Plauderstunde

Das Vergnügen, in Kursbüchern zu schmökern

von Konrad Beikircher

Foto © Frank Becker

Konrad Beikircher
Plauderstunde

Über das Vergnügen,
in Kursbüchern
zu schmökern




Es ist jetzt ungefähr ein Jahr her und die Zeit ist mit dem nie versiegenden Strom täglicher schlechter Nachrichten und Katastrophen längst darüber hinweg gegangen, aber eben schoß mir beim Ordnen meiner Aufzeichnungen der Gedanke an eine schlimme Horrornachricht aus dem Juli 2008 durch den Kopf. Die schlimmste: die Deutsche Bahn druckt keine Kursbücher mehr, hieß es damals. Jeder, der sich schon mal in der vielschichtigen Komplexität des deutschen Kursbuchs verloren hat, wird sich ob dieser Nachricht noch heute die Haare raufen und der herrliche Film "Zugvögel - einmal nach Inari" von Peter Lichtenfeld mit Joachim Król und Peter Lohmeyer ist dadurch zum unvergeßlichen Klasiker geworden.

Kein „fährt nur Samstag, nicht aber 14. Und 23. 8.“ Oder „bis Biessenhofen als RB 32857, danach zeitgleich als ALX 86205 bis Augsburg, nicht aber an Feiertagen, 1. April und Ostern“ oder „hält ab Kall überall“ mehr, nix. Kein Kursbuch mehr. Ein schwerer Schlag. Hans Magnus Enzensberger hat darauf hingewiesen, daß das Kursbuch eine größere Verläßlichkeit hat als jedes geschriebene Wort. Ich möchte das ausweiten: das Kursbuch ist, nein: war das einzige Buch, in dem die Wahrheit stand, nichts als die Wahrheit. Und das auch noch wahrhaftiger als in der Wirklichkeit, in der sogar die Züge zu spät kommen können. Das Kursbuch ist nicht mehr. Jetzt gibt es keine Argumente mehr gegen die Liederlichkeit der Züge: kein „Hier steht aber: Abfahrt 15 h 24, nichts. Wir sind allein gelassen, Mehdorn wies uns die kalte Schulter und kein Gewerkschafter unterstützte unseren Notschrei „Gebt uns das Kursbuch wieder“. Ich werde mich weigern, das Kursbuch auf CD-Rom auch nur anzufassen, geschweige denn im Internet bei www.bahn.de nachzuforschen, damit jeder Hacker sieht, wohin ich fahren will. Ich fahre ab jetzt mit dem Auto und wenn es eine Fahrgemeinschaft ist. Und gleich gehe ich im Internet nochmal zu www.zvab.de und werde mir da ein paar antiquarische Kursbücher besorgen, besonders heiß war das vom Sommer 1968. Und darin werde ich blättern und schwelgen und danach lasse ich meine H0-Märklin fahren. Ätsch, Herr Mehdorn! - Aber den wird es nicht mehr kratzen, hat man ihn doch Ende April dieses Jahres endlich von seinem mit pfälzischer Sturheit verteidigten Chefsessel bei der Bahn geschubst. Späte Strafe - geschieht ihm recht.

Ihnen weiterhin einen schönen Sommer, liebe Musenblätter-Freunde!
Ihr
Konrad Beikircher


© Konrad Beikircher - Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009

Redaktion: Frank Becker