Auf dem Schachbrett der Macht

Beverly Blankenship inszeniert für das Südthüringische Staatstheater Meiningen Schillers „Dom Karlos“

von Frank Becker
Dies Amt will einen Mann...
 
Beverly Blankenship inszeniert für das Südthüringische
Staatstheater Meiningen Schillers „Dom Karlos“

Remscheid. Hätten nicht etliche Schulklassen den Meininger „Dom Karlos“ im Remscheider Teo Otto Theater gebucht, die Schauspieltruppe aus Thüringen hätte Schillers Drama bei ihrem Gastspiel vor nahezu leeren Rängen gegeben. So aber war ein junges Publikum angesprochen, das seine Herzen als Barometer nutzt und das Hingabe zu würdigen weiß. Der Beifall lohnte die 190 Minuten intensiven Einsatzes auf der Bühne, die in Schillers Drama um den spanischen Infanten Don Carlos (spätere Schreibweise) mit der Hoffnungslosigkeit der Liebe in Zeiten absoluter Macht konfrontieren.
 
Liebe in Zeiten der absoluten Macht
 
1567. Spaniens Thronerbe Carlos (Benjamin Krüger) war Jahre zuvor von seinem Vater Philipp II. (Hans-Joachim Rodewald) aus Gründen politischer Raison um die Liebe Elisabeths von Valois (Evelyn Fuchs) gebracht worden, indem er sie zu seiner Frau und Carlos´ Stiefmutter machte. Doch liebt Carlos sie glühend weiter, will dem Vater dennoch in der drängenden Flandern-Frage zu Diensten sein, bekommt jedoch zur passenden Antwort: „Dies Amt will einen Mann und keinen Jüngling“. An der Liebe zu Elisabeth wird Carlos zerbrechen, Philipp wird unter dem Druck von Macht und Verrat dem Wahnsinn nahe kommen und Spanien durch Intrigen von Adel und Inquisition vor eine Zerreißprobe gestellt werden.
 
Ein Heißsporn in Turnschuhen
 
Friedrich Schiller war 25 Jahre alt, als er den „Karlos“ mit heißem Herzen zwei Jahre vor der Französischen Revolution schrieb. Sein Don Carlos ist ein schwärmerischer Heißsporn, den Benjamin Krüger als James Dean-Verschnitt in T-Shirt und Turnschuhen leider heftig überzieht: zu oft greift er sich an den Kopf, wirft er sich zu Boden, rennt und benutzt er die Gestik US-amerikanischer TV-Soaps. Da wäre weniger wesentlich mehr gewesen. Überzeichnet auch die Gräfin Eboli (Eva Kammigan), die mal unfreiwillig komisch, mal melodramatisch das Werkzeug der Macht ist. Evelyn Fuchs hingegen kann ihre in erzwungener höfischer Isolation und Etikette erstickende Elisabeth schmerzlich nah vermitteln. Ihr wird mehr Mitgefühl zuteil als dem irrlichternden Carlos. Der Marquis von Posa wirkt deplaziert - Michael Jeske vertut, unschlüssig inszeniert, die Chance des heimlichen Protagonisten, dessen Umsturzplan mißlingt. Hans-Joachim Rodewald, dessen Faust noch in guter Erinnerung ist, ist als Philipp II. auch in der Schwäche stark, sein emotionsarmer, strenger, mißtrauischer Regent („So lange der König schläft, ist er um seine Krone“), geht ihm brillant von der hageren Gestalt. Renatus Scheibe als mächtiger Herzog Alba, der Flandern blutig unterdrücken wird, agiert hölzern und blass. Reinhard Bock als Graf Lerma hingegen liefert ein leises, charaktervolles Kabinettstück.
 
Schmeißfliegen-Gesumm
 
Vermag Beverly Blankenship auch die strenge Hofetikette und die bürokratische Ordnung des spanischen Weltreichs auf dem Schachbrett des Bühnenbodens im wesentlichen deutlich zu machen, so überzieht auch sie in der Wahl ihrer pseudo-modernen Mittel: Gegensprechanlage, Archiv-Schiebeschränke denen die Figuren wie Aktenstücke entsteigen, Fotos als Beweismittel für Verschwörung und Untreue, Selbstladepistolen im Achselholster und die Vermischung von zeitgenössischer und moderner Garderobe (Ausstattung: Helge Ullmann) schlagen nicht die nötige Brücke zum Heute. Der übermäßige Einsatz von dröhnender Musik spanischer Gitarren und Geräuscheffekten wie ekliges Schmeißfliegen-Gesumm als Begleitung der Niedertracht kann Dramatik ebensowenig ersetzen wie das Gefuchtel mit Pistolen. Völlig unnötig auch die „Schreibtisch-Nummer“ Eboli/Philipp (wir wissen ja, daß der König der Hofdame mit den ausladenden Hüften seine „Gunst“ erweist) und die am nämlichen Schreibtisch an Elisabeth verübte Notzucht durch den zum Hahnrei gemachten Monarchen. Hier reagierte das Publikum nebst dem Kritiker mit deutlichem Mißfallen.
 
Pompös kokett
 
Beachtlich und erwähnenswert das hervorragende 60-seitige Programmbüchlein (Redaktion Gerda Binder), das als Sekundärliteratur zum „Don Carlos“ unbedingt bewahrenswert ist. Alles in allem konnte die auf pompöse Art kokette Aufführung den unerhörten Druck der Macht und Verantwortung in einem Reich, in dem die Sonne nie unterging, passabel begreifbar machen, wobei „Dom Karlos“ eine ganz unwichtige Figur blieb.
 
Weitere Informationen unter: www.das-meiniger-theater.de