Tragische Komik mit Tiefgang

Shakespeares hirnrissige Verwechslungskomödie "Was ihr wollt" in einer glänzenden Wuppertaler Inszenierung von Holger Schultze

von Frank Becker
So haben wir das gewollt!
 
Shakespeares Verwechslungskomödie "Was ihr wollt"
in einer glänzenden Wuppertaler Inszenierung
von Holger Schultze
 

Inszenierung: Holger Schultze - Ausstattung: Marcel Keller  -  Musik: Jochem Kilian  - Fotos: Michael Hörnschemeyer
Besetzung: Orsino: Thomas Braus - Viola: Verena Fitz  - Kapitän/Antonio: Paul Weismann - Sir Tobi Rülps: Andreas Ramstein - Sir Andrew Leichenwang: Achim Conrad - Olivia: Julia Wolff - Maria: Britta Firmer - Malvolio: Andreas Möckel - Fabian: Patrick Schnicke - Feste: Hans Richter - Sebastian: Henning Strübbe

Wuppertal und Shakespeare

Es war gestern eine der elegantesten denkbaren Lösungen der wirklich saublöden Liebes- und „Verwechslungs“-Komödie William Shakespeares - die Wolfgang Körner „eine hastig hingeschluderte Auftragsarbeit“ und eine „reziproke Charlys Tante aus dem 17. Jahrhundert“ nennt – die gestern Abend Holger Schultze auf die Bühne des Städtischen Wuppertaler Theaters brachte. Zuletzt war „Was ihr wollt“ dort 1993 mit der zauberhaften Tina Eberhard als Viola, der göttlichen Franziska Becker als Maria, dem abgeklärten Adalbert Stamborski als Malvolio und den herrlichen Zechkumpanen Tobias (Jörg Reimers) und Bleichenwang (Hans Matthias Fuchs) zu sehen.
 
All´s well that ends well...

Schon beim Versuch einer griffigen Inhaltsangabe sträubt sich im Grunde die Feder: Das Zwillings-

Orsino (Thomas Braus) und Viola/Cesario (Verena Fitz)
Geschwisterpaar Viola und Sebastian geht mit einem Schiff unter, jeder glaubt den anderen ertrunken. Viola (Verena Fitz) jedoch wird an den Stand Illyriens gespült, verdingt sich dort in männlicher Verkleidung (keiner weiß, warum) als Cesario beim Herzog Orsino (Thomas Braus) und verliebt sich in ihn. Der wiederum wirbt vergebens um die Gräfin Olivia (Julia Wolff), die sich nun ihrerseits in den vermeintlichen Jüngling verliebt. Ihr versoffener Onkel Sir Toby Rülps (Andreas Ramstein) will sie mit dem völlig verblödeten Sir Andrew Leichenwang (Achim Conrad) verkuppeln, unterstützt von Diener Fabian (Patrick Schnicke) und dem Kammerkätzchen Maria (Britta Firmer). Mit von der Partie sind noch der Narr Feste (Hans Richter) und Olivias Haushofmeister Malvolio (Andreas Möckel), der ebenfalls für Olivia schwärmt. Doch auch Violas Bruder Sebastian (Henning Strübbe) ist am Leben geblieben, ein Kapitän setzt ihn – wo sonst? – in Illyrien an Land. Beide werden multipel miteinander verwechselt, schließlich kriegt Viola ihren Orsino, Sebastian seine Olivia und Maria die Schnapsnase Sir Toby. All´s well that ends well...
 
Ärgernisse

Ist doch wirklich eine hirnverbrannte Geschichte. Die aufzudröseln kann gleichermaßen schwierig wie

v.l.: Andreas Ramstein, Britta Firmer, Achim Conrad, Andreas Möckel
lustvoll sein. Holger Schultze hat sich für die lustvolle Variante entschieden. Dabei das grundhäßliche Bühnenbild Marc Kellers noch mit zu überwinden, war wohl für alle eine hohe Anforderung, denn stets und ständig über und unter umgestürzte Tische, Rampen, schräge Ebenen und eine Wippe zu klettern, kriechen, balancieren, rollen war ähnlich verwirrend – wohl auch so gemeint – wie das Stück selbst. Aber eben ärgerlich für den Betrachter. Ärgerlich auch, daß Orsino die Bühne und seinen Anzug voll kotzt und Viola/Cesario zur Erinnerung fürs tumbe Publikum, daß der Knabe ja in Wirklichkeit eine Frau ist, mal kurz mit ein wenig Theaterblut ihre Tage kriegen muß. Ansonsten aber gab es wenig, was man hätte besser machen können. Als die anfangs etwas lahme Maschine erst mal ins Rollen gekommen war, gab es kein Halten mehr, großes Amüsement für ein gut unterhaltenes Publikum und merkbare Spielfreude auf der Bühne. Jan Kazda spielte live die punktgenaue Musik Jochen Kilians ein.
 
