"Orpheus in der Unterwelt" (und in Hof)

Georg Blümls Inszenierung ging über den Styx

von Alexander Hauer
Hof:  Orpheus in der Unterwelt
 
Der Unterschied zwischen
gut gemeint und gut gemacht
 

Als zu Beginn des Jahres die Gelegenheit hatte einen Blick auf die Besetzung von Jacques Offenbachs wohl bekanntester Opera bouffe zu werfen war ich glücklich. Das Theater Hof versprach einen musikalischen Hochgenuß. Marianne Lang als Öffentliche Meinung, Ingrid Katzengruber als Eurydike, Carsten Jesgarz als Orpheus, Thilo Anderson als Pluto. Das war schon sehr beeindruckend und es ging in gleichem Maße weiter. Die Erzkomödianten Peer Schüssler als John Styx und Jürgen Schultz, wer sonst, als Jupiter. Seine zickige Gattin wurde mit der bezaubernden Stephanie Rhaue besetzt, auch die „kleineren“ Götter großartig: Monika Hügel als Diana, Lisa Henningsohn als Cupido, Florian Bänsch als Merkur. Und  Karl Prokopetz ernennt die musikalische Leitung zur Chefsache. Na, das kann doch nicht schief gehen. Ginge es auch nicht, zu mindestens musikalisch.
 
Strapse statt Lämmer

D
er Premierenabend war dann doch nicht überzeugend. Die Öffentliche Meinung sitzt trinkend und

Marianne Lang ist die Öffentliche Meinung
mit Lockenwickler bestückt am 60er Jahre Teewagen und betreibt Telefonseelsorge für gefallene Gestalten der griechischen
Mythologie. Warum das Vorspiel dafür dreimal unterbrochen wurde, bleibt das Geheimnis von Karl Prokopetz und dem Regisseur Georg Blüml, der auch für die uninspirierte Textfassung verantwortlich ist. Aber dann geht’s los. Ort der Handlung: eine miefige Einfamilienhäuschensiedlung. Eurydike klagt der Öffentlichen Meinung ihr Los. Ihr Mann  sei langweilig. Das glaubt man ihr gerne, wenn man Carsten Jesgarz - stimmlich in seinen Gesangstexten hervorragend - während der Dialogszenen auf einen einzigen Satz reduziert, den er wie ein Demenzkranker immer wieder  von sich gibt: „Ich liebe Musik“. Schön, wir alle lieben die Musik, sonst würden wir nicht in die Oper gehen. Aber weiter geht’s. Auftritt Aristeus, ach ja, Herr Blüml verzichtet auf Aristeus, denn Thilo Anderson fährt teufelsgleich aus der Unterbühne hervor, nicht flankiert von den Lämmern und den Bienchen, nein, eine höllisch scharf bestrapste Begleiterin hat er dabei. Und Blüml verzichtet auch auf die mythologisch begründete Schlange, die Eurydike ins Totenreich befördert, nein Orpheus und Pluto handeln einen Auftragsmord aus, das heißt in diese Falle Pluto suggeriert Orpheus, daß er seine Frau los werden muß, und Orpheus stammelt: Ich liebe Musik. Ein kurzer Biß in den Hals und Eurydike weilt nicht mehr unter den Lebenden. Man fährt abwärts und Orpheus bekommt als Abschiedsgruß noch eine SMS seiner Gattin. Dem Glück des Witwers, sich jetzt ganz seiner Musik zu widmen, denn Frauengeschichten hat er ja nicht, steht nichts mehr im Wege, aber die Öffentliche Meinung zwingt den Musikus zum Olymp aufzusteigen und sein Weib zurückzufordern, dabei liebt er doch nur die Musik.

Sexuelle Freiheit für Oberfranken!
 
