Ein Totentanz
Moritz Rinkes zeitkritische Szenen „Café Umberto“ legen in der Wuppertaler Inszenierung von Thorsten Pitoll den Finger in die Wunde.
„Sie sind die Nr. 1“ – die Stimme vom Chip hat im Wartebereich des Arbeitsamtes einen weiteren Menschen ersetzt. Wie ein Stigma tragen die Arbeitslosen, die ihre Zeit dort im Café Umberto verbringen, die Nummer, welche sie aus dem Automaten gezogen haben, an ihrer Kleidung. Als sich der eiserne Vorhang hebt, wird das Publikum für Momente Teil des Geschehens, Regisseur Torsten Pitoll läßt das Licht im Saal an und die Zuschauer sich im Spiegel-Labyrinth der Bühne (Ausstattung Tilo Steffens) mit sitzen und warten sehen.
Wartezeit wird verlorene Zeit – und verlorenes Leben. Während Amtsleiterin Herzberg (grotesk: Ingeborg Wolff) im Automatisierungswahn gefangen ist: „Ich hab´s geschafft! Modernisierter geht´s nicht!“, quasi fleißig an dem Ast sägt, auf dem sie als letzte noch sitzt, zerbrechen um sie herum die überqualifizierten Arbeitslosen am Nichtstun oder an den würdelosen Tätigkeiten, die ihnen von der Automatenstimme aufgezwungen werden.
Moritz Rinke antwortet auf den Zynismus der „modernen“ Arbeitswelt und –vermittlung mit bitteren Wahrheiten. „Das geschieht alles nur, um uns die Würde zu nehmen“, hat Volker Anding wohl mal in Anlehnung an Friedrich Theodor Vischers „Auch einer“ gesagt, und genau so ist Rinkes Stück als Spiegel der Wirklichkeit aufzufassen. Unübersehbar sind dabei die kabarettistischen Ansätze und Überhöhungen, die in der bissigen Tradition der vor 50 Jahren gegründeten „Münchner Lach- und Schießgesellschaft“ stehen. Eine Valentinade, ein Kabinettstück leisen Humors liefert Thomas Birnstiel als Arbeit suchender Bauer August Kück.
Daß letztlich Tod und seelische Verwüstung die Folgen des herzlosen Umgangs mit Menschen sind, die ohne Schuld in das Niemandsland von Hartz IV gelangt sind - „Wir wollen keinen Strohhalm!“ - ist von bedrückender Logik. Wenn Freund Hein zur Musik von Stefan Leibold eine geisterhafte Polonaise durch die „Agentur für Arbeit“ (schon wieder so ein Zynismus) anführt, sind die fatalen Weichen des Totentanzes gestellt. Leibolds Musik begleitet geisterhaft Schlüsselmomente, während Pitoll eine Transparenz von Zeit und Raum schafft, in der sich die Figuren verlieren.
Umberto serviert in seinem Café schweigend Espresso, schreibt ohne Aussicht auf Bezahlung an und begleitet stumm die Schicksale. Hans Richter gibt diesen leisen Charakter brillant, mit minimalen, doch intensiv wirkenden Gesten und eindrucksvoller Mimik. Ohne Worte, mit delikater Zurückhaltung spielt er alles andere noch so Gute souverän an die Wand. Ein grober Schnitzer, ihn nach zweieinhalb Stunden Schweigen in der Schlußsequenz mit einem herrlich kitschigen Christusbild das „Amarilli mia bella“ Jakob von Eycks intonieren zu lassen. Damit haben Rinke/Pitoll sich einer Katharsis beraubt, die schweigend Gewicht gehabt hätte.
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![]() Café Umberto Szenen von Moritz Rinke Inszenierung - Thorsten Pitoll Ausstattung - Tilo Steffens Musik - Stefan Leybold Dramaturgie - Alexandra Jacob Licht - Fredy Deisenroth Maske - Barbara Junge-Dörr Fotos - Michael Hörnschemeyer Besetzung: Jaro - Frederik Leberle Jule - Maresa Lühle Lukas - Andreas Möckel Sonia Julia Wolff Anton - Andreas Ramstein Raule - Anja Barth Umberto - Hans Richter Herzberg - Ingeborg Wolff August Kück - Thomas Birnstiel Der junge Mann - Ulrich Brandhoff Karten unter Tel. 0202-569-4444 oder www.topticket-wuppertal.de |