Feste Jungs, macht nur weiter so!

Es ist längst ein Viertel nach Zwölf - Ein Kommentar

von Frank Becker

© Wilhelm Heyne Verlag
Die Uhr ist längst abgelaufen

Jakob van Hoddis' (1887-1942?)
revolutionäres Programmgedicht
der
expressionistischen Lyrik
erfährt tagtäglich auch seine meteorologische
Wirklichkeit - die regelmäßig grandios
scheiternden UN-Weltklimakonferenzen
und die aktuell die Welt erschütternde
Atom-Katastrophe in Japan
legen Zeugnis von der erschreckenden
Unfähigkeit der Politik zu lernen ab:

Weltende
(Auszug)
 Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut,
(......)
und an den Küsten
- liest man - steigt die Flut.


Wie blind und taub (oder korrupt) muß man als politischer Entscheidungsträger eigentlich sein, um die Warnsignale der Natur und die Warnungen der Wissenschaft seit Dekaden derart konsequent zu ignorieren? Wir, und damit meine ich nicht nur uns "aufgeklärte" Mitteleuropäer und die übrige westliche Welt, sondern die gesamte Bevölkerung dieses Planeten, gebildet oder uninformiert, wir alle stehen schon zu lange mit klarem Blick auf die Katastrophe nicht mehr nur an, sondern mit leichtem Überhang zum Untergang bereits auf der Schwelle zur Selbstvernichtung. Humorvoll-lakonisch, manchmal mit einem vorsichtig erhobenen Zeigefinger, berichten kommerzielle Fernseh-Sender über die höchst bemerkenswerten meteorologischen Entwicklungen auf unserem - ­notabene dem einzigen - Heimatplaneten Erde. Die Kommerz-Sender freuen sich über immer neue Wetterkatastrophen als wunderbar auszuschlachtende bunte Meldungen ("Bad news are good news"), die öffentlich-rechtlichen Sender halten sich vornehm zurück. Zwar gibt es Sondersendungen zu über Europa tobenden Orkanen, Bergrutschen, Überschwemmungen etc., aber die bleiben doch nichts weiter als Selbstrechtfertigung nach dem Motto: "Seht, wir haben ja schon immer gewarnt!" und dienen eher dem Bedürfnis nach realem Nervenkitzel. Längst sind die Katastrophen-Vokabeln der Gazetten verbraucht, ja von der Wirklichkeit überholt worden.

Der Sturm

Einige Tage lang tobte vor knapp vier Jahren ein außergewöhnlicher, in seiner Gewalt stetig zunehmender Sturm über Mitteleuropa - ein Phänomen, das bis dato hier nicht bekannt war. Europa und Orkane, Tornados, Hurricanes - undenkbar! Voila - wir haben sie! Wo die wohl herkommen? Keiner weiß etwas und niemand zeigt mit dem Finger auf die Schuldigen. Wieso wohl? Weil wir es selbst sind. Wir lehnen es ab, auf unser
Auto zu verzichten. Wir dulden den wachsenden und nie mehr ruhenden Lindwurm von Diesel-Lkw auf unseren Straßen. Wir lassen es zu, daß Braunkohlekraftwerke unerhörte Mengen von Dreck in die Luft, unsere Atemluft, entlassen. Wir erlauben einer kaum mehr zu zählenden Flotte von Jets internationaler Fluggesellschaften, ihr Kerosin in Mengen in der Atmosphäre zu verbrennen, die geeignet sind, größte Schäden an der empfindlichen Lufthülle der Erde zu verursachen. Unsere Sommer neigen zunehmend zu außergewöhnlichen Hitzeperioden, die Winter bleiben immer häufiger schnee- und frostfrei. Immer mehr heftige Stürme und andere extreme Wetterlagen verändern unser Klima. Die Wüstengürtel Zentralafrikas breiten sich aus. Die Regenwälder Amazoniens und Sumatras werden rücksichtslos von Holz- und Agrarspekulanten vernichtet. Die Meere heizen sich auf, die Polkappen verlieren ihr ewiges Eis, Gletscher schmelzen wie Butter in der Sonne. Die Luft geht uns aus.

Die Flut

Nach dem fürchterlichen Erdbeben in Japan, das vor knapp einer Woche den Norden von dessen Hauptinsel Honschu mit der für unmöglich gehaltenen Stärke von annähernd 9 auf der Richter-Skala  förmlich zerrissen hat und dem die zehn Meter hohe Flutwelle eines alles mitreißenden und zerstörenden Tsunami  folgte, steht mit Japan jetzt die Welt fassungslos vor einer noch größeren, apokalyptische Ausmaße annehmenden Katastrophe: der Kernschmelze von vier Kernreaktoren eines Atomkraftwerkes inmitten des Erdbeben- und Tsunami-Chaos. Die Menschen sind an ihre Grenzen gelangt. Die entfesselten Kräfte der Natur und Physik, die man in grenzenloser Hybris glaubte bändigen und beherrschen zu können, entziehen sich jeder Kontrolle. Für uns hier ist dieses Inferno ein beängstigendes Schauspiel am anderen Ende der Welt. Für die Betroffenen dort ist es der Weltuntergang. Zwar hat die deutsche Politik angesichts der bedrängenden Situation und bevorstehender Wahlkämpfe zum Mittel eines auf drei Monate begrenzten "Moratoriums" gefährdeter Kernkraftwerke (die gestern noch als sicher galten!) gegriffen - aber glauben Sie heute noch einem regierenden Politiker, vor allem der Kanzlerin mit Wende-Meinung? Ich nicht. Hier wird gelogen und gefälscht, daß die Schwarte kracht - Ihre und meine nämlich. Die unbeschreibliche Machtgier bestimmter Berufspolitiker und die Geldgier durch mächtige Lobbies vertretener Energiekonzerne wird auch in Zukunft dafür sorgen, daß aus unserem Planeten (den jene für ihr Eigentum halten) solange jeder kommerzielle Gewinn herausgepreßt wird, bis er am Ende ist. Doch er wird sich wehren.

