50 €.

Weitere Informationen unter:  www.luchterhand-literaturverlag.de