Die Empfindung Farbe

von Ernst Peter Fischer

Ernst Peter Fischer
Die Empfindung Farbe

Konnte er das wirklich …? Nicht alle Farblehrer haben sich von dem Versuch mit dem Prisma angetan gezeigt. Newton untersuchte das Licht vor allem als Physiker, was einem deutschen Dichter etwa einhundert Jahre später zu wenig erschien, der bei den Farben mehr an die Empfindungen dachte, die ein Rot, ein Grün oder ein Gelb auf das Gemüt eines Menschen ausübt. Gemeint ist Johann Wolfgang von Goethe, der bei seinem naturwissenschaftlichen Forscherdrang die ihn umgebende Welt immer auch mit den Augen eines Künstlers betrachtete. Er wollte den Farben nicht nur messbare Wellenlängen, sondern auch die Fähigkeit zur seelischen Empfindsamkeit zuschreiben und sie auf diese Weise weniger physikalisch und mehr psychologisch und kulturhistorisch verstehen. Goethe wusste ebenso wenig wie Newton etwas von der erst im Verlauf des späten 19. Jahrhunderts entwickelten Vorstellung, daß F Licht ein elektromagnetisches Phänomen ist und sich seine wahrgenommenen Farben durch Wellenlängen charakterisieren oder zumindest voneinander unterscheiden lassen. Wer nach diesen Erfolgen der Physik die oben gestellten Fragen beantworten will - Warum sind der Himmel und das Meer blau? -, muß zuerst auf dieser wissenschaftlichen Grundlage antworten und mit Wellenlängen argumentieren. Dabei braucht niemand zu vergessen, daß das Bunte in der Welt mit seiner Farbenpracht auch immer das Gemüt anspricht und kein empfindsamer Mensch zufrieden sein wird, wenn man ihm oder ihr ein Blutrot, ein Himmelsblau oder ein Giftgrün durch eine Zahl erschöpfend nahezubringen versucht.
 
Der Sonne entgegen

Farben haben es in sich, wie selbst einfache Überlegungen erkennen lassen, und sie bleiben auch heute noch für manche Überraschung gut. So verknüpfen zum Beispiel viele Menschen mit dem Rot die angenehme Empfindung von Wärme, und die Physik bestätigt dieses Zusammendenken durch eine unsichtbare Strahlung, die sie im Spektrum unterhalb (infra) des roten Lichts gefunden hat und die als Infrarot (IR) eine wohlige Temperaturerhöhung auf der Haut spüren läßt. Mit dem blauen Himmelslicht hingegen verbinden Menschen das Gefühl der Kälte. Als Physiker im 19. Jahrhundert das Pendant zum Infraroten suchten und das Ultraviolette (UV) fanden, meinten sie, sie hätten neben der Wärme- auch eine Kältestrahlung gefunden. Zur allgemeinen Überraschung mußten sie dann erkennen, daß sich Menschen mit Licht aus diesem UV-Bereich gefährlich verbrennen können.
       Selbst wenn die Verbindung von Blau und Kälte wissenschaftlich nicht gerechtfertigt ist, drängt sich dieser Zusammenhang bei den Erfahrungen auf, die Menschen machen, wenn sie auf einen Berg steigen. Während sie an Höhe gewinnen und der Sonne näher kommen, wird es paradoxerweise kälter, was intuitiv zu dem als eisig empfundenen Blau des Himmels zu passen scheint. Wer sich an dieser Stelle fragt, warum die Temperatur auf dem Weg nach oben auf die Sonne zu sinkt, wird irgendwann darauf stoßen, daß dies mit der Luft zusammenhängt, die ihn oder sie umgibt. Sie wird nämlich zum Gipfel hin dünner, wie man sagt. Das zeigt sich am auffälligsten daran, daß der Sauerstoff in der Bergluft so knapp wird, daß Menschen beim Aufsteigen höhenkrank werden können und ihr Leben gefährden.
       Physikalisch ist festzuhalten, daß es dann, wenn die Luft ausdünnt, weniger aufheizbares Material gibt. Deshalb wird es in höheren Bergregionen kühler, auch wenn der Abstand zur Sonne abnimmt. Letzteres steigert nicht nur das Risiko von Verbrennungen der Haut, sondern kann in ungeschützten Lippen auch Herpesviren aktivieren, die der Körper vor der Einstrahlung noch kontrollieren konnte. Die Reduktion des Wärmegefühls in Gipfelnähe hat auch mit den in diesen Regionen häufig zunehmenden Winden zu tun, die noch kleinste Mengen an aufgeheizter Luft von der Haut mit ihren Härchen wegblasen und die Bergsteiger frösteln lassen. Offenbar kann der blöde Wind nichts anderes als wehen, wie Frierende in eisigen Stürmen wütend denken, auch wenn sie sich klarmachen, daß das unentwegte Blasen durch lokale Unterschiede im Luftdruck zustande kommt. Der Wind, der nicht weht, wartet nur auf die Gelegenheit, loszulegen. Seine Zeit wird kommen, und die Wanderer müssen sich stoisch warm anziehen, wenn sie weiter an Höhe gewinnen und den Gipfel gesund erreichen wollen.
 
 
© Ernst Peter Fischer
 
aus: „Warum funkeln die Sterne?“
Die Wunder der Welt wissenschaftlich erklärt
© 2023 C.H. Beck
Veröffentlichung in den Musenblättern mit freundlicher Erlaubnis des Autors.