Der Löwe von Juba

Gianfranco Calligarich – „Wie ein wilder Gott“

von Johannes Vesper

Der Löwe von Juba
 
Afrikaforscher, „Wilder Gott“, Abenteurer?
 
Ein moderner Schmöker, in dem die italienischen Versuche, Äthiopien als Kolonie zu gewinnen und auszubeuten, erzählt werden. Den Artillerieoffizier Vittorio Bottego (1860-1897), von Abenteuerlust und Lebenshunger angetrieben, drängte es nach Afrika, er wollte die Flüsse Juba und Omo erkunden, mußte sich wegen diplomatischer Verwicklungen zwischen Kaiser Menelik II. und dem italienischen König Umberto I. aber zunächst mit der Danakil-Wüste als Expeditionsziel zufriedengeben. Seine Geschichte wird in diesem historischen Roman erzählt vom ehemaligen Präsidenten der Geographischen Gesellschaft, der im Ruhestand als Sekretär der Gesellschaft die Geschichte des Abenteurers von 1892 bis zu seinem Ende 1897 von Rom aus verfolgen konnte. Das ist die Rahmenhandlung, in welcher viel später dem Pensionär die Tagebücher Bottegos wie auch ein Foto des Mannes in die Hände gefallen sind, aufgrund welcher er die aufregende, turbulente Geschichte, das kurze „gleißende Bengalfeuer“ dieses Lebens erzählt.
 
Nach der italienischen Einigung und dem Berliner Kongreß wollte auch Italien seinen Platz an der Sonne des europäischen Kolonialismus ergattern, hatte nach dem Bau des Suezkanals Eritrea als Kolonie besetzt, was Abessinien und sein Negus Johannes nicht tolerieren wollten. Zehntausende Soldaten marschierten nach Eritrea, massakrierten in der Schlacht von Dougali (Januar 1887) 500 italienische Soldaten, die Widerstand leisten sollten. Die Bilder der massakrierten, weiß uniformierten italienischen Soldaten im Wüstensand verfehlten ihre Wirkung in Europa nicht. Mit einer Expedition von Freiwilligen zu Wiederherstellung italienischer Infrastruktur in Massaua, der Hafenstadt Eritreas, reiste Bottego erstmalig von Italien nach Afrika und träumte von seinen eigenen Expeditionen. Mit der ersten Expedition in die Danakil-Wüste, die, großteils unter dem Meeresspiegel liegend, lange als eine der heißesten Gegenden der Erde galt, sollten die Möglichkeiten des Baus einer Eisenbahnlinie von Massaua bis nach Assab (unmittelbar nördlich vom damals französischen Dschibuti) eruiert werden. Die Unwirtlichkeit und Gefahren dieser Wüste aus Sand und Steinen ohne ausreichenden Wasservorrat werden anschaulich und dem Rezensenten nachvollziehbar geschildert, hat er doch selbst 1973 dort den Gesundheitszustand der Wüstenbevölkerung untersucht. Die späteren Expeditionen zum Juba, der vom zentralen äthiopischen Hochland zum indischen Ozean und zum Omo, der aus dem gleichen Hochland zum Rudolfsee (Heute Turkana-See, Kenia) fließt, spannend und unterhaltsam erzählt, wobei Kolonialismusklischees nicht gemieden werden und die Motivation des Entdeckers zwischen Wissenschaft, politischer Macht, Abenteuertourismus und Verbrechen ohne psychologische Tiefen seltsam unscharf bleibt. Die Askaris, Einheimische, die zum Schutz und als Hilfspersonal mit auf die Expeditionen genommen wurden, erscheinen nur als Sammelbegriff, nie als Individuen im Text. Beim Gefangenenaustausch mit einheimischen Stämmen sind sie rund 15 Ziegen wert. Menelik wurde vom italienischen König immer wieder in rassistisch-kolonialistischer Manier als afrikanischer Affe bezeichnet. Es wurden Elefanten abgeschlachtet, um Elfenbein zur Bezahlung der Expedition zu gewinnen. Expeditionsdeserteure wurden geprügelt oder doch lieber gleich erschossen, Hütten von Einheimischen niedergebrannt, die Menschenwürde mit Füßen getreten, aber die hochnäsige Wüstenwürde der Kamele durchaus geschätzt. Wissenschaftliche Ergebnisse seiner „Forschungsreisen“ werden nicht berichtet. Lucy, die erste mit uns Menschen verwandte Frau von vor gut 3 Millionen Jahren, hätte er finden können, hat er aber nicht.
 
Mit sprunghaften, unvollendeten und gelegentlich stolpernden Sätzen bzw. immer wieder eigentümlichem Satzbau entwickelt Gianfranco Calligarich einen eigenen, überraschenden Romanstil. Die Katastrophe des europäischen Kolonialismus in einem unkritischen Unterhaltungsroman mit stilistischen Schwächen zu thematisieren, erscheint unzeitgemäß und aus der Zeit gefallen, da doch der Zorn des über Jahrhunderte ausgebeuteten, globalen Südens auf die rassistischen Kolonialherrn Europas zunehmend Raum greift. Immerhin ist der Roman spannend, erinnert an die katastrophale Kolonialgeschichte Italiens und daran, daß Abessinien (neben Karthago unter Hannibal in der Schlacht von Zama 202 v. Chr.) als einziger Staat Afrikas Schlachten gegen eine Kolonialmacht gewonnen hat und nie europäische Kolonie war, sieht man von der späteren fünfjährigen Besetzung durch Mussolini 1936-41 ab. Neben der Schlacht von Dougali erlitt Italien in der Schlacht von Adua am 1. März 1896 (rund 120.000 Abessinier gegen rund 18.000 Italiener) eine weitere vernichtende Niederlage. Bottego entdeckte zwar seine beiden Flüsse, kam aber endlich bei dem Gemetzel von Dago Rabo ums Leben, wurde zerhackt und von den Tieren gefressen, wie Menelik II. es sich immer gewünscht hat. 

Hier verschwimmen Fiktion und Tatsachenbericht. Ein Glossar mit 14 Begriffen bietet wenig Information. Der Autor Gianfranco Calligarich wurde 1947 in Eritrea geboren, wuchs aber in Mailand auf und lebt als Drehbuchautor und Journalist in Rom.

Gianfranco Calligarich – „Wie ein wilder Gott“
Roman - Originaltitel: Una vita all'estremo
Übersetzung aus dem Italienischen: Karin Krieger
© 2024 Zsolnay-Verlag, 208 Seiten, gebunden  -  ISBN-13: 9783552075108
24,- €
 
Weitere Informationen: www.zsolnay.at