Skrupellos

Wie skrupellos und grenzenlos dumm sich dennoch derzeit u.a. die USA, China, Rußland, Australien, Indien und Saudi-Arabien aus durchschaubarem politischem Kalkül und hemmungsloser Gier nach wirtschaftlicher Macht gebärden, zeigt der geradezu groteske Versuch dieser Staaten, alle Berichte über die Folgen des Klimawandels abzuschwächen, die internationale Wissenschaftler vorlegen. Auf Druck der genannten und anderer Staaten wird durchgesetzt, kritische Schlußfolgerungen und Warnungen zu entschärfen und Passagen zu streichen, denen zufolge bei nicht sofortiger Abkehr von der Energiepolitik (die Geannten gehören zu den größten Umweltverschmutzern durch CO2-Ausstoß) durch den Klimawandel Schäden und Naturkatastrophen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eintreten werden. Es wurde nach einer "Kompromißformel" gesucht. Das ist ebenso schmutzig, beschämend und lächerlich, wie der sogenannte Handel mit "Verschmutzungsrechten". Die Erdatmosphäre und die Natur machen keine Kompromisse. Wer jetzt nicht hart gegen den Wind steuert, hat sich den Vorwurf gefallen zu lassen, weit jenseits der Fahrlässigkeit mit offenen Augen vorsätzlich gehandelt zu haben, wenn eben diese Katastrophen eintreten. "Die Welt wird anders sein, wenn wir nichts tun", kommentiert Wolfgang Lucht vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Die Welt wird anders sein, denn die Einsichtigen kämpfen wie üblich vergebens gegen die Borniertheit der Dummen.

Das Klima kippt

Das Klima kippt. Wer das noch nicht gemerkt hat ist wirklich dumm - oder will es nicht zur Kenntnis nehmen. In Kopenhagen zeigen derzeit die Politiker der Welt wieder einmal ihre Dummheit, Skrupellosigkeit und Bestechlichkeit. Keiner steckt zurück, alle wollen Sonderrechte. Denn es steckt ja für einige sehr viel Geld drin, und für einen saftigen Gewinn kann man schon mal eine Erde zerstören. Die Präsidentin der Kopenhagener Konferenz, die Dänin Connie Hedegaard hat wegen der Sinnlosigkeit des Kampfes gegen die Unvernunft 2009 entnervt ihr Amt niedergelegt. Sie ahnte wohl das Fiasko. Robert Long (1943-2006) hat das Dilemma in einem seiner Lieder mit sehr offenen Worten beschrieben:

Feste Jungs

Feste Jungs, macht nur weiter so,
ihr bekommt schon alles kaputt.
Leitet alles Gift ins Meer, Dreck und Scheiße hinterher.
Macht den Ozean zum Klo.
Öl schwimmt da schon sowieso
Gehn die Fische dabei drauf,
Was liegt schon viel daran.
(...)
Haut' noch die letzte Wälder klein.
Autobahnen müssen sein.
Setzt auf das letzte Wiesenstück
'Ne stinkende Chemiefabrik.
Und werden auch paar Leute krank
Es wird Profit gemacht.
Ja der Mensch hat's weit gebracht
(...)
Schafft Bomben Euch und Panzer an,
Die Menschheit braucht sie irgendwann.
Will einer nicht Dein Bruder sein,
Dann schlag ihm gleich den Schädel ein.
Wenn er nicht Deiner Meinung ist,
dann mach ihn lieber tot, am besten für den lieben Gott.
(...)
Buckelt vor der Obrigkeit.
Provoziert bloß keinen Streit.
Die da oben richtens schon,
Denn die verstehen mehr davon.
Sicherheit und Ordnung sind des Bürgers erste Pflicht.
Protestieren lohnt sich nicht.
(...)
Gib die Schuld dem Lauf der Welt
Oder dem, der Fragen stellt.
Latsch wie eine dumme Kuh
Nur auf den eigenen Metzger zu.
Oder steck wie Vogel Strauß den Kopf nur in den Sand.
(.. .)
Und ein bißchen Blut
Kann man nicht vermeiden
Man muß sich entscheiden
Die darunter leiden
Sind uns alle scheißegal.


Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Blue Box Music & Media

James Graham Ballard hat 1962 einen Science Fiction-Roman veröffentlicht: „The Wind from nowhere", der hier 1969 unter dem deutschen Titel „Der Sturm aus dem Nichts" erschien. Damals hat mich das Phantastische des Romans gefesselt und ein wenig beängstigt. Heute sehe ich das Visionäre, das auch schon Autoren wie Hans Dominik und Jules Verne hatten. Und ich sehe, daß alles eintrifft, wovor kluge Menschen doch schon so lange warnen. Lassen wir noch einen anderen Expressionisten zu Wort kommen, Alfred Lichtenstein:

Der Sturm

Im Windbrand steht die Welt. Die Städte knistern.
Halloh, der Sturm, der große Sturm ist da.
Ein kleines Mädchen fliegt von den Geschwistern.
Ein junges Auto flieht nach Ithaka.
Ein Weg hat seine Richtung ganz verloren.
Die Sterne sind dem Himmel ausgekratzt.
Ein Irrenhäusler wird zu früh geboren.

In San Franzisko ist der Mond geplatzt.

Ich wünsche Ihnen allen einen schönen Tag!