Mord und Nachschlag

Ulrich Land - "Der Letzte macht das Licht aus"

von Jürgen Kasten
Am Arsch der Welt
 
Gleich vorneweg: Dieser Krimi liest sich nicht so einfach mal durch. Es braucht schon Konzentration und der Leser muß sich auf die lebenserschwerenden Umstände des hohen Nordens einlassen. Schafft er das, dann lebt und leidet er mit Finn, Brik, der alten Marit, Petterson und einigen anderen, die es an den „Arsch der Welt“ verschlagen hat, nach Stjernholmen, einem Eiland nördlich des Polarkreises in Norwegen, das sie als ihre Heimat betrachten. Ulrich Land zeichnet eine uns unwirkliche Landschaft, einen Polarwinter Mitte der 80er Jahre, in der jeder um seine Existenz kämpft. Viele arme Seelen überleben diesen Kampf nicht, versinken im eiskalten Polarmeer, werden erschlagen oder erschossen.
 
Von daher ein klassischer Krimi und doch auch nicht, denn Ulrich Land schreibt, wie seine Protagonisten sprechen, abgehackt, wirr mit sinnlosen Wortwiederholungen. Das aber macht die Figuren authentisch und ehrlich. Zum Beispiel die alte Marit: Ist sie verrückt oder eine begnadete Philosophin? Die nordischen Sagen und Götter kennt sie jedenfalls im Detail und sie wird nicht müde, die Mythen um Beowulf zu erzählen, ob es jemand hören will oder nicht. Sie selbst könnte Beowulf sein, um sich schlagend noch im Niedergang. Doch hilft sie damit ihrem Mann Petterson dessen Fischgründe vor Industriefangflotten zu retten? Oder dem einsamen Fährmann Gunnar, den eine kilometerlange Sundbrücke überflüssig machen wird? Oder dem leidenschaftlichen Leuchtturmwärter Finn, dem Digitalisierung und Computer gesteuerte Leuchtfeuer seinen Lebensinhalt zerstören?
 
Ein Leuchtfeuer und das Radar fallen aus und in stockfinsterer, sturmgepeitschter Nacht kollidiert der erste Trawler mit einem Felsen. Damit scheinen die Fronten geklärt und doch wieder nicht, denn bis zum rasanten Finale bleibt unklar, wer hier gegen wen kämpft, wer wem hilft oder doch nur Sprüche kloppt. Dem Leser bleibt keine Wahl zwischen Gut und Böse. Nur mitleiderregende Kreaturen gibt es in dieser Geschichte, Loser allesamt, obsessiv in ihrem Denken, Tun und im Sex.
 
„Verdammte Krähenkacke“, nichts Erhellendes in Sicht? Doch – Ulrich Land ist nicht umsonst für vielfache Hörspiele, Radioessays und Lyrik ausgezeichnet worden. Die nordische Seele und karge Landschaft sind ihm bestens bekannt und so sind faszinierende Beschreibungen der zerklüfteten Felsenküste Norwegens und der Polarnacht zu bewundern.  Aus seiner Feder fließen Sätze wie: „Er sah weit raus, wo rotgold-kitschig die Sonne noch einen Augenblick auf der kaltglatten See längs kullerte und offensichtlich versuchte, die Gnadenfrist so lange wie möglich rauszuzögern. Bevor sie dann doch versank. Aber schnell noch einen üppigen Lichtvorrat aussandte, der den Horizont in ein sattes Orange tauchte, bonbonfarbene Schlieren an den Himmel zauberte, ein paar violette Federwolken mit einem barocken Goldrahmen einfasste, um dann schließlich in ein erbarmungsloses Blauschwarz auszuwachsen.“
 
Wie gesagt, kein gewöhnlicher Krimi und kein einfacher. Dafür eine ungewöhnliche Story, die uns nicht nur Nordnorwegen nahe bringt, sondern auch Pettersons Reflektionen auf sein unrühmliches Mitwirken während der Nazibesatzung und Gunnars Monologe vor Max Beckmanns Fastnacht-Bild „Tänzerin und Harlekin“, die er als Museumswächter in Trondheim hält.
Verrückt sind sie alle, selbst die, die vermeintliche Ökoterroristen jagen und auch Brik, Finns angetraute Kunststudentin, die der Liebe wegen alles aufgab und nun zu jeder Hergottsfrühe mit dem Boot aufs Festland tuckert, um einem Doktor zu assistieren. Nur eins vereint sie alle – Zukunfts- und Existenzangst und das ist die Triebfeder all ihren Tuns.
 
Ulrich Land, 1956 in Köln geboren, lebt in Hattingen, schreibt Lyrik, Erzählungen, Essays, Hörspiele und Radiofeatures. Darüberhinaus ist er Dozent für „creative writing“ an der Universität Witten/Herdecke. Der Wuppertaler Literaturszene ist er eng verbunden. Dieser Krimi ist sein Debütroman.
Da das Verlagsprogramm „Mord und Nachschlag“ heißt, wird auch gelegentlich lustvoll gekocht und das ist wörtlich gemeint. Ausführliche Rezepte finden sich am Buchende.
„Der Letzte macht das Licht aus“ ist der bisher dritte Band zu diesem Konzept. Davor erschienen „Picasso sehen und sterben“ von Jost Baum und „Rubine im Zwielicht“ von Dieter Jandt. Letzterer spielt in Wuppertal und wurde bereits in den „Musenblättern“ besprochen.
 
Jeder kann sich einen eigenen Eindruck verschaffen, denn alle drei Autoren lesen am 05.02.2009 um 20.00 Uhr im Rex-Theater Wuppertal aus ihren Werken, dazu wird ein adäquates Menü gereicht.
Man kann nur hoffen, daß „Lutefisk (Laugenfisch)“ nicht dabei ist.
Beispielbild


Ulrich Land
Der Letzte macht das Licht aus

Norwegen-Krimi mit Rezepten
 
© 2008 Oktober Verlag Münster
 
342 Seiten, Broschur, € 14,--
ISBN 978-3-938568-42-2
 
Weitere Informationen unter: www.oktoberverlag.de