Eine Frage der Energie

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Eine Frage der Energie
 
So schön der Sonnenwind die Atmosphäre zum Leuchten bringt, mit den bislang gegebenen Erörterungen ist die Physik des Lichts nicht einmal im Ansatz erschöpft. Was ist überhaupt ein Molekül? Wie kann man es zu fassen bekommen und begreifen?
 
Das wissenschaftliche Schlüsselwort ist «Streuung», worunter allgemein die Ablenkung von physikalischen Größen wie Licht oder Elektronen durch etwas verstanden wird, das sich ihnen in den Weg stellt. Dauernd treffen Strahlen auf Oberflächen, von wo aus sie zurückgeworfen (reflektiert) oder von denen sie eingefangen (absorbiert) werden. Ein Großteil von physikalischen Experimenten wird mittels Streuungen durchgeführt, deren Analysen Auskunft geben können über die getroffenen Objekte oder bei denen sich Eigenschaften der ein- und auftreffenden Größen erkunden lassen. Streutheorien gehören zu den ertragreichsten Gebieten der Physik. Dabei kommen in Experimenten, die etwa an gigantischen Beschleunigern wie am CERN9 durchgeführt werden, so hohe Energien zum Einsatz man spricht deshalb von einer Hochenergiephysik -, daß dabei Teilchen produziert werden, die man vorher noch nicht kannte oder gesehen hatte.
 
 Details würden hier zu weit führen, und das entscheidende Stichwort ist auch schon gefallen, nämlich «Energie». Wann immer Licht auf etwas trifft - zum Beispiel auf ein Molekül in der Luft, auf die Oberfläche eines Spiegels oder von Wasser oder auf die Netzhaut im Auge eines Menschen -, hängt das, was im Anschluß passiert, von der Energie ab, die das Licht mitbringt, und der Frage, ob es sie abgeben und loswerden kann. Um diesen Vorgang zu verstehen, muß man auf eine der erstaunlichsten Entdeckungen der Wissenschaft zurückgehen. Sie stammt aus dem Jahre 1900 und besagt, daß die Energien von Licht und Atomen nicht kontinuierlich jeden Wert annehmen können. Vielmehr existieren sie diskret in Form von Päckchen, die als Quanten bezeichnet werden. Wenn Licht irgendwo auftrifft, kann es die Energie seiner Strahlen nicht beliebig loswerden. Es muß sie vielmehr Stück für Stück anbieten oder abgeben. Weist der bestrahlte Gegenstand keine innere Struktur oder andere Qualitäten auf, die mit den eintreffenden Energiequanten etwas anfangen können, bleibt dem Licht nichts anderes übrig, als das Objekt zu durchqueren und einem neuen Ziel zuzustreben.
 
Solch eine Situation liegt zum Beispiel bei Glas vor, was erklärt, weshalb Fensterscheiben durchsichtig bleiben - fast jedenfalls und solange sie gereinigt werden. Das Licht wird seine Energie im farblosen Glas einfach nicht los - anders als im Nebel, der undurchsichtig bleibt. Übrigens entsteht dabei die paradox wirkende Situation, daß in Metern gemessene Menschen und in Nanometern vermessenes Licht mit Glas und Nebel ganz gegensätzlich zurechtkommen. Während es Licht durch das harte Glas schafft, das Menschen aufhält, schaffen es Menschen durch den weichen Nebel, der dafür das Licht mit Hilfe seiner Tröpfchen einfängt. Auf und in ihnen wird es seine Energie los; ein Mensch kann sich in ihm zwar noch bewegen, aber nichts mehr sehen.
 
