Musikstunde

Sänger, Dirigenten und der rheinische Frohsinn (auch in Bozen)

von Konrad Beikircher
Foto © Frank Becker
Konrad Beikircher
Musikstunde
 

Einen wunderschönen guten Tag, liebe Freunde der Musik!
 
Schön daß Sie wieder die Musenblätter virtuell aufgeschlagen haben und sich unterhalten lassen wollen von Ihrem Konrad Beikircher. Der allerdings ist ziemlich angefressen von der Tatsache, daß in Dresden immer weiter gebaut wird. Mein Gott, da hat man ihnen Geld rübergepumpt, daß die Schläuche platzen, hat darüber hinaus dem Kollegen Güttler (Sie wissen schon: der selbsternannte Meistertrompeter) gespendet und gespendet und vor allen Dingen seinen Konzerten immer wieder gelauscht (obwohl es weiß Gott stilreinere Bläser gibt), alles hat man getan, damit die Frauenkirche restauriert werden kann und Dresden und überhaupt, und dabei hat man sogar die finanzielle Schieflastigkeit des Geldflusses immer wieder hingenommen, weil’s halt Dresden ist und hat an den Zwinger und an den Zweiten Weltkrieg gedacht und hat den Leipzigern gesagt: ja, ihr kommt auch noch dran, aber erstmal müssen wir jetzt Dresden... etc pp, und dann das: dieselben, die uns das Geld mit den Argumenten aus der Tasche gelockt haben, Dresden sei in seiner Schönheit weltweit einmalig und müsse deshalb erhalten bzw. restauriert werden, die knallen jetzt eine Brücke über die Elbe, die Waldschlösschenbrücke, daß es nur so scheppert. Ein Bauwerk mit dem Sex-Appeal eines mittleren Verkehrsunfalls, eine Brücke wie Oettinger in Beton! Es hat alles nix genutzt: man hat es ja zuerst mit den Fledermäusen versucht, in der Hoffnung, daß die Grünen aufstöhnen und weltweite Proteste mobilisieren – hat nix genutzt. Dann hat der Günter Grass sich auch noch eingemischt mit einem Satz, den wir alle unterschreiben können, wollen und sollten: „Durch dieses Zerstörungswerk verliert die Welt eine Stadtlandschaft von universellem, einzigartigem Wert“, aber auch das nutzt nix: die Bagger sind da, jahrzehntealte Eichen werden gefällt und wir Idioten-Wessis haben wieder einmal das gallige Gefühl, daß die Ossis in Dresden uns aber so wat von über den Tisch gezogen haben, daß es nur so kracht. Ich meine: Coburg ist auch schön, oder Würzburg oder Bamberg oder oder und da gibt es überall jede Menge Ecken, wo man wat dran tun müsste, aber nein: Dresden! Und jetzt haben sie alles mit Blattgold verschönt – und es ist ja auch wirklich schön geworden – und stoßen mit dem A... um was wir ihnen aufgebaut haben. Also mir reicht’s. Elb-Florenz! Ph! Glauben Sie, die Florentiner würden so eine Brücke über den Arno erlauben? Also bitte: entweder Tunnel aber subito oder ich werde – und das meine ich vollkommen ernst – meine Schritte nie mehr nach Dresden lenken! Ah so – ich war noch nie da – na, um so besser!
 
