Hartleibige Lobbyarbeit
Minister Wissing fürchtet Diesel-Stilllegungen
Von Lothar Leuschen
Noch ist das Kind nicht in den Brunnen gefallen. Es steht nicht einmal in der Nähe des Gemäuers. Aber Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) ruft schon einmal nach den Rettungskräften. Wieder einmal soll die jüngst wiedergewählte Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen (CDU), das Schlimmste verhindern. Und das Schlimmste für Volker Wissing wäre, wenn bis zu acht Millionen dieselbetriebene Fahrzeuge zum Jahresende stillgelegt würden, weil sie die aktuellen Abgaswerte der Europäischen Kommission nicht erfüllten. Denn die werden längst nicht mehr im Labor gemessen werden, sondern im Alltagsbetrieb. Die Anforderungen sind damit gestiegen. Und nun fürchtet der liberale Bundesverkehrsminister den Totalschaden. Um den zu verhindern, soll von der Leyen dem Europäischen Gerichtshof zuvorkommen, der im November über die Änderung des Verfahrens entscheiden will. Das läßt tief blicken. Die FDP war einmal eine Partei, bei der Recht, Gesetz und deren Judikative gut aufgehoben waren. Inzwischen scheinen die deutschen Liberalen zur reinen Autofahrerlobby mutiert zu sein.
Denn tatsächlich ist noch gar nichts geschehen. Bisher gelten die Abgaswerte, die einst im Labor gemessen wurden. Der zuletzt gerupfte Green Deal, der Europas Klimaneutralität bis 2050 ermöglichen soll, spricht allerdings dafür, dass die Regelwerke verschärft werden müssen, wenn es ab 2035 mutmaßlich schon kein generelles Verbot der Neuzulassung von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor mehr geben soll. Die Befürchtung Wissings ist deshalb vermutlich nicht ganz unbegründet.
Dennoch ist es eher unwahrscheinlich, dass die EU-Kommission Millionen von Autofahrern die Fahrzeuge stilllegt. Die Folge wäre eine immense Zahl von Klagen, und in Deutschland liefe die CDU Gefahr, im Herbst nächsten Jahres an den Wahlurnen für einen derartigen Husarenritt der Parteifreundin von der Leyen bestraft zu werden. Das dürfte auch Volker Wissing wissen. Deshalb wäre er besser beraten, die deutsche Autoindustrie im Fortschritt zu noch klimafreundlicherer Technik zu unterstützen. Im Stillstand wird Deutschland abgehängt.
Der Kommentar erschien am 2. August in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.
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