Francois Villon - Das Große Testament (5)

Eine Balladeüber das nämliche Thema (die Liebe) und der Beginn der Niederschrift des Testaments

von Ernst Stankovski
François Villon
Das Große Testament

Übertragen von Ernst Stankovski



Doppelballade
über das nämliche Thema
 
Schau' wie sie tanzen bis tief in die Nacht,
trinken und schäkern und sich amüsieren.
Wie jeder Strumpf ihr Begehren entfacht,
wie sie aus Liebe die Köpfe verlieren.
Wie sie sich selbst an der Nase 'rumführen,
blind, so wie Simson, besingen den Mond:
Glaubt mir das Wort - es wird euch kurieren:
Glücklich ist der, den die Liebe verschont.
 
Orpheus'_ der Sänger, verliebter Tenor,
hätt' Euridike gern dem Hades entrissen.
Leider stand Zerberus wütend davor,
hat mit vier Mäulern ins Bein ihn gebissen.
Auch an dem Tode des eitlen Narzissen
­könnt ihr erkennen, daß Liebe nicht lohnt:
Fiel in den Brunnen, von Herzleid zerrissen.
Glücklich ist der, den die Liebe verschont.
 
Sardanapal, durch die Liebe entmannt,
ist diesem Wahnsinns spiel auch nicht entronnen.
Saß parfümiert an gepolsterter Wand,
hat mit den Weibern gestrickt und - gesponnen.
Selbst König David':- verfiel diesen Wonnen,
als er Bathseba im Bad beigewohnt.
Trieb's mit ihr, statt einen Psalm zu vertonen.
Glücklich ist der, den die Liebe verschont.
 
Amon bekam nie von Kuchen genug.
Amon, der nach seiner Schwester so gierte,
und hinter'm Herd sie, als sie grade buk,
blutschänderisch auf dem Backbrett verführte.
Oder Herodes gar, dieser Verirrte,
der, hoffend daß es die Tochter ihm lohnt',
ihr einen blutenden Schädel servierte.
Glücklich ist der, den die Liebe verschont.
 
Aber auch mich hat der Wahnsinn gepackt,
Glück suchte ich in der Treue der Frauen.
Bis sie mich, statt einer Liebesnacht, nackt,
wie nasse Wäsche, mit Stöcken gehauen.
Sie selbst umfing mich mit Zähnen und Klauen –
­Kathrin Vausselles, daß der Satan dir's lohnt
­ich will ab heut' keinem Weibe mehr trauen.
Glücklich ist der, den die Liebe verschont.
 
Treibt es nur weiter und tanzt um das Kalb,
laßt euch von girrenden Lippen betören,
an eure Freuden sind letztlich nur halb,
weil sie zur Hälfte den Weibern gehören.
Wenn sie auch brünstig im Bettschweiße schwören,
welch hohes Glück ihrem Schrei innewohnt:
Nur ihre Hälfte ist's, die sie begehren.
Glücklich ist der, den die Liebe verschont.


Worauf Villon beginnt, sein Testament zu diktieren:

55  Hätt' sie, der ich mich ganz ergeben, / für die ich alles hab' gewagt,
um die voll Kummer ward mein Leben, doch gleich die Wahrheit mir gesagt.
Ich hätt' mich sicher nicht beklagt / am Anfang in der ersten Zeit,
und hätt' es mir auch nicht behagt, / mich rechtzeitig von ihr befreit.
 
56  Doch sie hat mich mit Lust betört, / verworren mich mit Vorbedacht,
wenn ich verliebt sprach, zugehört, / und mir mit Blicken Mut gemacht.
Ich durfte sie in mancher Nacht / umarmen, streichen ihr das Haar,
Und vieles hätte ich gedacht, / nur nicht, daß alles Spiel nur war.
 
57  Die Phantasie war irrgeleitet / durch ihren heuchlerischen Kuß.
Ich habe alles fehl gedeutet, / kam immerfort zum falschen Schluß,
Sah edles Zinn im Eisenguß, / aus Asche wurde Wangenpuder,
der Kutschengaul ein Pegasus; / sah sie als Engel statt als Luder.
 