Vater und Sohn Stockhausen
 
Es gab ein Lokal, das in NRW von 1977 bis 1980 DIE Zentrale für alles das war, was sich Jazz nannte: die Jazz-Galerie in Bonn. Von Traditional über das, was man damals Fusion Jazz nannte bis hin zu Free-Jazz (jeden Dienstag) und zeitgenössischer Musik: alles war vertreten und nicht nur das: es war gut, nein: bestens vertreten. An einem der Karnevalstage 1978 nun gab Markus Stockhausen ein Konzert: ein begnadeter Trompeter und ein großer Musiker – bis heute. Und der Sohn von Karlheinz Stockhausen. Natürlich kam der Herr Papa mit und lauschte – wie wir alle auch – andächtig den wunderbaren Tönen, die sein Sohn in unsere Ohren zauberte. Ich hatte in der Zeit in der Jazz-Galerie gekellnert und war froh, daß an diesem Abend der Laden rappelvoll war: einerseits des Umsatzes wegen (wir Kellner waren daran beteiligt), andererseits der Musiker wegen – ich war ein Fan vom bescheidenen und wunderbaren Markus Stockhausen. Und ich war stolz darauf, daß ich Karlheinz Stockhausen bedienen durfte – sein Gesang der Jünglinge im Feuerofen und die Komposition „Mantra“ für zwei Klaviere und Ringmodulatoren waren für mich das Entrèe in die spannende Welt der neuen Musik – zusammen mit der Lukaspassion von Penderecki. Natürlich wußte ich, daß der Genius schwierig ist, daß er in der Zeit schon mehr oder weniger abgehoben in ganz anderen Sphären schwebte, daß ihm eine Musik der Geister, des Universums und der Menschen vorschwebte, kurz: daß da einer von denen sitzt, der zu den wirklichen Erneuerern der Musik gehörte und um das zu wissen mußte man nicht unbedingt ein Jünger der Darmstädter Schule sein. Boulez, Nono und Stockhausen - DAS Dreigestirn der Moderne. Klar, daß ich unglaublich aufgeregt war, als Karlheinz Stockhausen in unserem JazzKeller erschien, ganz in weiß gekleidet, übrigens. Ich weiß nicht mehr, was er getrunken hat, ich meine mich zu erinnern, daß es Wasser war, jedenfalls kein Alkohol, ich weiß allerdings noch, daß er absolut easy zu bedienen war. Freundliche Blicke, immer ein „Danke schön“ und überhaupt: ein Vorzeige–Gast. Dann war das Konzert zu Ende. Wir überlegten – zumal es ein sehr intensives schönes Konzert war – was für eine Musik wir als Hintergrund auflegen sollten. Es war Karneval, also normalerweise wären jetzt die Bläck Fööß fällig gewesen und Kingsize Dick oder Jupp Schmitz. Aber konnten wir das machen? Schließlich saß hier Karlheinz Stockhausen, der astrale, dem kann man so Zeuch doch nun wirklich nicht zumuten. Während wir Kellner also an der Theke standen und überlegten, winkte mich Herr Stockhausen zu sich. Ich eilte hin. Er legte seine Hand auf meinen Arm und sagte auf gut kölsch zu mir: „Dat wor esu e schön Konzert, dat wird jefeiert. Un: mir han Karneval! Also: hat Ihr kei Karnevalsmusik en demm Laade he? Also bitte!“. Ich flog zur Theke und rief noch im Laufen em Michael zu „Bläck Fööß! Ewwer flück!“. Ich sage Ihnen, es wurde eine lange Nacht. Gegen vier verließ der Stockhausen-Clan die Jazz Galerie und es war wunderbar! Diesen Karlheinz Stockhausen werde ich in meinem Leben nicht vergessen. Mögen die Pressemitteilungen über sein Ableben noch so abgehoben und ein bißchen esoterisch sein: von Sätzen wie „Am 5. Dezember ist er mit FREUDE durch die HIMMELS-TÜR aufgestiegen, um in ewiger HARMONIE im PARADIS mit COSMIC PULSES weiter zu komponieren, wie er es immer gewollt hat: Du, der zum Himmel mich ruft, Eva, Mikael und Maria, lasset mich Komponieren ewig Musik für Himmels-Vater-Mutter, GOTT Schöpfer kosmischer All-Musik“, von solchen Sätzen aus der Pressemitteilung zu seinem Tod von Suzanne Stephens und Kathinka Pasveer (Anmk.: das waren seine beiden „Musen“) lasse ich mir den Blick auf den Menschen Karlheinz Stockhausen nicht trüben: ich ehre sein Andenken!
 
"Ich spiel dat, wat ich fühl!“
 
Und wo wir gerade bei ehrendem Gedenken sind: ich möchte Ihnen  einen Satz meines Freundes Erwin Klein, Solo-Klarinettist im Beethoven Orchester Bonn, referieren, ein Satz, der zeigt, daß es die Musiker mit Herz immer noch gibt: er hatte die Solo-Klarinette in der Traviata zu spielen und die hat zusammen mit der Violetta einige ganz große Stellen – Violetta spricht und Erwin spielt das, was in ihrer Seele los ist. Nun wollte der Dirigent bei dieser Aufführung das Ganze etwas schlank halten, unsentimental und das heißt: flück vüran, tempo, tempo, der Tod der kommt im Sauseschritt und nimmt die Violetta mit, oder so. Der Erwin hat es aber anders gesehen und zwar richtig: diese Stelle muß man so spielen, daß es einem das Herz zerreißt und nix anderes. Und er spielt diese Stelle genau so: herzzerreißend. Und kommentiert das Gehampel des Dirigenten unten im Graben zu seinen Kollegen mit den Worten: „Da kann der höppe wie dä will – ich spiel dat, wat ich fühl!“ Und fertig.
 
