Osterferien-Lesefutter

Quer durch die Bücherlandschaft - vorgestellt

von Robert Sernatini

Foto © Frank Becker
Aus der Schmökerecke
Bücher für die Osterferien


In einigen deutschen Bundesländern sind die Osterferien schon eingeläutet worden, in anderen scharren die Schüler schon mit den Hufen. Und weil die Schulbehörden in diesem Jahr sehr großzügig sind, ist die Zeit zum Ausspannen zum Teil ordentlich lang. Das verlockt Familien zum gemeinsamen Urlaub, in dem man die ersten Sonnenstrahlen genießen und sich auch ab und an mit einem Buch in die Schmökerecke zurückziehen kann.
Wir haben einen kleinen Querschnitt unterhaltsamer Literatur zusammengestellt, um Ihnen die Auswahl evtl. ein wenig zu erleichtern. Vielleicht ist ja für Ihren Geschmack das passende Buch dabei. Das würde uns freuen. Und keine Sorge: die einzige Gefahr des Buches liegt darin, daß man von Fall zu Fall abends nicht aufhören kann. Das betrifft alle die Bücher, die wir Ihnen heute hier präsentieren, ob es (Auto-)Biographien sind, Sachbücher, große oder kleine Romane. Über aktuelle Krimis informieren wir Sie in einer eigenen Kolumne.

Asterix´ Vater

Alle kennen seit Lese-Generationen die Comic-Zeichnungen des Franzosen Albert Uderzo (*1927), der vor allem durch die gemeinsam mit René Goscinny entwickelte Serie um den tapferen Gallier
 
Asterix, seinen Freund Obelix und das gallische Dorf, das den Römern erbitterten Widerstand leistet, berühmt wurde. Schon davor hatte er sich als Zeichner von "Pit Pistol", "Tanguy", "Luc junior", "Umpah-pah" u.a. einen Namen gemacht, doch mit "Asterix der Gallier" kam der Durchbruch. Die Bücher von Uderzo und Goscinny wurden in unzählige Sprachen (in Deutschland auch in viele Dialekte) übersetzt und erreichten dreistellige Millionenauflagen. Nach dem frühen Tod des Partners machte der lebensfrohe Ferrari-Fan Albert Uderzo alleine und erfolgreich weiter.
Der Verlag EGMONT/Ehapa hat in seiner Reihe "Comic Collection" jetzt die 2008 erstmals in Frankreich erschienene Autobiographie Uderzos herausgebracht, die er anläßlich seines 80. Geburtstags 2007 geschrieben hatte. Locker und leserfreundlich formuliert, in griffige kurze Kapitel verpackt erzählt der erfolgreiche und vielfach ausgezeichnete Künstler sein privates Leben an der Seite von Ehefrau Ada und die berufliche Entwicklung von den frühen Anfängen als Autodidakt bis zum Star. Er bleibt dabei allerdings spürbar an der Oberfläche, so wie ein Plauderer in animierter Gesellschaft von Fremden. Man merkt, daß ihm das Schreiben weniger liegt als das Zeichnen. Dennoch sehr lesenswert, weil ein erster Einblick in die Szene.
Albert Uderzo: "...erzählt sein Leben" - © 2009 EGMONT/Ehapa Comic Collection, 285 Seiten, 16 Foto-Seiten, Broschur, 19,90 € - www.ehapa-comic-collection.de

Erotisches von und für Literaten

"Ach ja, früher war da mehr...", wird der eine oder andere seufzen, der die Erotik in der Literatur oder gar im eigenen Leben vermißt. Der Diogenes Verlag hat den Seufzer mit einer hochwertigen
 
