Wuppertal: Schauspielhaus
Spiel mit dem Feuer
Premiere von August Strindbergs „Fräulein Julie“ an den Wuppertaler Bühnen
Launisch ist sie, lasziv und lüstern - Fräulein Julie, 25 (Sascha Icks), wegen ihrer Herrschsucht vom Verlobten verlassen, sucht sich während der Abwesenheit des gräflichen Vaters in der schwedischen Mittsommernacht ein neues Opfer: Den Diener Jean, 30 (Thomas Braus). Der jedoch erweist sich nicht als willfähriges Opfer, sondern zahlt nach ersten Skrupeln mit härterer Münze zurück. Braus gibt diesen vielschichtigen, gebrochenen Charakter facettenreich zwischen gehorsam und herrisch, verträumt und elegant, bieder, weltmännisch und zynisch. Vor allem aber verleiht Braus, dem beinahe alleine dieser 80-minütige Theaterabend gehört, seinem Jean sogar in der lächerlichen Maskerade mit den zu großen Stiefeln, dem zu großen Gehrock und dem zu großen Zylinderhut des Grafen eine groteske Würde.
Der Verführerin zunächst moralisch, dann unmoralisch immer ein wenig voraus, liefert sich der Domestik mit der gräflichen Dirne ein Gefecht, in dem keiner den anderen schont. Icks und Braus gelingen rasante Wortduelle, schaffen bei der Klippe des „Du“ sogar einen Moment komödienhafter Poesie. Jean überredet Julie zur Flucht in ein gemeinsames Traumland, bringt sie dazu, den Vater zu bestehlen. Während sich Diener und Herrin brünstig lauernd umkreisen, bleibt die dritte Figur des Spiels fast bedeutungslos. Es ist sicher problematisch, aus einem kleinen Ensemble Rollen richtig zu besetzen. Bei der Köchin Kristin, 35, einer reifen Frau mit tiefem Charakter, ist es Kathrin Sievers mit einer jungen Anfängerin nicht gelungen. Strindbergs Figur der älteren Verlobten Jeans und die Inszenierung klaffen weit auseinander.
Auch Strindbergs Vorgabe für den Raum wurde sträflich mißachtet: Statt auf kleiner Bühne spielt sich die Handlung in einem bis an die äußersten Grenzen aufgerissenen Raum ab, der an Stelle der engen Küche die Weite von Landschaft suggeriert.
Die im ausgehenden 19.Jahrhundert noch gesellschaftlich tödliche Affäre zwischen Herrin und Diener, die Entdeckung des Diebstahls, verlangte nach einer radikalen Lösung. Strindberg ließ hier autobiografische Bezüge einfließen. Während Jean in die devote Rolle des Lakaien zurückfällt, verlässt Julie die Szene mit dem ihr von Jean aufgedrängten Rasiermesser - man weiß, sie wird sich töten. Sievers trägt der veränderten Moralauffassung Rechnung: „Laufen sie!“, drängt Jean Julie und sie läuft, während Jean resigniert: „...und dann kommt die Polizei...“.
Frank Becker
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