Netrebko ist nicht lesbisch!

Die einen machen dunkel, die anderen versuchen Licht ins Dunkel zu bringen. Wer Anna Netrebko so singen hört ahnt, daß das Dementi nicht nötig gewesen wäre: sie hatte sich mit Lucy von der Band „No Angels“ getroffen – den Namen müssen Sie sich jetzt nicht merken, das ist Musik, die vergißt man, noch bevor man sie gehört hat, das ist das Schöne daran! Lucy nun hat öfters schon durchblicken lassen, daß sie wie Männer empfindet: sie findet Frauen schön. Schön, sagen wir gerne, solange es nicht Hella von Sinnen ist... Die Gazetten allerdings griffen das Treffen auf, um das öffentliche Klima mit der Frage aufzuheizen, ob denn Frau Netrebko möglicherweise auch lesbisch sei oder nicht. Wir leben ja in einer Zeit, die die Gürtellinie so hoch gelegt hat, daß alles nur noch darunter liegt, selbst das Herz scheint nur noch für die Erektion zu pochen. Sei’s drum. Nun hat Frau Netrebko der Bunten ein Interview gegeben, nein, gewährt, in dem sie unmißverständlich klarstellte, ich zitiere: „Ein für alle Mal: ich bin nicht lesbisch“. So weit, so gut. Dummerweise hat sie im selben Interview auf die Frage, wie das denn nun mit Kinder kriegen sei, geantwortet: „Mit meinem Terminplan ist das im Moment unmöglich“, ach, liebe Frau Netrebko, das war nicht wirklich klug. Jetzt wird das nämlich wieder von vorne losgehen, das dumme Herumgespekuliere mit lesbisch oder nicht, denn: das kann sie doch nur gesagt haben, weil sie lesbisch ist, oder? Nein, liebe Freunde der Musikstunde, wir beteiligen uns nicht an diesen Spekulationen sondern tun etwas, was völlig außer Mode ist: wir glauben ihr!

Ich sagte ja eben: Die einen machen dunkel, die anderen versuchen Licht ins Dunkel zu bringen. Frau Netrebko hat versucht, Licht ins Dunkel zu bringen, dafür haben viele deutsche Großstädte dunkel gemacht. Am 8. Dezember 07 hatten wir ja eine mitternächtliche Licht-Aus-Aktion zugunsten unseres geplagten Klimas. Was für eine tolle Idee! Wir machen fünf Minuten das Licht aus, um zu sehen, wie es wäre, wenn wegen der Klimakatastrophe die Lichter ausgegangen sind. Wieder mal waren die Berliner die Bundes-Musterschüler: sie haben alles ausgemacht, Berlin lag da wie in den schlimmsten Verdunkelungsnächten im Zweiten Weltkrieg. Die älteren Berliner Bürger haben sich darüber so erschrocken, daß sie direkt in die Keller gelaufen sind: die alten Reflexe funktionieren eben immer noch. Dort haben sie sich in die Ecken gekauert, stumm, weil: Feind hört mit, und haben auf die Entwarnung gewartet, die aber nicht kam, was sehr zur allgemeinen Verwirrung beitrug. Im Rheinland hat es nicht ganz so funktioniert – genau so wie damals auch. Köln, behaupten böse Zungen, sei ja nur deshalb so zerstört worden, weil sich die Kölschen nicht an das Verdunkelungsgebot halten konnten, so sehr haßten sie die Preußen! In Bonn hat der Generalanzeiger zwei Bilder veröffentlicht: Vor und während der Verdunkelung und es war sehr tröstlich, daß man da keinen Unterschied sehen konnte. Was eine Bedeutung hat: in Bonn hat man realisiert, daß der Krieg vorbei ist, man muß nicht mehr verdunkeln. In Berlin hat man mit der folgsamen Verdunkelung gezeigt, wie schnell eine Stadt im Nichts versinken kann – als Fan der Bonner Republik und als Gegner des Berlin-Umzugs hat mich das tatsächlich ein bißchen gefreut! Und wenn man überlegt, wie viel Energie es kostet, Millionen von Lampen wieder anzuschalten, dann hätte man zum Schutze des Klimas doch besser überall Sparlampen einbauen sollen, das wäre nachhaltiger gewesen!

