Sprachlos komisch (10)

Bildergeschichten ohne Worte - von Adamson bis Ziggy

von Joachim Klinger

Klinger © Klinger
Sprachlos komisch (10)

Bildergeschichten ohne Worte
- von Adamson bis Ziggy -


Nicht immer ist das Unglück unausweichlich - obwohl es so aussieht. Die Comic-Figur entwickelt plötzlich Pfiffigkeit, ersinnt einen Trick oder eine List und kann sich retten. Oder: sie folgt nichtsahnend einer Eingebung und verläßt die Gefahrenzone im rechten Augenblick. Oder: es kommt ihr ein glücklicher Zufall zu Hilfe.
Adamson steigt auf Stelzen, um den Attacken eines bissigen Köters zu ent­gehen. Auf die Angriffslust grober Kerle hat er sich in kluger Vorausschau eingestellt. Unter dem hohen Hut, der Grobiane reizt, trägt er vorsorglich eine Pickelhaube. Den Schaden hat der Angreifer.
Ein anderes Mal stülpt er den Hut über einen kurzen Metallpfosten neben der Parkbank. Wer den Hut wegtreten will, wird sich den Fuß verstauchen.

© Joachim Klinger
Oder ein letztes Beispiel: Die Comic-Figur beugt sich zu einer kleinen Katze herab, und der Schneeball, der den Mann treffen sollte, zerplatzt im Ge­sicht eines heranstapfenden Hünen, der den jugendlichen Übeltäter alsbald über das Knie legen wird.
Das Lachen, das sich in Fällen dieser Art beim Betrachter einstellt, ist ein befreiendes, erleichterndes; denn im Grunde möchte er, daß die Geschich­te gut ausgeht. Noch "schöner" als der Schadenseintritt bei anderen ist die überraschende Schadensabwehr oder -verhinderung. Wann schmunzelt man "nur", wann lacht man? Wenn das erwartete komische Ergebnis übertroffen wird durch etwas Un­erwartetes, Verblüffendes, dann ist der Lacherfolg ziemlich sicher. Dafür stehen die Beispiele.

Lachrezepturen gut gemischt


Dieses überschießende Element sollte man also einer Lach-Rezeptur beimi­schen. Noch wirkungsvoller kann die tragende Idee einer Bildergeschichte ohne Worte sein, wenn das Ende völlig offen und nicht vorhersehbar ist. Beispiel: der schiffbrüchige Adamson rettet sich auf einen runden Stein im Wasser - es handelt sich um einen Nilpferdrücken!
"Sohn" zieht kräftig, aber erfolglos an einem Seil, das aus dem Fenster hängt. "Vater" eilt herbei, um zu helfen. Zum Vorschein kommt schließlich ein Klavier...


© Südverlag                                              © unbekannt



"Sohn" erschrickt bei der Heimkehr. Aus dem Fenster des Vaterhauses quillt dichter Rauch. "Vater" muß gerettet werden! In hohem Bogen ent­leert "Sohn" einen Eimer mit Wasser in Richtung Feuer. "Vater" erscheint durchnäßt am Fenster und deutet vorwurfsvoll auf die erloschene Pfeife...
Übrigens wird die selbe Idee in einem Comic mit Emil umgesetzt. Wahr­scheinlich ist die Idee nicht "geklaut" worden. Es gibt gleichartige Einfälle, und manche komischen Situationen liegen einfach nahe. Mir ist noch ein anderes Beispiel von Duplizität bekannt. Ferd'nand schlägt die Tür seines verschneiten Hauses zu und provoziert das Abrutschen der Schneemassen von der Dachschräge. Natürlich bekommt er alles auf den Kopf. Der kleine Herr Jakob macht dieselbe Erfahrung...





