Wer nicht hören will, muß fühlen

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Wer nicht hören will, muß fühlen
 
Wer nicht hören will, muß fühlen - das ist kein Sprichwort mit volkstümlichem Hintergrund, sondern ein pointierter Aphorismus des Lyrikers Emmanuel Geibel, der im 19. Jahrhundert gelebt hat. Damals gab es in der Kindererziehung noch reichlich Prügelstrafen. Wer nicht parierte, bekam nicht nur etwas auf den Hosenboden - wobei in der Literatur auch davon zu lesen ist, daß aggressive Väter zum Gürtel griffen, um ihre Brut zu schlagen -, sondern es gab auch kräftige Schläge auf die Finger, die dafür extra ausgestreckt werden mußten. Zum Glück hat man in Preußen 1848 die körperliche Züchtigung als Strafe abgeschafft; statt Prügel durfte nur noch Kerkerhaft angeordnet werden. Auch schön. Wer jetzt fragt, was den Sinn der preußischen Machthaber beeinflußt hat, um bereits mitten im 19. Jahrhundert das einzuführen, was rund einhundert Jahre später in Artikel 2 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland als «Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit» festgeschrieben wird, den kann man zwar auf eine liberale Gesinnung der Preußen hinweisen, aber es scheint eher, daß der nach ihnen benannte und militärisch stramm organisierte Staat es sich nicht leisten konnte, aufmüpfigen Knaben die Finger zu zertrümmern, fielen sie dann doch als kampfbereite Soldaten aus. Natürlich gab es auch damals bereits besorgte Menschen, wie sie heute etwa im Deutschen Kinderschutzbund organisiert sind und die dafür gesorgt haben, daß 90 Prozent der Eltern sich vorgenommen haben, ihren Nachwuchs nicht mehr durch gezielte Schläge zurechtzubiegen. In den Schulen wurde körperliche Züchtigung noch in den Nachkriegsjahren praktiziert, wie der Autor dieser Zeilen durch viele Backpfeifen heftig zu spüren bekommen hat. Daß Züchtigungen den Kindern gar nicht guttun, hat schon der Lyriker Walther von der Vogelweide im 13. Jahrhundert angemerkt. Bei ihm kann man lesen:
 
Niemals pflanzt die Rute
Kindern ein das Gute:
Wer zu Ehren kommen mag,
dem gilt Wort soviel als Schlag.
 
Da eben von den Ohren die Rede war, fallen einem die Ohrfeigen ein, die in meiner Schulzeit in den 1950er Jahren noch an der Tagesordnung waren und in vielen Familien von den Vätern verteilt wurden. Doch heute geht das nicht mehr, denn seit dem Jahr 2000 ist das Züchtigungsrecht im häuslichen Kreis abgeschafft und das Prügeln der Nachkriegsväter ist verboten.
 
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
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Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.