Chinesen und die
Ulhebellechte

Warum sollen in einer Zeit, in der man in Venedig oder San Remo für 20 € eine gefakte Rolex kaufen kann oder mitten in Köln gefälschte Parfums, warum sollen in so einer Zeit eigentlich nur westliche Produkte gefälscht werden? Geben wir den Chinesen doch zurück, was sie uns antun: Motoren, Kleider, Krawatten, Staubsauger, Bilder etc. pp. fälschen.
Da muß es einen geben, der auf das Unterlaufen der Urheberrechte durch die Chinesen (die diese Rechte nicht anerkennen und zwar aus grundsätzlichen Erwägungen heraus!) einen derartigen Rochus hat, daß er zurückgeschlagen hat: In Hamburg sollen acht der zweitausend Jahre alten Terrakotta-Krieger ausgestellt werden. Das ist DIE Gelegenheit. Ein Töpfer ist schnell gefunden, die Modelle sind nicht wirklich schwer nachzumachen und ehe es sich die Behörden versehen, liefert die Leipziger Ausstellungsfirma Center of Chinese Art and Culture im Lieferanteneingang des Völkerkundemuseums in Hamburg acht Terrakotta-Krieger ab. Natürlich weiß jetzt, nachdem der Schwindel aufgeflogen ist, keiner, wie es denn dazu kommen konnte und wo der Töpfer sitzt, der das alles auf einer kleinen versteckten Töpferscheibe nachgedreht hat – alles ist peinlich und niemand will was sagen. Keiner aber würdigt den wahren Wert dieses Ereignisses: daß man mit acht Terrakotta-Krieger-Fälschungen die Chinesen mit ihren eigenen Waffen geschlagen hat. Die Wut in China muß unermeßlich sein, denn alles, was von den chinesischen Behörden zu hören ist, ist: „Hiel scheint es ein Ploblem mit dem Schutz von Ulhebellechten zu geben“. Wissen Sie, was dieses Statement bedeutet? Es bedeutet, daß die Chinesen sehr genau verstanden haben, was da vorgeht: daß ihnen einer den Spiegel vorhält. Lassen Sie uns doch die Chinesen noch ein bißchen ärgern: die acht Fake-Krieger sollten eine Wanderausstellung werden, sie soll durch ganz Europa ziehen und der Töpfer soll gleich mitreisen: wenn eine Figur kaputt geht, kann er gleich eine neue machen – am besten vor aller Augen. Wetten, daß die Chinesen darauf reagieren? Vielleicht sogar mit der Zusage, ab jetzt die europäischen Urheberrechte zu respektieren. Das stünde einer Nation, die jedes österreichische Orchester, das in China gastiert, „Wiener Philharmoniker“ nennt (was ich aus erster Quelle weiß) ganz gut zu Gesicht.
 