Wer mehr über die Energie des Lichts aussagen will, sollte genauer von der Energie seiner Farben sprechen, denn diese hängt von der Frequenz ab. Sie ist sogar proportional dazu, was bedeutet, daß blaues Licht mit seiner hohen Frequenz mehr Energie mit sich trägt als rotes mit seiner niedrigen Frequenz (was UV-Licht für die Haut gefährlicher macht als IR-Strahlen, wie erläutert worden ist). Mit dieser Verteilung der Strahlenenergie im bunten Spektrum lassen sich auch die Fragen beantworten, warum das Blut von Menschen rot ist und die Blätter des Waldes grün sind - allerdings nur mit einem anfänglichen Twist. Blut ist ein besonderer Saft, wie der Teufel in Goethes Faust anmerkt, und dies trifft nicht zuletzt deshalb zu, weil sich in diesem Lebenselixier ein besonderes Gebilde befindet - ein Molekül mit Namen Hämoglobin. Es ist in der Lage, die Energie der grünen Komponente des Lichts aufzunehmen. Der Körpersaft hält sie fest und wirft das weiße Licht ohne das Grün zurück, was das Blut rot erscheinen läßt. Grün und Rot nennt man aus diesem Grund Komplementärfarben. Sie ergeben zusammen Weiß. Woraus sich schließen läßt, daß Blätter deswegen grün aussehen, weil sie einen Stoff - eine Molekülsorte - produzieren und enthalten, die den roten Anteil des Sonnenlichts festhält. Blätter sind nicht grün, weil sie grünes Licht festhalten, sondern weil sie es im Gegenteil refiektieren und die Energie des roten Lichts aufnehmen.
 
Bevor mehr zum Blattgrün gesagt wird, noch einmal zum Blut, von dem manchmal zu lesen ist, daß es in den Adern von Königskindern oder anderen Adligen als blauer Saft, als blaues Blut, zirkuliere. Blaues Blut gibt es tatsächlich, und zwar in Königskrabben - «horseshoe crabs». Der Unterschied zwischen den für den Transport von Sauerstoff im Körper zuständigen Flüssigkeiten besteht darin, daß das menschliche Hämoglobin für seine Aufgabe mit einem Eisenatom ausgestattet ist, während die Königskrabbe an dieser Stelle auf Kupfer zurückgreift. Damit ist noch nicht vollständig erklärt, warum das eine Metall eine rote und das andere eine blaue Färbung hervorruft, aber ein Anfang ist gemacht, und neugierige Wissenschaftler können sich davon ausgehend an die Arbeit machen.
 
Nach dem Rot und Blau zum Grün der Blätter. Die Moleküle, die für diese sich dem Auge in vielen Nuancierungen darbietende Färbung verantwortlich sind, tragen den Namen Chlorophyll, der aus dem griechischen Wort für Blattgrün hervorgegangen ist. Mit ihren Chlorophyllen bekommen Pflanzen - auf wundersame und höchst trickreiche Weise - den als Fotosynthese bezeichneten Vorgang hin, bei dem es Blättern gelingt, die von ihnen eingefangene Energie des Lichts in die Energie von molekularen Strukturen zu überführen. Sie werden für eine Fülle von chemischen Prozessen im Zellgeschehen benötigt und erledigen die vielen verschiedenen biologischen Aufgaben, die zum Leben gehören.
 
Auf das Chlorophyll wird hier deshalb eingegangen, weil im Herbst, wenn die Sonnenstrahlung abnimmt, auch die Menge an Blattgrün weniger wird, mit denen die Pflanzen ausgestattet sind. Dadurch können andere Stoffe in Erscheinung treten und ihre Farbwirkung zur Geltung bringen. Deshalb zeigt sich das Laub im Herbst in seiner bunten Pracht. Dabei ist vor allem ein Stoff mit Namen Karotin zu nennen, der Blätter gelb und orange leuchten läßt. Daneben sorgt ein Pigment namens Anthocyan für ein auffallendes Rot, was man dem Wort nicht ansieht, da Anthocyan «dunkelfarbige Blume» heißt. Das Molekül mit diesem gefälligen Namen zeigt neben seinem unübersehbaren Beitrag auf die Herbstbuntheit noch eine Qualität, die der Gesundheit von Menschen dient. Anthocyane können unerwünschte und chemisch aggressive Zwischenprodukte des Stoffwechsels einfangen und auf diese Weise Menschen helfen, Entzündungen zu reduzieren und die Abwehrkräfte ihres Körpers zu mobilisieren, weshalb zum Verzehr von Früchten oder Pflanzen geraten wird, die wie Waldbeeren Anthocyane enthalten.
 
 
© Ernst Peter Fischer
 
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
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Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.