Sprachlos komisch (2)

Bildergeschichten ohne Worte - von Adamson bis Ziggy -

von Joachim Klinger
Jocachim Klinger © Joachim Klinger
Sprachlos komisch (2)

Bildergeschichten ohne Worte
- von Adamson bis Ziggy -



Comics wollen erzählen. Sie dürfen sich nicht auf kritische Schlaglichter und erhellende Informationen beschränken. Die Erzählung setzt Personen und Handlungen voraus, die sich zu einem Fortsetzungszusammenhang ver­bünden. Was wird erzählt? Man kann auf bekannte Geschichten zurückgreifen, wie zum Beispiel überlieferte Rittersagen und Märchen. Man kann sich aber auch auf die menschliche Phantasie verlassen und Geschichten erfinden.
 
Viele glauben, sie seien es dem Phänomen Comics schuldig, seine Herkunft zu deuten. Bemühte Historiker verweisen auf Beispiele der Höhlenmalerei, ägyptische Hieroglyphen, griechische Vasenbilder, Darstellungen zum Le­bensweg von Jesus Christus usw..
Im Grunde besagen und belegen diese Abhandlungen nichts anderes als die schlichte Tatsache, daß der Mensch immer bemüht war, sichtbar zu ma­chen, was ihn bewegt, Geschichten zu erzählen, seien es Erlebnisse oder Visionen. Er hat aber auch - und das zeigen schon Beispiele aus dem Alter­tum - die Neigung, sich über Verhältnisse lustig zu machen und Personen zu verspotten. Die Wesensmerkmale des Menschen haben sich zu keiner Zeit entscheidend geändert. Seine Ausdrucksmittel haben allerdings manche rasante Entwicklung durchgemacht.
 
Wir brauchen also keinen langen kunstgeschichtlichen Exkurs zur Geschich­te der Comics. Interessant ist es aber schon, einen Blick auf die unmittel­baren Vorläufer zu werfen, ohne die Geburtsstunde der Comics festlegen zu wollen. Denn der Streit um die Erstgeburt ist müßig, und es gibt keinen "Vater" der Comics.
 Als Vorläufer der im 20. Jahrhundert gängigen Comics dürfen gelten:
die Engländer William Hogarth (1697 - 1764),
Thomas Rowlandson (1756 - 1827),
James Gillray (1757 - 1815),
George Cruikshank (1792 - 1878),
der Schweizer Rodolphe Toepffer (1799 - 1846),
der Deutsche Wilhelm Busch (1832 - 1908),
der Franzose Georges Colomb (1856- 1945),
der Deutschamerikaner Rudolph Dirks (1877 - 1968).
 
Die Bildergeschichten dieser Künstler vereinigten wie selbstverständlich Zeichnungen und Texte. Während sich Rowlandson und Busch beispielswei­se auf gereimte Bildunterschriften oder auf Begleitgedichte konzentrier­ten, benutzte James Gillray bereits die später so charakteristischen Sprechblasen. Die Wort-Bildsymbiose schien lange Zeit unabdingbar zu sein. Die Bildergeschichte blieb damit in der Nähe der illustrierten Er­zählung und entfaltete dabei doch ihre eigene Kraft und Eigenart.
Daß nicht jede Karikatur, nicht jeder Cartoon einer Textbeigabe zur Er­leichterung oder Vertiefung des Verständnisses bedarf, ist wohl immer be­kannt gewesen. Die Idee kann sehr wohl allein durch das Bild zu uns sprechen. Ein Tatbestand kann so allgemein bekannt sein, daß einzig die "Bildaussage" ge­nügt. In der Regel "lebt" ein Bild ja ohne Text, allenfalls tritt eine Unter­schrift, der Bildtitel, hinzu.
Karikaturisten und Cartoonisten begriffen, daß sie unter Umständen ohne Wort auskommen können. Die Botschaft wird durch die Linie übermittelt, sie ist das Bild.
Wann erstmals Bildergeschichten ohne Wort erschienen, ist unbekannt. Klar ist, daß nur relativ kurze Bildergeschichten ohne ein Wort auskom­men. Aber vielleicht gab es gerade insoweit ein Bedürfnis, das die wortlose Bildergeschichte begünstigte: das Bedürfnis, dem durch Textspalten ermü­deten Auge eine kleine Ruhepause zu gönnen und dem durch das Lesen über­anstrengten Geist die Gelegenheit zur Entspannung zu bieten.
Wer auch immer dieses Bedürfnis erkannt haben mag, er hatte Recht. Nun galt es freilich, dieses Bedürfnis zu spezifizieren, um ihm gerecht werden zu können.
 
