Aus dem finnischen Bilderbuch

Toshiyuki Kamioka tanzt den Sibelius

von Frank Becker
 
Tanz den Sibelius!
 

Hartmut Müllers Baßtuba und Martin Schachts Kesselpauken eröffnen mit Wucht und dramatischem Akzent die „Finlandia“ op. 26 des National-Tondichters der Finnen, Jean Sibelius. Es ist interessant und wichtig zu wissen, daß die herrliche Komposition anno 1899 durchaus als flammendes Fanal der Auflehnung gegen die Unterdrückung durch die Zarenkrone zu betrachten ist, unter der das Land damals als russisches Großfürstentum regiert wurde. Kein Wunder also, daß sie von den Russen flugs verboten wurde. Wuppertals GMD Toshiyuki Kamioka riß bei der Aufführung heute Vormittag die Instrumentengruppen, zumal die Celli und Violinen in spürbarer Begeisterung mit in dies aufgewühlte hymnische Werk, das er am Pult förmlich tanzte. Da konnte man es nahezu als Glücksfall betrachten, daß die ursprünglich an dieser Stelle vorgesehene Uraufführung einer Auftragskomposition von In Sun Cho verschoben werden mußte und das Konzert dadurch ein reines Sibelius-Programm wurde.
 
Glanzvoll zelebrierten das Orchester und die hervorragende Solistin Alina Pogostkina (auf ihrer Stradivari aus dem Jahr 1709) das Violinkonzert d-Moll op. 47, das Sibelius aufgrund seines unerhörten Schwierigkeitsgrades nach der Uraufführung 1904 umarbeiten mußte. Zu hören war die revidierte Fassung von 1905, allemal eine enorm hohe Anforderung auch an gestandene Geiger. Zarter als Alina Pogostkina (25) kann man den Auftakt dieses Konzerts wohl kaum gestalten, ihr Strich schien aus dem Nichts zu kommen um dann bruchlos im Verband mit dem glänzend aufgestellten Orchester den Faden zu höchster Brillanz und Virtuosität fortzuspinnen. Geradezu traumhaft darf man ihre fast schwerelose Beherrschung auch der höchsten Schwierigkeitsgrade nennen. Toshiyuki Kamioka, der das komplexe Werk vom Blatt dirigierte, gelang es dabei, den Solo-Part und den Orchesterklang organisch zu verschmelzen.
Mein Kollege Peter Bilsing und ich haben hier gelegentlich unser Mißfallen über Konzerthuster geäußert. Auch heute wurde das Vergnügen am Violinkonzert – bis ins Orchester hörbar, wie von Musikern bestätigt wurde – und an der exorbitanten Leistung auch und vor allem in zarten Soli der Violine, durch solche Rücksichtslosigkeiten geschmälert. In die Ruhe des atemlos lauschenden Saales brachen ungedämpft, heftig und andauernd Hustenkaskaden einer Dame, die ich nicht namentlich nennen werde. Sie wird wissen, daß sie gemeint ist. Wenn man so erkältet ist, geht man nicht ins Sinfoniekonzert.
 
Sibelius´ Sinfonie Nr. 1 e-Moll op. 39, im selben Jahr wie die „Finlandia“ entstanden, ist ein sich 35 Minuten lang entfaltender, aus musikalischen Versatzstücken gewebter prächtiger Flickenteppich von monumentalen Ausmaßen. Zierliche Borten, prächtige Muster, große lyrische Bilder, kleine Idyllen und gewaltige Eruptionen werden hörbar – wieder mit ganzem seelischem und körperlichen Einsatz von Toshiyuki Kamioka geleitet, der seine Gruppen, Solisten und Tutti anfeuerte, begeisterte, beschwor und zu Höchstleistungen führte. Ein Bad in herrlicher Musik.
 
Morgen (Montag) Abend noch einmal zu hören: Konzert um 20.00 Uhr in der Stadthalle Wuppertal, Einführung um 19.00 Uhr mit Prof. Dr. Lutz-Werner Hesse
Weitere Informationen unter: www.sinfonieorchester-wuppertal.de
Lesen Sie per Mausklick zum Rätsel des Konzerthusters auch:"Das Phänomen" - Eine Klageschrift von Dr. Klaus-Ulrich Moeller www.musenblaetter.de/artikel.