Wir trauern um Rainer Kreusch
Diese Woche erreichte uns die traurige Nachricht, daß unser langjähriges Ensemblemitglied Rainer Kreusch am 11.08.24 verstorben ist. Laurentiu Tuturuga und Lars Emrich erinnern sich nicht nur an einen wunderbaren Kollegen, sondern an eine ganz besondere Zeit.
Ein wunderbarer Kollege, ein brillianter Kopf
Irgendwann war Rainer da. Wie aus dem Nichts. Es waren die Zeiten, als wir, das Kinder- und Jugendtheater unsere Heimat noch in der damals nicht renovierten Stadthalle hatten, dort wo heute das Restaurant Rossini ist. 'Aidsfieber' war sein erstes Stück. Ein Stück, wie wir es vorher noch nie gemacht hatten. Laurentius Bühnenbild war ein Gerüst aus Metallstangen, Herwig Mark führte Regie und Lars war damals Regieassistent. Rainer spielte einen Bettler. Und schon nach den ersten Proben wurde klar, mit was für einem besonderen Menschen wir es mit ihm zu tun hatten. Es machte Spaß mit ihm zu reden. Er wollte vieles wissen, was die Figur, die er spielen sollte, als Mensch ausmacht, um dann das Wesen hinter dem Text zu entdecken. Er machte das mit einer so großen Sensibilität, daß uns schon in den Proben oft die Luft wegblieb. 'Mit Rainer war immer eine Vertrautheit', erzählt Rita Reineke, auch wenn man sich lange nicht sah. Und: 'Ich habe so gerne mit ihm zusammengespielt.'
Dem Bettler folgten viele Rollen, an die wir uns heute sofort erinnern. Für 'Der Indianer will zur Bronx' lernte er den Hindi Text nicht nur phonetisch, er setzte sich mit einer Professorin hin, um den Text vollkommen zu verstehen und so auch den authentischen Eindruck zu erlangen, den diese Rolle benötigte. Den Mattis in Ronja Räubertochter spielte er mit einer solchen Intensität, daß der Streit und Schmerz zwischen ihm als Vater und Ronja (Annika Kuhl) als seiner Tochter einem wirklich die Kehle zuschnürte. Er war auch unser erster Herr Taschenbier in unnachahmlicher Weise und läutete eine Tradition ein, die bis zu unserer erfolgreichen Neuproduktion 2022 reicht, er war der Kater im Wunschpunsch (wobei er den musikalischen Part der Rolle so sehr haßte, daß er beinahe hingeschmissen hätte), spielte den Quasimodo, den Möbius in 'Die Physiker' (Lars schaut verklärt), im 'Kleinen wilden Tier' und in der 'Schatzinsel', in der er auf dem Schiff, das sich nach und nach auf der Bühne zusammenbaute, der getriebene Kapitän auf unruhigen Wellen war. Ein bißchen so wie in seinem Leben.
Aber für uns wird diese schon an sich beeindruckende Aufzählung überstrahlt von Rainers Leistungen im 'Kohlhaas' (zusammen mit Knut Heimann), den er mit einer solchen Feinfühligkeit spielte, daß man den Wechsel von einem normalen Mitbürger zu einem, der gegen die Obrigkeit aufbegehrt, so hautnah mitverfolgen konnte, wie es wohl nur im Theater gelingt.
Und dann ist da natürlich 'Klamms Krieg'. Was er hier für einen seelischen Spagat hingelegt hat, gehört für uns zu einer der beeindruckendsten Leistungen bei uns im intimen Rahmen des kleinen Rex-Theaters, das eine zeitlang zusammen mit dem großen Saal auch ein Teil unserer Heimat war.
Dabei war er auch ein so toller Kollege. Dieter Marenz schreibt uns eine Nachricht: 'Rainer war einer der ersten und beeindruckendsten Schauspieler und Menschen, die ich im Kindertheater kennengelernt habe. Er hat sich nicht in den Vordergrund gespielt - durch sein verhaltenes Können und seine große Begabung war er Merk-Würdig!!!!'
Und ja, wir nicken. Er war immer fair und er gehörte zu den wenigen, die es auch schafften, seine Mitspieler besser zu machen, weil er so auf sie eingehen konnte. Er war ein unvergleichlicher Sparringspartner, auch wenn er dabei immer von Zweifeln an sich selbst begleitet war. Er war nie mit sich selbst zufrieden, hat sich nie selbst auf die Schulter geklopft. Und vielleicht ist auch das der Schlüssel, überlegen wir, warum es ihm gelang, in jeder Rolle sowohl die starken als auch die schwachen Seiten des Charakters zu finden und dadurch die darzustellende Figur in ihrer ganzen Komplexität darzustellen. Und seine unglaubliche Liebe zu den Figuren zu entwickeln, die wir immer gespürt haben und sich bei uns und dem Publikum einbrannte. Es war das, was Kunst manchmal sein kann: eine Brücke direkt von Mensch zu Mensch.
Daß er neben all dem auch als Regieassistent und Autor viele Produktionen im Hintergrund begleitet hat, wirkt so bescheiden, wie Rainer oft war, aber zeigt, daß es eine Ära gab, die ohne Rainer nicht möglich gewesen wäre und in der wir uns auf ganz neue Wege begeben haben.
Am Ende schweigen wir. Und Laurentiu ergänzt: 'Mit meiner Krankheit und dem zeitweiligen Rückzug aus dem Kinder- und Jugendtheater haben wir uns zunächst aus den Augen verloren. Aber bis zuletzt, gab es immer wieder die Gelegenheit, wenn ich über den Kiesbergtunnel ins Tal hineinfuhr auf einen Sprung bei ihm vorbeizuschauen. Mit ihm zu reden, sich auszutauschen. Das werde ich mehr als alles andere vermissen. Denn mit Rainer geht nicht nur ein großartiger Kollege, sondern (und es folgt wieder eine Pause) ganz schlicht gesagt, auch ein Freund.'
Lieber Rainer, Danke für alles.
Dein Laurentiu und Lars
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