Also jetzt ist es passiert: Yamaha hat Bösendorfer gekauft! Das ist noch schlimmer als der Verkauf von 4711 seinerzeit an Wella in Darmstadt – und da lag Köln tagelang im Koma, ich meine: stellensvür: Der Duft von Köln kommt aus Darm-stadt! Die Preußen Asiens haben sich also die galanten Österreicher einverleibt. Das ist eine Nachricht, die über das rein Pianistische weit hinausreicht: es ist eine der wenigen Nachrichten, die sozusagen das Ende des Ersten Weltkriegs einleiten und die das Aussterben der Habsburger entscheidend beschleunigen werden: 2008 wurden die Habsburger 900 Jahre alt und mit Bösendorfer übergaben sie Reichsapfel und die schwarz-gelben Hoffarben an den Tenno in Japan, vermutlich mit den Worten Franz–Josefs II. „Es war sehr schön, es hat mich sehr gefreut!“. Bösendorfer! Wenns noch Steinway gewesen wäre oder meinetwegen Bechstein, das „offizielle Klavier des Dritten Reichs“, wie Lieberman in seiner Steinway-Biographie schreibt, das hätte man noch verkraftet. In beiden Fällen ginge ein deutsches Klavier an Japan, ja gut, das paßt zum U-Boot-Krieg und zur späten Kapitulation. Aber Bösendorfer? DER Weich-Flügel, das Instrument, das wie kein anderes die zartesten impressionistischen Farben malen kann, das Instrument, das jedem Stück, das auf ihm gespielt wird, den unwiderstehlichen Charme der Kameliendame verleiht, wie ein Schleier, den die Schöne vor ihr Gesicht hält, um umso besser verführen zu können, ein Instrument wie Degas oder Cezanne. Gerhard Stadelmaier hat den Bösendorfer-Klang in der FAZ unnachahmlich beschrieben: „...die Eigenart eines Bösendorfer.Klaviers besteht darin, daß sein Klang – egal, wer da wie hart auch immer anschlägt – so wirkt, als kullerten mit weichem Filz überzogene Holzkugeln über eine gerippte Fläche hinunter: weich, sanft, gedämpft, irgendwie sympathisch g’schlampert.“ Genüßlicher geht’s nimmer, danke Herr Stadelmaier. Daß das jetzt also die Japaner haben, tut schon weh. Es ist so, als hätte MacDonalds das Rezept für Tafelspitz mit Kren gekauft oder Nestle die Konditorei Demel. Sie haben uns versprochen, die Japaner mit den drei Stimmgabeln, daß sie an der Eigenart des Bösendorfer – Flügels festhalten wollen. Hoffen wir, nein, beten wir inständig zum Himmel, daß sie zumindest in dieser Hinsicht ihrem Ruf, die Preußen des Ostens zu sein, treu bleiben! Sonst stelle ich mich persönlich vor den Kölner Dom und reiß jedem Japsen die Kamera aus der Hand!
 
Keilberts Ta-ta-ta-ta-taaa in Bozen

Wie wärs mit einem etwas anderen Jahresrückblick 2008? Da gäbe es einiges zu berichten:
Josef Keilbert feiert 2008 seinen 100. Geburtstag. Wir erinnern uns an einen Dirigenten, der Mut hatte zu ungewöhnlichen Tempi – und ungewöhnlichen Auftakten. Dabei darf ich aus meinem eigenen Leben folgende Geschichte erzählen: 1960 gründete sich in Bozen das Haydn-Orchester, l’orchestra Haydn. In einer politisch extrem aufgeheizten Zeit (Strommasten wurden in die Luft gesprengt, deutsch-südtiroler Extremisten versuchten mit diesen Mitteln, die Autonomie anzustreben) war es eine politische Provokation, daß italienische und deutsche Südtiroler gemeinsam ein Sinfonie-Orchester gründen wollten. Die beiden Zeitungen: hie: Dolomiten, dort: Alto Adige, bekämpften dieses Projekt bis aufs Messer, die Moderaten hatten keine Stimme. Dennoch: es kam zur Gründung des Orchesters, immerhin: das Konservatorium in Bozen war und ist eines der besten in ganz Italien und es war die Seele dieses Projekts. Der glanzvolle Augenblick des Gründungskonzerts rückte näher – ein festlicher Akt. Im Augusteo-Kino in Bozen – wir Franziskaner-Schüler saßen oben auf den Rängen – sollte das Konzert stattfinden: auf dem Programm standen Beethovens 5. gleich zu Beginn, und Haydn, natürlich, und den Rest weiß ich nicht mehr, ich glaube, es war Tschaikowskis Violinkonzert, Solist: der Konzertmeister des Orchesters, Giannino Carpi, der mit Nunzio Montanari dem Trio di Bolzano Glanz verliehen hat. Jetzt war das so: Josef Keilbert war als Dirigent gerufen worden, alles zusammen also eine sehr festliche Angelegenheit. Allerdings: Keilbert war am Nachmittag zu einer kleinen Weinprobe eingeladen worden, beschwingt kam er zum Gründungskonzert. Man saß gespannt im Augusteo und die Atmosphäre war immer noch eine extrem aufgeheizte: konnte das denn gut gehen? In Südtirol? Italiener und Deutsche in einem Orchester? Die Spannung steigt, das Licht wird gedimmt, Keilbert kommt beschwingt auf die Bühne. Und noch im Applaus gibt er den Einsatz für die Fünfte. Wohl ein bißchen zu flott, zu beschwingt, zu ungenau. Das jedenfalls, was wir hören, ist nicht Ta-ta-ta-taaa sondern ein klares: Ta-ta-ta-ta-taaa! Eine Schrecksekunde – und dann ein dröhnendes Gelächter. Keilbert läßt auslachen, dann dreht er sich um und sagt: „Das kann passieren!“ und noch mal der Einsatz und alles läuft nun glatt. Mit dem Ta-ta-ta-ta-taaa war die ganze politisch aufgeheizte Luft heraußen, jetzt konnte man musizieren und es war ein schöner Abend. Heute ist das Haydn-Orchester Bozen eines der ersten in Italien.
Ich schätze Josef Keilbert heute als einen mutigen, großen Dirigenten. Sein Holländer z.B., den er 1955 in Bayreuth dirigiert hat, ist eine sensationelle Einspielung. Seine Ballade der Senta – langsamer als alle anderen aber gerade dadurch höchst eindrucksvoll, mit einer Sena Jurinac die Dir die Nackenhaare hochstehen läßt, so packt sie dich – ist für mich eine der schönsten Einspielungen: hier ist die Magie des Lebendigen eingefangen.

