Weites Land

Moritz Heger – „Die Zeit der Zikaden“

von Sabine Kaufmann

Weites Land
 
(Nora)
 
 
Lichten
Alex Mattmann (64) läßt ihr Leben als Lehrerin (Kunst, Deutsch, Theatergruppe) hinter sich. Rente. Endlich. Und endlich frei sich von allem als Ballast empfundenen zu trennen. Das Leben neu organisieren. Alex löst ihre Wohnung auf, kauft sich ein Tinyhouse auf Rädern und einen Geländewagen - und nimmt Abschied.
Johann Wieczorek (56), hat seinen Beruf als Bestatter satt und zweifelt am Bestand seiner Ehe, die durch das Verschwinden ihrer Tochter Nora, besser: ihren Ausbruch zusätzlich belastet ist. Nach der Hochzeit seines Sohnes Dominik mit Wibke Müller gibt ihm das Erbe eines alten Hauses in Ligurien die Gelegenheit, zumindest temporär aus dem unerfüllten Leben auszusteigen.
Ankern
Daß Wibke einst eine Schülerin von Alex war und ihre alte Mentorin zur Hochzeit eingeladen hat, läßt die Wege Alex´ und Johanns sich kreuzen. Sie kommen gut miteinander aus. Während Johann nach Italien aufbricht, sucht Alex an der Ostsee ihren Neustart. Daß Johann sie spontan nach Ligurien einlädt und sie das Angebot mit ihrem Tinyhouse stehenden Fußes annimmt, gibt beider Leben eine entscheidende Wendung.
Johann beginnt mit seinem Traum, dem Malen und findet Erfüllung darin. Alex will wieder Theater machen, sogar selbst auf der Bühne stehen und packt die Gelegenheit entschlossen beim Schopf.
 
Moritz Heger hat seinen Roman in die beiden oben bezeichneten Abschnitte eingeteilt, weil er  beide Protagonisten ihre Anker lichten und sie an einem Sehnsuchtsort neu werfen läßt. Als Leser empfinde ich die Einteilung zu knapp, sehe ich doch drei Abschnitte, davon den ersten zusätzlich unterteilt: 1. Lichten 1 (Sie), Lichten 2 (Er); 2. Ankern (Er + Sie); 3. Nora.
Denn Alex´ feines Gefühl für das Richtige führt zur Rückkehr Noras, nicht zur Mutter in Deutschland, sondern zum Vater nach Ligurien, zur belastbaren Aussprache und neuen Perspektiven. Die leise und doch mit elementaren Gefühlen entstehende geistige wie wunderbare körperliche Liebe zwischen Johann und der älteren Alex erzählt Heger zurückhaltend, sanft, mitfühlbar und doch brennend erotisch. Mit ruhiger, unaufgeregter, manchmal fast lakonischer Sprache gelingt es ihm Spannung aufzubauen, die zu ahnende Entwicklung voranzutreiben, der späten Erfüllung zweier Menschen ein schönes Bild zu geben. Es wird kein Druck aufgebaut, aufregenden Ereignissen wird die Spitze genommen, während Dialoge von hohem Rang die Luft reinigen.
Nora ist der Wendepunkt, wenn nicht die Katharsis dieses ungewöhnlich einfühlsamen Romans, dessen einigermaßen kryptisch angelegtes Ende nicht unbedingt zufrieden stellt.
 
Moritz Heger – „Die Zeit der Zikaden“
© 2024 Diogenes Verlag, 302 Seiten, Ganzleinen mit Schutzumschlag - ISBN  9783257072747
24,- €
 
Weitere Informationen:  www.diogenes.ch