Der Olymp, eine verschlafene Gesellschaft, mit all den üblichen Verdächtigen. Äußerst originell und

Fliegenduett (Schultz/Katzengruber)
eine wirklich neue Erkenntnis ist die Bisexualität der griechischen Götter, ja Herr Blüml, die Geschichte muß neu geschrieben werden, Jupiter schmust mit Ganymed, ach ist das doch schön, daß sexuelle Offenheit auch nach Oberfranken dringt.
Auftritt Venus Mars und Cupido. Musikalisch überzeugend, der Text deckt sich leider nicht mit der Metrik der Musik, bleibt deshalb den ganzen Abend über sperrig und lästig. Das übliche Geplänkel zwischen Juno und Jupiter, Ankunft von Pluto, Revolution der Götter mit vor einem halben Jahr aktuellen politischen Anspielungen (Westentaschen-Lafontaine, Milchquote, etc). erscheinen von Orpheus und der öffentlichen Meinung und Abmarsch der Götter in die Hölle. Immer dann, wenn man sich an eine bewährte Übersetzung hielt, bekam die Show auf einmal Schwung. Pause – 2.Akt

Kußwalzer und Fliegenduett
 
Die Einfamilienhäuser des ersten Aktes wiederholen sich, flankiert von einem Atomkraftwerk. Das also ist die persönliche Hölle von Eurydike, oder von Georg Blüml oder seiner Ausstatterin Tanja Hofmann. Peer Schüssler und einige Herren des Chores geben die „biertittigen“ Ausgaben (ich darf
 
das schreiben, bin selber kein Adonis) des Höllenfürsten. Warum die Rolle John Styx, und Peer Schüssler ist ein grandioser John Styx, so knapp gehalten wurde ist unverständlich. Kleiner Höhepunkt das Fliegenduett Jupiter/Eurydike. Ingrid Katzengruber und Jürgen Schultz ziehen alle Register ihres komödiantischen Könnens. Weiterer Höhepunkt Lisa Henningsohns Kußwalzer. Dann Verwandlung zum Ball infernal. Roter Plüschsamt und die Leuchtschrift „Swinger Klub“ machen auch dem Dümmsten klar, worum es hier gehen soll. Nur scheint dieser Swingerclub unter der Leitung einer strenggläubigen Nonne zu stehen. Selten so etwas Unerotisches gesehen. Strapse, Lack und Leder umschmeicheln die Körper von Ballett und Statisterie. Nur, der erotische Funke wird zum Rohrkrepierer, zu aufgesetzt wirken hier die Kostüme. Also, es endet wie man es gewöhnt ist. Alle Beteiligten sind besoffen, die Öffentliche Meinung verliert die Contenance, Orpheus dreht sich zu Eurydike um, diese wird Bacchus zu gesprochen. Neu ist die Abschlußgeschmacklosigkeit, Orpheus schon in der Hölle zu zerreißen. Es gibt Regisseure, die es schaffen, Gewalt überzeugend auf die Bühne zu bringen, in Hof gelang es nicht.

Zauberhafter Cupido


M
ein Fazit, musikalisch war es ein sensationeller Abend, trotz Umstellung von einzelnen

Publikumsliebling: Cupido - Lisa Henningsohn
musikalischen Nummern, schön daß Stephanie Rhaue als Juno einen Gesangsauftritt hatte. Ingrid Katzengruber zog alle stimmlichen Register, ihre hysterischen Ausbrüche setzen neue Maßstäbe. Thilo Andersson ist ein verteufelt guter Pluto, Carsten Jesgarz überzeugt, genau wie Jürgen Schultz und Peer Schüssler, Marianne Lange war als Öffentliche Meinung in dieser Fassung leider unterfordert. Lisa Henningsohns Cupido war der allgemeine und berechtigte Liebling des Publikums.
Nach zweieinhalb Stunden und vielen verschwendeten Chancen endete der Abend unter, für Hofer Verhältnisse, sehr kurzem Applaus.
 
Fotos von SFF Fotodesign