Karajan

Naja, und Karajan hat ja auch – am 5. April – seinen 100. Geburtstag gefeiert. Darf ich Ihnen dazu eine kleine Anekdote erzählen?
Der Dirigent Herbert von Karajan war in der schlechten Zeit, ab 1945, viel in Aachen, auch als er nicht mehr da GMD war, und erzählt, daß er nahe der Eupener Straße im Wald spazierenging, als er plötzlich einen kompletten Männerchor vor sich sah und zwar einen, wo er jeden Sänger kannte! Ja was sie denn hier... Jo, sagen die, sie wären hier in der frischen Luft am proben, hatten aber jeder paar Pfund Kaffee dabei!
Und ich bin absolut sicher: Karajan war auch in dieser Situation ein cleverer Geschäftsmann und hat seinen Anteil gekriegt.
 
Man kann ja über Karajan viel sagen: daß er schlecht geflogen sei, daß er hervorragend geschnitten habe – ich meine: Tonbandschnipselchen aneinandergeklebt hat, daß er mit den Nazis kollaboriert habe (na ja, so viel wie Furtwängler dann doch nicht, oder?!), daß er wie kein anderer geschäftstüchtig gewesen sei, daß er ein Anti-Gewerkschaftler gewesen sei. Mag alles sein: es bleibt, daß er ein Dirigent war, der wie wenige ein unglaubliches Gespür für Dramatik hatte. Sein Otello ist unvergessen, seine Richard-Strauss-Interpretationen ebenso, sein Kampf gegen den damaligen Unterrichtsminister Piffl-Perkovic in Wien ebenfalls. Was habe ich mir auf dem Stehplatz in Wien die Lunge aus dem Hals gebrüllt bei Karajans Abschiedsvorstellung 1965 in der Staatsoper! Tristan und Isolde, Wolfgang Windgassen und Birgit Nilsson, na bitte. Drei Tage und zwei Nächte war ich um einen Stehplatz angestanden und jetzt, kaum noch fähig, mich auf den Beinen zu halten, schwelge ich im Tristan und dann: 1 Stunde 20 Minuten Applaus. Noch in den Schlußakkord brüllt einer: „Karajan muß bleiben“ und ab da war es aus. Ich bin heute noch glücklich darüber, daß ich diese Raserei miterleben, ja mitgestalten durfte, das ist eines meiner großen Opernerlebnisse gewesen. Mag man meckern über den „Chef“, wie er sich nennen ließ, wie man will: er ist und bleibt einer der großen Operngestalter des 20. Jahrhunderts. Und: gut geflogen ist er auch! Also: einen guten Rutsch und: freuen Sie sich mit mir auf ein weiteres schönes Jahr 2009!
 
Ihr Konrad Beikircher
 


© Konrad Beikircher

Erste Veröffentlichung in dieser Form in den Musenblättern 2009
Redaktion: Frank Becker