58  Zum Himmel wurde mir die Pfanne, / zur Windmühle verdreht das Schwein,
Das Kalbsfell schien, in ihrem Banne, / ein Wolkenschloß im Sonnenschein.
Aus warmem Bier ward edler Wein, / an dem ich trunken mich gelabt.
Ein Strick durfte 'ne Goldschnur sein, ein schlanker Geck - der fette Abt.
 
59  So habe ich mich selbst betrogen, / nur falsche Bilder mir gemacht.
Der Liebeswahn hat mich belogen, / den sie mit Eifer angefacht.
Wir Männer sind in Weibermacht, / das Letzte wird uns abgepreßt.
Doch keiner ward je so verlacht / wie ich: als Held, den man nicht läßt.
 
60  Drum will ich nichts von Liebe wissen, / wenn sie noch so verlockend sei.
Mich hat in's Elend sie gerissen, / ihr Zauber ist für mich vorbei.
Die Frauen sind mir einerlei. / Wer klug wird, wird zum Frauenhasser
und meidet ihren Ringelreih'. / Begoss'ner Pudel scheut das Wasser.
 
61  Dein Leben ist dem Wind vertraut, / läßt du dich von der Liebe tragen.
Sie bleibt stets eine falsche Braut, / magst du nun drohen oder klagen.
Und solltet ihr mich böse fragen, / warum ich meinen Mund nicht halt'?
So wißt: Jetzt darf ich alles sagen, / ich bin so frei, ich sterbe bald.
 
62  Es bricht das Blut mir aus dem Munde, / vermengt mit Brocken grüner Galle.
Bald dreh' ich meine letzte Runde, / bald ist die letzte Flasche alle.
Nicht einmal mehr die dumme dralle / Jeanette, die nach jedem giert,
will mit mir Narr noch in die Falle, / weil sie so nah dem Tode friert.
 
63  Thibault dank' ich's, dem hochverehrten, / der Kübel Wasser in mich goß.
Von dem sie mehr noch in mich leerten, / als in zehn Tagen säuft ein Roß.
Der mich in schwere Ketten schloß, / ich bet' für ihn - et reliqua -­
daß alles, was durch ihn mein Los, / Gott ihm vergelt' - et cetera.
 
64  Trotzdem will ich auf ihn nicht poltern, / er hat mir stets nett zugelacht.
Und auch sein Richter, der beim Foltern / so wunderhübsche Witze macht.
Robert der Zwerg / der mich bewacht' / mit seinen widerlichen Zügen,
sie alle lieb' ich - wohlbedacht ­/ so wie das Rindvieh liebt die Fliegen.
 
65  Und Schmeißfliegen gibt's ja en masse / die auf mein Werk sich niederlassen,
in ihrem lächerlichen Haß / mir stumpfe Hiebe gern verpassen.
Als ich Legate hinterlassen, / da nannten sie's mein »Testament«.
Was dein war, gehört schnell den Straßen. / Ein altes Lied, das man ja kennt.
 
66  Mein Testament wird jetzt geschrieben, / hab ich auch keinen blinden Groschen.
Doch für die wen'gen, die mich lieben, / ist auch mein Mitleid nicht erloschen.
Drei Fuder Stroh, fein ausgedroschen, / bekam damal Marchand la Barre.
Ich schenke heut ihm statt Galoschen, / den Lumpen, der mein Schnupftuch war.
 
67  Doch wer ausgeht mit leeren Händen / von meinen heißgeliebten Erben,
mag an Moreau, Provins, sich wenden, / oder sich bei Turgis bewerben
um sein Legat, nach meinem Sterben. / Kann sein, daß er umsonst sich wendet,
daß die ihm gar das Fell noch gerben, / weil meine Erbschaft längst verpfändet.
 
68  So sei hier feierlich testiert, / ganz Frankreich mache ich es kund,
(weil es Firmin brav aufnotiert, wenn er nicht schläft, der faule Hund)
daß ich vor meiner letzten Stund' / noch bleibendes Verdienst erwerbe,
indem aus meiner Freunde Rund' / ich keinen einzigen enterbe.
 
69  Mein Kopf ist heiß und fieberschwer / ­die Zunge will kaum folgen mir.
Firmin, wach' auf und setz' dich her, / nimm Tinte, Feder und Papier.
Und alles was ich sage dir, / sollst du getreulich niederschreiben,
daß diese Worte ewig hier / mein Teil auf dieser Erde bleiben.
 