Vergnügen

Mit dem originellen Einfall, Viola und einen Begleiter in der Tat pitschnaß aus dem Meer an Land kriechen zu lassen, war ein guter Einstieg gemacht. Verena Fitz´ Wandel vom schlanken Mädchen

Olivia (Julia Wolff), Malvolio (Andreas Möckel), Kapitän (Paul Weismann)
zum forschen Burschen, das Ringen mit der Rolle und den Folgen bei beiden Geschlechtern ging ihr wunderbar spröde von der Hand. Sie konnte die Zerrissenheit der Figur begreifbar machen, Violas mannigfaltige hetero- und homo-erotische Verstrickungen bekamen durch Fitz packend Gestalt.
Eine bestens auf- und eingestellte Theatertruppe aus Wuppertaler Ensemble und hochkarätigen Gästen ließ eine Typenparade aufmarschieren, die mit der Vokabel „köstlich“ annähernd beschrieben ist. Da ist der rotnasige Säufer Sir Toby, dem Andreas Ramstein als durch die Szene torkelnde Falstaff-Sparversion genial Gestalt gab. Als brillanter Intrigant in der Duell-Sache vs. Sebastian zieht er alle Register der Komödie. Patrick Schnicke und Achim Conrad konnten da im Trottel-Trio noch gerade so heranreichen. Thomas Braus hatte als Orsino nicht viele, dafür aber umso stärker aufblitzende Momente, wenn man ihn ließ. Julia Wolff gab förmlich sprühend, witzig überspannt und elegant charmant die liebestolle Gräfin. Die Bonbons waren unstreitbar die zauberhafte Britta Firmer als durchtriebene Kammerzofe, Andreas Möckel in der dankbaren Rolle des düpierten Malvolio und Hans Richter als singender Narr. Hier wurde Schauspiel auf höchstem Niveau geboten.
 
Kabinettstücke

Richter legte seinen melancholischen Narren irgendwo im Niemandsland zwischen Beckett und

Hans Richter (Feste), Thomas Braus, Verena Fitz
Brecht an und berührte damit tief. Seine resignative Weisheit ging unter die Haut. Wer ihn als Puck im Sommernachtstraum, als Helmuth Rode in „Der Fall Furtwängler“ oder als Willie in „Glückliche Tage“ erlebt hat, weiß um die große Kunst dieses Charakterschauspielers. Hier ein weiterer Beweis. Britta Firmer zog als dralles, saftiges Kammerkätzchen Blicke und Sympathien auf sich. Selbstbewußt spielte die junge Mimin zeitweise alles um sich herum glatt an die Wand. Ihre umtriebige, zielgerichtet erotisch willige, lustvoll intrigante und fast aggressiv weibliche Maria war zum Anbeißen, in der Ausstrahlung eine junge Anita Kupsch. Ihre ansteckende Lacharie auf Malvolio ein luftiges Baiser. Szenenapplaus und am Ende großen Jubel kassierte Andreas Möckel für seinen Malvolio. Ein geleckter Stenz von gehemmter Leidenschaft, bricht er durch eine vermeintliche Einladung zum tête-a-tête mit allen Regeln, macht sich zum Narren in kanariengelben Strümpfen und läßt mehr mitleiden denn über ich lachen. Tragische Komik mit Tiefgang. Zum komödiantischen Kabinett-Stück wurde seine Brief-Szene – durch tosenden Applaus belohnt.
 
So möchte man die schwer verdaulichen Shakespeare-Komödien sehen. Gleichzeitig hat Holger Schultze es geschafft zu zeigen, wie weh unerwiderte Liebe tut – dankenswert weit über Shakespeares Intention hinaus.
Weitere Informationen über Termine unter:  www.wuppertaler-buehnen.de