Überraschungseffekte
 

© 1985 Fischer Taschenbuch Verlag
Das völlig Überraschende kann auch durch die Entscheidung der Comic-­Figur ausgelöst werden. Beispiel: Der kleine König läßt einen Schmierfink verhaften, der das Kon­terfei des Landesvaters arg verzerrt auf eine Wand geschmiert hat, und ein Beweis für königliche Überlegenheit - schickt ihn zur Verbesserung sei­ner Fähigkeiten in die Staatliche Kunstakademie. Daß ein König so wenig

© Otto Maier Verlag
Rachsucht und Härte zeigt, macht ihn sympathisch. An die Stelle der Bestrafung tritt - und das erwartet niemand - die Ausbil­dung. Ein moralischer Wink! Hier darf man mit dem Philosophen Descartes im Lacheffekt eine "surprise d'admiration" sehen. Wir sind verblüfft und bewundern den großherzigen kleinen König.
Die liebenswürdigen, manchmal poetischen Bildergeschichten, wie wir sie bei Effel und Sempe, bei Möllendorff und Press kennengelernt haben, ver­zichten auf den "Knall-Effekt", der Lachsalven auslösen kann. Witz und Pointe sind leise, ein wenig versteckt, erzeugen ein Schmunzeln, aber das mit Langzeitwirkung.
Wer kommt zum Beispiel auf den Gedanken - wie Fäustchen -, den auf dem Boden liegenden Stockschirm einer reizenden Frau mit dem eigenen Schirm zu einem Herzen zu ergänzen und damit eine ungewöhnliche Liebeserklärung zu verbinden?! Der Überraschungseffekt liegt nicht im Bruch mit Realitätsstrukturen, sondern in der amüsanten Abweichung vom Gewohnten.
 
Lachen ist gesund

Schon
Aristoteles hat festgestellt, Lachen bedeute Erholung, und der Kari­katurist Albert Schäfer-Ast (1890 - 1951) nannte Heiterkeit "die beste Medizin". "Lachen ist gesund!" urteilt der Volksmund lapidar. Aus

© 1957 Verlag der Kunst
eigener Erfahrung weiß man, daß Lachen etwas Befreiendes hat. Wenn man über etwas lachen kann, dann ist es nicht mehr so schlimm. In autoritä­
ren Systemen wird heimlich gelacht und damit Widerstandskraft geschürt. Die Machthaber fürchten das Lachen.
Kleine Kinder lachen manchmal Fremde an, um zu testen, ob man diese Fremden fürchten muß. Sie lachen auch, um Fremde freundlich zu stimmen und etwaige böse Absichten zu vertreiben. Lächeln kann "entwaffnen", La­chen erst recht.
Das Lachen aus Schadenfreude und Überlegenheitsgefühlen ist uns bei den Comics oft begegnet. Spaß macht es uns aber auch, wenn ein notorischer Pechvogel einmal Glück hat oder aus eigener Kraft ein "Verhängnis" abwendet. Man ist überrascht und erleichtert. Man gönnt dem armen Kerl, daß er noch einmal davon ge­kommen ist. Das Glück des Pechvogels ist schon komisch...
Je unerwarteter die glückliche Wendung kommt, desto größer die Verblüf­fung und desto heftiger das Lachen! Der Betrachter hat es gern, wenn etwas anders "läuft", als das normalerweise zu geschehen pflegt. Der Mensch will wohl immer auch "das Andere". Mit seinem Aufbauwillen korrespondiert Zerstörungswut. Dem Bedürfnis der Verehrung steht die Spottlust gegenüber. So sehr das Wissen präsent sein mag, daß erst allgemeine Regeln ein geordnetes und gesichertes Leben garantieren, so sehr ergötzt sich der Beobachter an Regelverstößen. Das beginnt mit den Bubenstreichen. Denken wir etwa an "Kalle, den Lausbuben­könig" (in Frankreich: "Bicot") von Martin Branner und die vielen Rangen, die als "Zwillinge" oder in Gruppen auftreten!
Werden in Comics gar Naturgesetze ausgehebelt und die bekannten realen Abläufe in ihr Gegenteil verkehrt, wird die Welt also auf den Kopf gestellt, dann kommt es zu einem befreienden Lachen, das den konventionellen Ernst abschüttelt.
 
