Baustelle Deutschland

Mathias Richling punktete im Wuppertaler Schauspielhaus mit seinem Programm E = m·Richling²

von Frank Becker

Ein Querdenker mit Biß

Mathias Richling findet einiges relativ anrüchig


Restlos ausverkauft wünscht sich wohl jeder Intendant sein Theater - immer. Daß es im Wuppertaler Schauspielhaus gestern Abend der Fall war, lag an dem illustren Gast,  einem der letzten großen politischen Kabarettisten deutscher Zunge: Mathias Richling. Mit seinem Programm "E = m·Richling²" füllte er die Ränge bis auf den letzten Platz und begeisterte in 100 Minuten nonstop ein Publikum, das seine Abrechnung mit der Politik und den Zuständen im Lande der großen Koalition begierig aufsog. Wie hungrig nach ungeschminkten Wahrheiten die Menschen sind, bewiesen die ungeteilte Zustimmung und der schließliche minutenlange jubelnde Applaus, die Richling neben seiner sicher ordentlichen Gage als Zubrot des Künstlers erntete.

Gegen Phrasendrescher und Ewiggestrige

Von der ersten Minuten an hatte der kabarettistische Terminator den Fuß auf dem Gaspedal, verteilte schallende öffentliche Maulschellen,
schlüpfte schon mal in die Haut der Gescholtenen, um mit den Mitteln der Parodie den Finger in die klaffenden Wunden zu legen, räumte ohne falsche Rücksichten mit der ganzen ruchlosen Mischpoke auf. Sein Spott traf die politischen Emporkömmlinge und Dummschwätzer in Berlin nicht weniger als den beim Kabarettpublikum so beliebten Münchner Stotterer.  Der schwarz-rot-goldene Zappel-Philipp legte einen Stoiber hin, gegen den der echte wie eine schlechte Kopie wirkt. Die Phrasendrescher der etablierten Parteien wurden ebenso  wenig verschont wie die Ewiggestrigen der zukünftigen neuen Linkspartei. Ja hat man denn schon vergessen, wie die SED, die in der demokratischen Waschstraße zunächst zur PDS mutiert ist und sich nun mit dem saarländischen Kasper Lafontaine als Steigbügelhalter zu neuer Macht aufschwingen will, damals in der DDR gehaust hat? Diesen Demagogen muß man doch genauso den Boden entziehen wie den unbelehrbaren Rechtsaußen. Mathias Richling benutzt einen Vergleich, der unappetitlich klingt - aber das ist die Sache ja auch: "Das mit dem Gammelfleisch ist wie die PDS - eklig. Hat sich nicht übrigens einer von dem Gammelfleisch-Skandal neulich erhängt? Na also, geht doch!"

Für Franz Müntefering hat er die griffige Definition gefunden, die an dem Parolen-Papst der weichgespülten Sozialdemokraten kleben bleiben könnte: der neue Ulbricht des Westens. Ihm  wie der angeblichen Gesundheitsministerin (ihre als neues Konzept gerechter Versorgung durch einen völlig überforderten Bundestag gequälte "Reform" tritt ja angemessen morgen, am 1. April in Kraft) und der Meisterin des hohlen Geschwafels, der Chefin Merlkel selbst, bescheinigt Richling Meisterschaft in der Disziplin des Leerformel-Weitwurfs. Sind denn die Aussagen von Politikern wirklich vage? "Nur, wen sie genau hinhören!" Das ging wieder gegen Münte. Dessen politische Sonntagsregen gehen offenbar nicht nur dem Kabarettisten gegen den Strich.


Passivraucher (und -denker?)

So wie Mathias Richling als Sigmund Freud Angela Merkel analysiert, hält er auch dem Publikum den Spiegel vor. Denn stets bestätigen die Menschen die Binsenweisheit, daß sie die Vertreter haben, die sie verdienen. Aber so viel Prügel, wie der zeit von der Koalition im schwarz-roten Einvernehmen (wo ist das Gold geblieben?) gegen das eigene Volk verteilt, haben wir nicht verdient.  So wie der Passivraucher von dummen Zeitgenossen zum Mitinhalieren gezwungen und dem Krebsrisiko ausgesetzt wird,
müssen alle, die diese Koalition nicht gewollt haben, deren immer deutlicher werdenden Schäden mit tragen. Nebenbei: was zahlt eigentlich die Tabaklobby Parlamentariern und Ministerpräsidenten, damit sie die bewiesenen Gesundheitsfolgen ignorieren und klein reden? Aber das interessiert nicht einmal Frau Schmidt.

Vorsicht mit der Wahrheit!

Die Vokabel "Wahrheit", die in der Politik so verschwenderisch benutzt wird, führte Mathias Richling vorsichtig im Munde. Ob es das Schäuble´sche Vernuscheln derselben ist, der selbstgefällige Umgang unseres bigotten Präsidenten damit oder ihr täglicher Mißbrauch im "Europäischen Palaverment": mit der Wahl einer Restmüll-Tonne als politische Bütt - für die Nicht-Rheinländer: als Redner-Podium - konnte es wohl kaum besser illustriert werden. Die Lüge ist uns durch die Wahlversprechen und die Feuerlöschversuche unserer Volksvertreter so vertraut, daß auch hier die Definition Richlings greift: "Die Lüge ist der Stuntman, der die Wahrheit in brenzligen Situationen vertritt." Querdenker Richling öffnet die Augen - hinschauen müssen wir schon selber.