Wo soll das alles enden?

Gerhard Seyfried - "Die Werke - Alle!"

von Jürgen Kasten

© Zweitausendeins
Gerhard Seyfried
Die Werke – Alle!
 

Kritiker sind unverzichtbar, denn jemand muß den Autoren ihre Bücher erklären. Dieser abgenutzte Spruch braucht Gerhard Seyfried nicht zu beunruhigen - seine Werke sind selbsterklärend. Klar im Strich, klar in der Botschaft. Seyfried ist detailversessen, damit ja niemand etwas falsch versteht – hier die Guten, dort die Bösen. Doch wie kommt es, daß alle so sympathisch wirken? Die Antwort findet sich in den 594 Seiten, die „Zweitausendeins“ zwischen zwei Buchdeckel gebunden und damit ein Werk auf den Markt geworfen hat, das man ob seines Volumens lieber nicht an den Kopf bekommen möchte.

Die pusselige, wuselige Linie

Ziska Riemann zeichnet als Herausgeberin (ha ha, doppeldeutig) und sie hat den Meister interviewt. Eigentlich ist „Interview“ nicht der richtige Ausdruck. Ziska ist mehr Stichwortgeberin, damit Seyfried von sich erzählt. Er tut dies in einer Ausführlichkeit, die einer Biographie nahe kommt, dargelegt zwischen 1948 und der Jetztzeit. Passend zum 60. Geburtstag Gerhard Seyfrieds wird dieses monumentale Werk medial aufbereitet. Das dürfte nicht nur Comicfreaks interessieren, denn es spiegelt auch einen nicht unwesentlichen Teil deutscher Geschichte und Bundesrepublikanischer Befindlichkeiten.
Doch zunächst zum „klaren Strich“. Auf´s Zeichnen verstehe ich mich nicht, wohl aber F.W. Bernstein,

F.W. Bernstein
Foto © Frank Becker
der dann auch folgerichtig ein schönes Vorwort verfaßte, in dem er fragt „WIE macht Seyfried das?“. Die Antwort hat er auch parat und faßt sodann zusammen: „Gelobt sei seine pusselige, wuselige Linie, die sich um die winzigsten Kleinigkeiten kringelt.“ So hat Seyfried bereits als achtjähriger Bub in München-Pasing gezeichnet. Vergleicht man seine „Seeschlacht“ (Seite 13) mit den Kritzeleien Gleichaltriger, so hätte man schon damals erahnen können, daß hier ein Ausnahmezeichner heranwächst. Im Laufe der Jahrzehnte hat er sich perfektioniert, sagt auch von sich selber, daß er detailversessen ist und gerade deshalb aufpassen muß, denn „Je mehr Professionalität reinkommt, das merke ich auch an meiner zeichnerischen Entwicklung, desto geleckter und perfekter wird es, man verliert die Spontanität dabei.“
Im vorliegenden Buch findet sich eine große Auswahl an Seyfried Comics, nebst technischen Studien von Schiffen, Bauwerken und anderen Raritäten aus seinen „Schatzschubladen“, inklusive gemeinsamer Arbeiten mit Ziska Riemann. Will man sich das komplette Comic-Schaffen der Künstler betrachten, ist es unumgänglich, das bereits 2007 ebenfalls bei Zweitausendeins verlegte Werk „Seyfried & Ziska – Die Comics – Alle!“ anzuschaffen  (von Frank Becker in den Musenblättern besprochen).

Freakadellen und Bulletten

Doch machen Sie das bitte später und verfolgen hier erst noch einen kleinen Querschnitt durch

© 1979 Elefanten Press / Seyfried
Seyfrieds Schaffensperioden, die er selber mit viel Wortwitz; aber auch nachdenklichen und kritischen Untertönen in Ziskas Diktaphon spricht:Angefangen hat alles in München, bzw. Pasing. Seyfried fliegt von der Schule, arbeitet in einer Eiscremefabrik, in der schon kurz darauf sein zeichnerisches Talent genutzt wird und er Werbegraphiken für die Firma entwickelt. Die nicht aufgearbeitete braune Vergangenheit, rechte Gesinnung allerorten und ehemalige Nazis in hohen öffentlichen Ämtern sind Diskussionsthemen seines Umfeldes. Seyfried wird politisiert. Er schließt sich den Kriegsdienstgegnern an (den Ausdruck „Verweigerer“ gab es noch nicht) und nimmt an einer Demo im Olympiastadion Garmisch teil, wo Kriegsopfer mit einer Veranstaltung um mehr Rente fechten. Die tun das mit Worten, und am Rednerpult stehen stramme Veteranen. Seyfrieds Gruppe entrollt ein Transparent, mit dem die Forderungen unterstützt werden sollen, doch der Mann am Pult schreit durchs Stadion „da stehen die Vaterlandsverräter“ und im Nu geht die „große Hatz“ los. Seyfried wird schwer verletzt und letztenendes nur durch einen massiven Polizeieinsatz gerettet.
„Das sind nicht alle Schweine (die Bullen)“, sagt Seyfried, das habe er nie vergessen.
Und eben das sieht man auch seinen Comics an, die sich ja vielfach um den lächerlichen Kampf der Spaßguerilla gegen die Staatsmacht ranken. Beide Seiten sind ein bißchen kirre; aber beide auch immer sympathisch dargestellt.