Auch kurze Geschichten bedürfen einer handelnden Person, des "Helden". Da der erfolgreiche Held auf Dauer langweilig wird, denn man kann sich kaum mit ihm identifizieren, bietet sich der Versager und Tollpatsch als "negativer" Held an. Ihm muß man sympathische Seiten abgewinnen können. Seine "Heldentaten" bestehen aus Fehlschlägen, die den Betrachter amü­sieren. Man sieht zu gern, wenn einem anderen etwas mißlingt. Zum einen ist man glücklicherweise nicht betroffen, zum anderen gewinnt man ein Stückchen Überlegenheit: "Mir wäre das nicht passiert!"
Kurze Geschichten in Bildern beanspruchen wenig Raum. Es findet sich alle­mal ein Plätzchen für sie, zum Beispiel am unteren Rand eines Zeitungsblat­tes. Da man sie wegen des Entspannungseffekts öfter, ja sogar regelmäßig einsetzen möchte, braucht man die Kontinuität, also eine Folge von Comics. Der "Held" muß zur tragenden Figur werden. Das setzt auch ein äußeres Erscheinungsbild voraus, das anspricht und auffällt. Die Figur muß leicht wieder zu erkennen sein, und man muß ihr gern wieder begegnen wollen. So etwa sahen die Überlegungen von Verlegern und Redakteuren aus, die ihren Kunden, den Lesern ihrer Zeitungen und Zeitschriften, ein "Bonbon" bieten wollten. Alles andere war Sache professioneller Zeichner. "Alles an­dere" - damit werden wir uns an Hand von Beispielen im Detail beschäftigen.
 
Bevor wir uns den wortlosen Gesellen zuwenden, wollen wir doch kurz das vielgestaltige Panorama aufleuchten lassen, das im 19. / 20. Jahrhundert Karikaturen, Cartoons, Comics, Informationsbilder für Kinder und Jugendli­che, Märchendarstellungen u.a.m. präsentierte. Das geht auf Bilderbögen und illustrierte Zeitschriften zurück, zum Beispiel
 die "Meggendorfer Blätter" (1889 - 1929),
die "Fliegenden Blätter" (1844 - 1944),
den "Kladderadatsch" (1848 - 1944),
den "Simplicissimus" (1896 - 1944).
 In Frankreich bieten die satirischen Zeitschriften "La Caricature" und "Charivari" bedeutenden Karikaturisten wie Daumier und Grandville im 19. Jahrhundert ein Forum. In England beschäftigt ab 1841 das politisch­satirische Wochenblatt "Punch" zahlreiche Zeichner von Rang.
 
Die Fülle der Comic-Figuren läßt sich durch Beispiele veranschaulichen, etwa die Kategorie der "Lausbuben":
"Yellow Kid", ab 1895 von Richard Outcault in den USA,
"Buster Brown", ab 1902 von demselben,
"die Katzenjammer Kids" von Rudolph Dirks in den USA 1897 in der Nach­folge von "Max und Moritz" des deutschen Meisters Wilhelm Busch (1865).
Vor diesem Hintergrund muß man die Entwicklung wortloser Bilderge­schichten sehen. Regelmäßige Comics mit leicht wiedererkennbaren Typen la­gen im Trend. Kurt Kusenberg berichtet, im Jahre 1920 habe der Chefre­dakteur einer schwedischen Sonntagszeitung den Zeichner Jacobsson (1889 - 1945) gebeten: "Machen Sie eine Serie Zeichnungen von einem Mann!" Der Zeichner begriff sofort, was von ihm verlangt wurde. Er erfand Adamson, den die meisten Leser kennen werden und dessen meisterliche Beschreibung wir gleichfalls Kurt Kusenberg verdanken:
"Der Mann war klein und trug zum Ausgleich einen großen hohen Hut, wie Menzel. Er hatte ein Schimpansengesicht: Radieschenna­se über breitem Mund und auf der Glatze genau drei Haare, wie Bismarck (in der Karikatur). Er rauchte unablässig Zigarren, wie Churchill, und hieß Adamson, Sohn Adams, zum Zeichen dafür, daß er ein ganz beliebiger Mann sei, ein Jedermann."
Das ist eine Häufung komischer Attribute und garantiert den Wiederer­kennungseffekt. Ob dieses Ziel nicht auch mit weitaus sparsameren Mittel erreicht werden kann?
 