Quatsch und Unsinn als Lebenselixier

Damit können gedankliche Prozesse eingeleitet werden, die sich etwa fol­gendermaßen beschreiben lassen:
1. Muß Realität eigentlich so sein, wie sie mir täglich begegnet? Könnte sie nicht auch ganz anders, vielleicht sogar umgekehrt sein?
2. Ist die Realität so, wie sie mir täglich erscheint? Übersehe ich etwa Hintergründe, unbekannte Dimensionen?
Comics können uns nachdenklich machen. Vor allem können sie uns staunen lassen und damit in einen Zustand versetzen, den wir aus der Kindheit ken­nen. Alles war neu und löste Staunen aus. So in die Kindertage zurückver­setzt, erinnern wir uns daran, daß wir vieles "komisch" fanden. Wie gern haben wir "Quatsch" gemacht, also den Unsinn in unser Spiel einbezogen. Nun packt uns als Erwachsene die tiefverwurzelte Lust am Unsinn-Treiben. Wir wollen mitmachen bei den Purzelbäumen der Komik. Wir wollen lachen, befreiend lachen und Ballast abwerfen. Wir wollen teilhaben an einer Ge­genwelt. An der Gegenwelt der Komik können wir nur wirklich partizipieren, wenn wir Humor "haben". Humor beschreibt eine Fähigkeit des Menschen, Schlimmes gelassen

© Joachim Klinger
hinzunehmen und in Erwartung des Schlimmeren selbst
dem Schlimmsten entgegen zu lächeln. Die humoristische Einstellung des Zeichners gründet sich auf Wissen und Resignation und eine dies alles um­fassende Heiterkeit. Das Komische bis hin zum Grotesken darzustellen, ge­lingt ihm nur, wenn er Humorist ist. Beim Betrachter ist die humoristische Fähigkeit Voraussetzung dafür, daß er die dargestellte Komik im vollen Umfang begreift. Wir spüren, dass dies nicht ohne Intellekt und geistige Anstrengung geht, aber auch "Herz und Gemüt" sind gefordert. Nur wer Humor hat, kann Komik darstellen, nur für den humorvollen Betrachter ist Komik erkennbar.
Wer sich auf "Komik" einläßt, wird belohnt. Wir amüsieren uns "mit Niveau". Wir empfangen Denkanstöße und gewinnen Einsichten. Wir werden belohnt, weil wir aufmerksam waren, uns konzentriert haben. Unser Kombinations­vermögen findet Anerkennung. Schließlich: unser Lachen machte uns frei, frei von Lasten, frei für Neues.
Wortlose Bildergeschichten, Beispiele sprachloser Komik - wie immer sie geartet sein mögen - dürfen mit unserer Neugier und unserem Interesse rechnen. Wir möchten uns amüsieren, aber wir möchten auch eine geistige Herausforderung bestehen. Was sich nicht auf den ersten Blick erschließt, will entschlüsselt werden. Das Rätselhafte hat seinen besonderen Reiz.
Also: Comics haben Zukunft! Vom "Männchen im Kästchen" bis hin zur sur­realen Verfremdung unserer Welt (oder ihrer Enthüllung?).


Literaturempfehlungen:
Eva Koch-Walther - "Der Schaefer-Ast" - Verlag der Kunst, Dresden 1957
Hans-Jürgen Press - "Mein kleiner Freund Jakob" - Otto Maier Verlag, Ravensburg 1967
Mik - "Ferdinand ist da!" - Fischer Taschenbuch Verlag 1985
Erich Ohser - "Vater und Sohn" - Südverlag Konstanz 2000
© Joachim Klinger - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2009
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Redaktion: Frank Becker