"Blatt" - DKP - Rote Hilfe - 2. Juni - Rotbuch

Seyfried studiert an der Akademie für graphisches Gewerbe, fliegt auch dort raus, zeichnet für „Pardon“, wird ständiger Mitarbeiter des „Blatt“, der ersten Stadtzeitung für München und handelt sich dadurch Ärger mit der Staatsanwaltschaft ein.
Die Turbulenzen der siebziger Jahre politisieren die gesamte Republik. Seyfried wandert durch die linke Szene, mal bei der DKP, mal bei der „Roten Hilfe“. Die Bewegung „2. Juni“ steht ihm auch nahe. Fritz Teufel und andere Kommunarden zählen zu seinem Umfeld, spätere RAF-Mitglieder kommen hinzu. Es ist eine Zeit, in der Hausdurchsuchungen, Observationen und Abhöraktionen an der Tagesordnung sind. Es ist die Zeit, in der sich die Linke zersplittert, Radikale sich abspalten, militant werden, und es gibt erste Tote.

© 1978 Rotbuch Verlag

Schon vorher habe er nicht mehr mitgemacht, sagt Seyfried. Er und andere haben geredet, überlegt und letztenendes in der Militanz keinen Sinn gesehen. Zu dieser Zeit lebte Seyfried schon in Berlin, lernte dort Leute vom Rotbuch-Verlag kennen, die seine gesammelten Comics als Buch herausbrachten („Wo soll das alles enden“). In den USA arbeitete er bei den „Freak-Brothers“. Der grandiose Erfolg von „Freakadellen und Bulletten“ machte ihn endgültig zum Star der alternativen Szene. Aus seiner Feder entsprangen Poster, Postkarten, Wahlplakate für die Grünen, ein gemeinsames Projekt mit Ziska Riemann (Future Subjunkies), dem weitere folgten.
Ab 1999 weilte er für einige Zeit in Namibia, traf auf Spuren und Nachfahren der Kolonialzeit, recherchierte für ein historisches Sachbuch. Entstanden ist der Roman „Herero“.
Dann zog es ihn für Jahre in die Schweiz. Das „freie Kiffen“ hatte es ihm angetan. Mathias Bröckers, der „Hanfpapst“, veröffentlichte sein Standardwerk „Die Wiederentdeckung der Nutzpflanze Hanf“, beide zusammen „Hanf im Glück – Das hohe Lied vom hehren Hanf“. Seyfried widmete sich intensiv seinen Kiff-Cartoons und veröffentlichte die „Cannabis Collection“. Marihuana war für ihn Arbeitsgrundlage. Durch den Konsum erhöhe sich seine Konzentration und Produktivität, sagt er. Ich verstehe sowas nicht, es geht doch auch ohne Drogen. Mein Fläschchen Rotwein neben dem Schreibpult genügt mir vollauf.

Gelber Wind

Inzwischen lebt Seyfried wieder in Berlin. 2008 erschien sein dritter Roman „Gelber Wind – Der Aufstand der Boxer“,   von Robert Sernatini euphorisch in den „Musenblättern“ besprochen. 60 Jahre ist er nun geworden, der Gerhard Seyfried. Ein Ende seines Schaffens ist nicht absehbar. „Mein Ehrgeiz ist eigentlich, in Europa bekannt zu werden. International“, sagt er und falls wieder einmal das Angebot kommt, einen Trickfilm zu realisieren, werde er das diesmal auch nicht ablehnen – wir freuen uns, herzlichen Glückwunsch noch nachträglich zum Geburtstag.
Höre ich da jemanden sagen „so, das ist genug, mehr muß ich über Gerhard Seyfried nicht wissen“? „Aber ja doch!“, schleudere ich dem entgegen, „dieses Werk ist ein historisches Dokument, das in jeden anständigen Haushalt gehört.“
 
Gerhard Seyfried - Die Werke. Alle!
Herausgegeben von Ziska Riemann. Mit einem Vorwort von F.W. Bernstein
© 2008 Verlag Zweitausendeins, 1. Auflage, Oktober 2008,
594 meist farbige Bildseiten. Großformat 22x30 cm. Fadenheftung. Fester Einband
ISBN 978-3-86150-878-6, € 49,90
Weitere Informationen unter:
www.zweitausendeins.de

Redaktion: Frank Becker