Das Besondere an den Bildergeschichten mit Adamson ist das Fehlen von Sprechblasen oder

© 1954 Rowohlt Taschenbuch Verlag - rororo108
Textleisten, die mit Worten den Handlungsablauf be­gleiten und verdeutlichen. Leider gibt es vereinzelte Ausnahmen, bei denen einige Sprechblasen - übrigens unnötigerweise - eingeführt werden. Adamsons Mund bleibt meist geschlossen, und wenn er ihn aufreißt, dann nur zu einem stummen Schrei oder Fluch.
Adamson tritt uns also als Pantomime entgegen, und das verlangt aus­drucksstarke Mimik und Gestik, vor allem aber Charakter. Angesichts eines Mißerfolgs wirft Adamson nicht die Arme hoch und brüllt (natürlich lautlos). Gewöhnlich verharrt er mit düsterer Miene und gibt gro­ße Rauchwolken von sich (falls ihm die Zigarre verblieben ist). Hier zeigt sich, daß Jacobsson ein guter Psychologe ist. Adamson ist ein permanenter Verlierer, und wer lacht da nicht aus "Schadenfreude"?
 
Adamson erlebt sein Mißgeschick meist mit stoischer Ruhe, fassungslos, auch verbittert, denn die Unglücksfälle häufen sich, sind geradezu die Re­gel. Seine Augen werden groß und starr, auf der Stirn erscheinen tiefe Fal­ten. Er steht regungslos da, ein schwermütiges Fragezeichen angesichts eines unfreundlichen, oft als unabwendbar erscheinenden Schicksals. Entlü­de Adamson seinen Zorn, seine Verzweiflung, gäbe er heftige Emotionen preis, dann würde sich der Betrachter rascher anderen Dingen zuwenden.
Die geballte Stummheit aber fesselt ihn, und er forscht noch eine Weile in dem kleinen verdüsterten Gesicht nach Wirkungen und Regungen. Es zeugt von der hohen Begabung des Zeichners, daß er seine Zuschauer einen Au­genblick über das Ende der Geschichte hinaus festhalten kann.
Kurt Kusenberg hat in seinem Vorwort zu 66 Bildergeschichten von Oscar Jacobsson (1956) den von Pannen und Niederlagen geprägten Kampf des kleinen Adamson mit seiner Umwelt so trefflich beschrieben, daß er hier noch einmal zitiert werden soll:
"In Adamsons Abenteuern spielt die Tücke des Objekts eine gro­ße Rolle, wenn nicht gar die Hauptrolle. Flinten entladen sich zur Unzeit oder explodieren, Kragenknöpfe entschwinden spurlos, Briefmarken kleben prinzipiell nicht. Was irgendwie fallen kann, fällt, und was zerbrechlich ist, zerbricht, bisweilen sogar Unzer­brechliches."


Literatur: Oscar Jacobsson "Adamson"
- 51 Bildgeschichten, 1954 Rowohlt Taschenbuch Verlag

© Joachim Klinger - Erstveröffentlichung in den Musenblättern 2008
Folgen Sie nächsten Sonntag weiter dem Vater der Geschichten von "Julle und Vatz" bei seinen Betrachtungen über Bildergeschichten, Comics und Cartoons.

Redaktion: Frank Becker