erotischen Anthologie aufgegriffen. Daniel Kampa hat Erzählungen von Gabriel Garcia Marquez, Leon de Winter, Ian McEwan, Doris Dörrie, Henry Slesar, Philppe Dijan, Bernard MacLaverty, Arnon Grünberg, John Irving, Ray Bradbury, Javier Marias, David Lodge, John Updike und Jeffrey Eugenides zu einem delikaten Kompendium zusammengestellt, das eine Bahn- oder Flugreise, eine Ferienwoche im Strandkorb oder einen verregneten Tag daheim kurzweilig mit dem gewissen Kick gestaltet. Natürlich fehlt auch
Vladimir Nabokov mit einem Kapitel seiner "Lolita" nicht, hat F.K. Waechter eine herrliche kleine Spanner-Geschichte in drei Sätzen beigetragen und Roland Topor den schönsten Busen der Welt. Und zum Glück müssen wir weder Henry Miller noch Charles Bukowskis scheinbare Erotik, die nichts anderes als Pornographie ist, ertragen. Diogenes liebt es stilvoll literarisch, nichtsdestoweniger subtil erotisch.
"Früher war mehr..." - Hinterhältig erotische Geschichten, © 2009 Diogenes Verlag, 355 Seiten, Broschur, detebe 23687, 9,90 € - www.diogenes.ch

Sehn´se det is Berlin!

Neukölln beginnt am Hermannplatz. Mit diesem lakonischen, grandiosen kleinen Satz beginnt Johannes Groschupf (kein Berliner!) sein empfindsames Portrait eines Berliner Stadtteils der kleinen
 
Leute: Hinterhofhelden". Hans Odefey kommt Anfang der 80er Jahre zum Studieren nach Berlin. Eine Wohnung findet er wie viele Studenten zu dieser Zeit in einer Ecke, die viel für Berlin Typisches hat - was nicht immer unbedingt anheimelnd sein muß, aber eben Berlin ist. Mit O-Tönen. Hinterhof, 4. Stock, Klo auf halber Treppe, Klopfstange und Müllkästen im Hof, Dielen ochsenblutrot. Es gibt das ganze Personal des kleinbürgerlichen Berlin, Stammkneipe "Ambrosius", BVGlern, miesepetrigem bulligem Hauswart, dessen rolliger blondierter Gattin mit großem Herzen und eben Nachbarn. Auch eine Liebesgeschichte steckt mit drin. Und ein Boxkampf. Wer etwas über Berlin und seine Menschen erfahren und sich zugleich wunderbar unterhalten möchte, ist mit diesem kleinen Roman bestens bedient. Ein Buch wie das Leben, mal schön, mal traurig, mal brutal, mal versöhnlich.
Der Braunschweiger Groschupf schöpft, so scheint es, aus eigenen Erfahrungen, denn hinter (oder in) seinem Protagonisten steckt eine Menge von ihm selbst - verrät seine Biographie. Aba eins, Herr Jroschupf: in Berlin heeßt det "Taxe" und nich "Taxi"!
Johannes Groschupf: "Hinterhofhelden", © 2009 Eichborn Berlin, 218 Seiten, gebunden, mit ill. Schutzumschlag, 19,95 € - www.eichborn.de

Primäraromen

Ein opulentes "Bücher-Menu in 12 Gängen" kredenzt Hanns-Josef Ortheil in seinem wörtlich zu nehmen delikaten jüngsten Buch "Lesehunger". Ein beneidenswerter Mann, der nicht nur schöne
 
Romane schreibt, sondern sich die Zeit zu ausgiebiger Lektüre gönnt - was (sic!) wiederum zu Literaturen führt. Nun also dies kundige Buch über Bücher, das - nicht im Geringsten unbescheiden - literarische Gespräche protokolliert: schau mal, das habe ich alles gelesen... Da hagelt es förmlich Namen quer durch die deutschsprachige und Weltliteratur, werden Orte und Plätze der Literatur- und Kulturgeschichte zum selbstverständlichen Tummelplatz und ganz nebenbei werden Penne mit in Olivenöl angeschmortem Gemüse geköchelt und wird auch eine Forelle in der Folie gegart. Zwischendurch Champagner? Aber sicher, natürlich nur die Lieblingsmarke Ruinart Rosé (
Eine Assemblage von 45 % Chardonnay aus Premier Cru-Lagen und 55 % Pinot Noir, davon 18 % als Rotwein ausgebaut. Aussehen Leuchtendes orangefarbenes Rosé, das an Rosenblätter erinnert, sehr feinperlig, lebendig. Duft feine, subtile Frucht, die ganz an rote Beeren erinnert: Rote Johannisbeeren und Brombeeren. Schöne Duftintensität, die von Primäraromen geprägt ist. Geschmack Im Geschmack harmonisch, ausgewogen. Ein feiner Wein, weich und rund mit Noten von Sauerkirsche. Im Finale eine mittlere Länge von 5-6 Caudalie. Kostet auch nur 29,50 € die halbe Flasche zu 0.375 l). Herr, welche Eitelkeit! Ortheil macht sich mit der Dekadenz dieses Buches nicht sympathisch - doch als Leseanregung ist es allemal eine Offenbarung, und der moderate Preis macht es allemal interessant.
Hanns-Josef Ortheil: "Lesehunger -
Bücher-Menu in 12 Gängen", © 2009 Sammlung Luchterhand, 235 Seiten, Klappenbroschur, 8,- € - www.luchterhand-literaturverlag.de

