Pädagogisch wertvoll

Will Gmehling - "Einen Luchs am Hals haben"

von Jürgen Kasten
Pädagogisch wertvoll
 
Tiere sind kein Spielzeug und auch kein Ersatz für einen Partner, schon gar nicht Wildtiere. Das ist die Botschaft des Romans "Einen Luchs am Hals haben" von Will Gmehling, der für Kinder ab 10 Jahre empfohlen wird.
Herr Egon kraucht tagsüber in den städtischen Abwasserkanälen herum, manchmal auch im Büro und ganz selten im Wald. Das aber hat sein verstorbener Vater immer mit ihm unternommen, als der Herr Egon selber noch ein Kind war. Nun tut er es mal alleine. Er betrauert sehr oft, daß er alleine ist. Er hat keine Freunde, keine Bekannten und auch keine Frau. Das bedauert er am meisten, obwohl doch diese füllige Frau König direkt neben ihm im 5. Stock des Mietshauses wohnt, und füllige Frauen findet er sehr reizvoll. Diese Frau König hat aber einen 11-jährigen Sohn namens Carlo und den findet er ganz schrecklich und überhaupt, Herr Egon traut sich nicht, einfach Leute anzusprechen.
Er geht also alleine in den Wald und wie es der Zufall will, findet er ein kleines, süßes Luchsjunges, packt es unvernünftigerweise in seinen Rucksack und verfrachtet das arme Tier in seine gar nicht schöne Junggesellenbude.

Es kommt wie es kommen mußte: Das Tier bepinkelt den Teppich, kackt in alle Ecken, zerfleddert das Sofa, frißt ihm die Haare vom Kopf (das natürlich nur sinnbildlich) und wächst zu einem echten Raubtier heran. Schließlich greift es Herrn Egon an.
Einerseits findet Herr Egon den heranwachsenden Luchs faszinierend, schön und katzengleich; andererseits bedauert er das Tier, weil er es aus seiner natürlichen Umgebung entführt hat. So geht es nicht weiter. Herr Egon braucht Rat und Hilfe.
Die bekommt er, überdies findet er Freunde, lernt Neues über Kinder und Wildtiere, überdenkt sein trauriges Leben, ändert es, und zum Schluß erhält jeder das, was er sich insgeheim schon immer erträumt hat.

Heile Welt also, eine Schmonzette? – Nein, denn Will Gmehling schrieb eine flotte, kindgerechte Geschichte, durchaus spannend erzählt. Eine Menge an gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Problemfeldern packte er hinein, allerdings ohne den moralischen Zeigefinger zu erheben. Von daher auch lehrreich und meiner Ansicht nach durchaus für leseerfahrene Kinder ab acht Jahren geeignet. Andere „Kids“ wird er nicht erreichen, denn mir scheint, Will Gmehling, Jahrgang 1957,  der mit seinem Sohn und einer Katze in Bremen lebt, strebt eine perfekte Erziehung an. Er schreibt ein gepflegtes Deutsch, vermeidet Anglizismen, tadelt im Roman selbst das Wort „verdammt“ und den Ausdruck „Kids“ kann er eben überhaupt nicht leiden.

Nach meinem Verständnis ist das übertrieben. Kinder leben heutzutage nun mal in einer anderen Sprachwelt. Das ist beklagenswert; aber durch ein entsprechend elterliches Vorbildverhalten sicherlich zu ändern. Will ich das Verhalten, insbesondere den Sprachgebrauch anderer Kinder verändern, muß ich die Kids dort abholen, wo sie sich gerade befinden – oder nicht?
Die Frage ließe sich klären, wenn man wüßte, welche Kinder das Buch tatsächlich lesen und mit welcher Meinung. Liebe Eltern und sonstige Erzieher, testet es.
Ich halte dieses Buch für pädagogisch wertvoll.

Beispielbild

Will Gmehling
Einen Luchs am Hals haben
 
Cover und Vignetten von Jens Rassmus
Empfohlen ab 10 Jahre
 
Hardcover, Format 140X200
160 Seiten

©
2008 Residenz Verlag
€ 12,90, sFr 24,00
ISBN 978-3-7017-2035-4
 
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