70 Ich glaub´ - das schreibe zu Beginn - / ­an Christus, jungfräulich geboren.
Er ist der Schöpfung letzter Sinn, / die einz'ge Hilfe für uns Toren.
Zu uns'rer Rettung auserkoren / vom Vater, wie er es verhieß,
daß wir auf ewig nicht verloren, / dereinst erschau'n das Paradies.
 
71  Denn alle Menschen wär'n verloren, / würd' Gottes Gnade sie nicht retten.
Sie müßten sündig, ewig schmoren / in Flammenpfuhl und Höllenröten.
Nur Patriarchen und Propheten / die Heiligen, die wir wohl kennen,
die nehm' ich aus aus Feuersnöten, / weil sie den Arsch sich nie verbrennen.
 
72  Nennt mich jetzt keinen Lästerkübel, / wenn euch die starken Bilder stör'n.
Ich nehm sie gradwegs aus der Bibel / und aus dem Munde uns' res Herrn.
In Gleichnissen sprach er sehr gern, / daß sich die reichen Sünder werden
in heißen Flammen einst verzehr'n / für ihre Freuden hier auf Erden.
 
73  Indessen fahren dann die Armen / aus diesem Lebensabenteuer,
durch Gottes Gnade und Erbarmen / einst reiche Ernte in die Scheuer.
Doch ungekühlt schwitzen im Feuer / alle, die soffen, fraßen, spielten.
Denn Schnaps ist in der Hölle teuer, / womit sie hier den Brand stets kühlten.
 
74  Gott schütze euch vor Höllenstrafen, / mag auf den rechten Weg euch schicken,
er laß' euch immer ruhig schlafen, / wie's mir schon lang nicht mehr will glücken.
Mein kraftentleerter, krummer Rücken, / der meine Last kaum stützen kann...
ich hör schon auf, ich muß mich schicken. In Gottes Namen, geh'n wir's an.
 
75  Erst sei die Seele anempfohlen / der Heiligen Dreifaltigkeit.
Und Unser Lieben Frau befohlen, / der Gottesmutter, benedeit
von Ewigkeit zu Ewigkeit. / Ihr Zungen der Neun Engelchöre
erfleht Gottes Barmherzigkeit, / daß er den Sünder dort erhöre.
 
76  Den Leib vertraue man der Erde, / der Mutter aller Daseinskraft.
Daß wieder Staub zu Staube werde, / sein Modern neues Leben schafft.
Er hatte nicht mehr sehr viel Saft / (die Würmer mögen mir vergeben),
so mancher beginnt abgeschlafft / den weiten Weg ins ew'ge Leben.
 
77  Item, der Vaters Statt vertreten, / Onkel Guillaume de Villon,
sei um Verzeihung hier gebeten / ­ich war ihm wohl ein schlechter Sohn.
Er hätt' den Weg gewiesen schon / dem Neffen, wie man Heil erlangt.
Doch ich verwarf seine Raison, / hab' ihm die Mühen schlecht gedankt.
 
78  Drum erb' er meine Bücherbank / samt meinem Werk »Der Teufelsfurz«.
(Gerade weil ein Leben lang / er traurig war ob meinem Sturz,
lese er jetzt den »Teufelsfurz«.) / Da drin steh'n ein paar gute Witze.
Und lacht er dann vielleicht mal kurz, / so war mein Dasein doch was nütze.
 
79  Item dies Lied hier, ich verschreib' es / der Frau, die meine Mutter hieß.
Die aufstöhnend, gequälten Leibes / in dieses Leben mich entließ.
Ich danke ihr gewiß nur dies ­/ sie hat ja selbst sonst nichts besessen.
Nur Liebe, die sie mir erwies. / Und dafür sei sie unvergessen.



Wer den Original-Ton hören möchte, kann das mit der CD zum Programm: www.kip-media.de
Informationen über Werk und Wirken Ernst Stankovskis unter: www.ernst-stankovski.com und www.musenblaetter.de

Lesen Sie am kommenden Mittwoch weiter:
"Das Große Testament" des François Villon.
Redaktion: Frank Becker