Der Schaum der Tage

Dieses Buch fehlte seit seiner Erstausgabe 1989 bei Wagenbach schmerzlich. Die überarbeitete Neuauflage als WAT 529 ist ein Labsal. Klaus Völker, verdienstvoller Herausgeber der Boris
 
Vian-Gesamtausgabe, hat auch dessen Biographie besorgt und man darf sagen, das hätte nebst der Gestaltung durch Julie August wohl niemand besser hinbekommen. Boris Vians Leben (1920-1959) war ein einziger Tanz voller Arbeit, Abenteuer, Auflehnung, Scherze Widersprüche, Katastrophen. Jazztrompeter, Schriftsteller, Intellektueller, Schauspieler, Übersetzer, Ingenieur - Vian hinterließ überall Spuren. Sein Romanwerk, allen voran die Romane "Der Schaum der Tage", "Der Herzausreißer", "Wir werden alle Fiesen killen" und "Ich werde auf eure Gräber spucken", erfuhr eine späte Renaissance und zählt jetzt zu den interessantesten Literaturen Frankreichs nach 1945, auch in den deutschen Übersetzungen zur Kult-Literatur geworden.
Klaus Völkers Biographie erzählt mustergültig aufgebaut das Leben Vians, der 1959 während einer Probe-Vorführung des Films nach seinem Roman
"Ich werde auf eure Gräber spucken" starb. Ein würdiges, wenn auch verfrühtes Ende, ein würdiges Buch. Der brillant an den Fuß der Seiten gestellte Anmerkungs- und Bild-Apparat ermöglicht ungestörte Lektüre, aber auch die gezielte genußvolle Abschweifung. Im Sinne der Pataphysik (was dieser höhere Nonsens war, ist in einem Kapitel nachzulesen) lebte und starb Boris Vian.
Klaus Völker: "Boris Vian - Der Prinz von Saint Germain", © 1989/2006/2009 Verlag Klaus Wagenbach, 191 Seiten, Broschur, WAT 529, 12,90 € -
www.wagenbach.de

Episch

Ich muß zugeben, daß ich es wegen seines epischen Umfangs noch nicht geschafft habe, diesen Roman zu Ende zu lesen. Dennoch soll er seinen Platz in dieser Kolumne finden. Schließlich ist Joey
 
Goebels "Heartland" ein wundervoller Entwicklungsroman, der in einer Welt stattfindet, in der das Entwickeln naturgemäß sehr schwer ist: in der Provinz im Herzen der USA. Da wir wissen, daß eigentlich die ganzen USA eine einzige Provinz sind, das Denken eingeschlossen, sind wir darauf vorbereitet, was uns also in Bashford erwartet, der Heimat unseres Anti-Helden Blue Gene Mapother. Dessen Leben scheint schon mit 27 gelebt zu sein. Nichts passiert mehr, sicher auch, weil er es nicht will. Er hängt rum, vernachlässigt alte Freundschaften, handelt mit Trödel, ißt Fastfood, trinkt Bier und Limonade, liebt Waffen, TV und Monstertrucks. Bis die Liebe und die Politik Einzug in seine selbstgewählte Isolation halten. Blue Gene fängt wieder an zu leben und zu handeln. Joey Goebel gehört sicher zu den ganz großen Entdeckungen der amerikanischen Literaturszene. John Irving hat ernsthafte Konkurrenz oder gar einen Nachfolger in der Publikumsgunst gefunden. Reicht für einen ganzen Urlaub.
Joey Goebel: "Heartland", © 2008 Diogenes Verlag, 712 Seiten, Leinen m. Schutzumschlag, 22,90 € - www.diogenes.ch

Redaktion: Frank Becker