Wolfgang Neuss...

...starb heute vor 20 Jahren

von Frank Becker

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..aba jetz´ fangen wa jleich an!
 

Dieses Zitat und vieles andere Typische aus dem unvergeßlichen und unerschöpflichen kabarettistisch-literarischen Schatz von Wolfgang Neuss (1923-1989) und - kaum zu trennen - seinem alter ego und zugleich Antipoden Wolfgang Müller (1922-1960) fällt immer, wenn die beiden Namen genannt werden.




Neuss Deutschland


Wolfgang Neuss, der heute vor 20 Jahren starb, war auch ohne Zähne immer noch so bissig wie in seinen "besten Tagen". Er war nie angepaßt, auch wenn er mit Partner Müller ohne künstlerische Bedenken in Kommerz-Unternehmungen wie "Das Wirtshaus im Spessart", "Wir Wunderkinder", "Rosen für den Staatsanwalt" oder  "Als geheilt entlassen" mitgewirkt hat. Er und sein Humor blieben autark, unverwechselbar und angriffslustig. Dabei war er von einer Souveränität, wie sie nach ihm nur wenige erreicht haben. Mit Wolfgang Müller verband ihn ab 1949 eine künstlerische Partnerschaft, die ans Zwillingstum grenzte. In seinen guten Zeiten machte er als Sportwagenfahrer, Frauenheld, Tennis Borussia-Kicker und Vorzeige-Berliner eine blendende Wirtschaftswunder-Figur. Umso tiefer war der Fall nach Wolfgang Müllers Tod, der 1960 durch den tragischen Absturz seiner Sportmaschine während eines Flugunterrichts ums Leben kam. Wolfgang Neuss, der unter dem Verlust des Freundes sehr gelitten hat, konnte dennoch nach einer kreativen Pause an die früheren Duo-Erfolge mit vielen Solo-Programmen anknüpfen - wenn auch nicht mehr mit der eleganten Heiterkeit, der die Arbeit mit dem Freund und alter ego ausgezeichnet hatte. Als "Mann mit der Pauke" tourte er erfolgreich durch Deutschland (West), bekam in Berlin "Asyl im Domizil" und
verscheißerte mit seiner Zeitschrift "Neuss Deutschland
- Organ des Zentralkomikerteams der Satirischen Einheitspartei Deutschlands" gekonnt die Machthaber in Deutschland (Ost). Er wurde bekannt als einer, der kein Blatt vor den Mund nahm, der den "Halstuch"-Mörder an die Bild-Zeitung verriet, der sich mit allem und jedem anlegte. Es folgten "Neuss Testament" und "Das jüngste Gerücht". Durch seine Parteinahme für die APO während der 1968er Studentenunruhen und seinen Drogenkonsum allerdings schoß er sich selbst ins Aus. Es wurde nie etwas aus der bürgerlichen Existenz und dem "Häuschen mit Garten", das er im "Wirtshaus im Spessart" mit Müller besungen hatte.

Vorsätzlich unbekannt

Danach schaffte er abermals etwas, was kein anderer Künstler vor ihm je versucht und mit Vorsatz geschafft hätte: er beschloß, unbekannt zu werden. Einst Lieblingskind des deutschen Kabaretts, Ex-"Bonbonniere", Ex-"Stachelschwein", Ex-"Scheibenwischer"-Fernsehkabarattist und Darsteller in 54 erfolgreichen Spielfilmen zog er sich nach einem mißlungenen Intermezzo in Chile in eine Mietwohnung in Berlin-Charlottenburg zurück, bezog Sozialhilfe und sich den Kopf mit Gras und Cannabis zu. Die Tür seiner Wohnung war von außen angekokelt, er war mißtrauisch gegen Fremde und bat als Honorar für ein Interview lediglich um ein Bröckchen Haschisch: "Wenn se ma wat haben, schicken se´t mir mitta Post. Adresse hamse ja."  Ein paar kabarettistische Reanimationsversuche wie ein singulärer Stachelschweine-Auftritt 1973, stets von außen an ihn herangetragen, überstand er mit Bravour und Witz, aber ohne eigene Überzeugung. Sein gemeinsamer Auftritt mit dem designierten Bundespräsidenten "Richie" von Weizsäcker 1983 ("Auf deutschem Boden darf nie wieder ein Joint ausgehen") in der SFB-Talkshow von Wolfgang Menge und Gisela Marx ist legendär geworden. Wolfgang Neuss starb am 5. Mai 1989 einsam, krank und nahezu vergessen. Auf dem Waldfriedhof in Berlin-Zehlendorf liegt er neben dem Freund Wolfgang Müller begraben. Damals wie heute vermissen seine Fans, aber auch viele, die ihm früher zwiespältig gegenüberstanden die Großschnauze, den konstruktiven Querulanten aus Berlin (eigentlich ja aus Breslau, aber wie sagte Dieter Hildebrandt einmal so treffend: "Die besten Berliner kommen aus Breslau."). Einen wie ihn wird es nicht wieder geben. Ersetzen konnte ihn nie einer.


© Stechapfel Verlag, Berlin
Archiv Musenblätter

Literatur:

Volker Kühn, "Der totale Neuss" - Gesammelte Werke, 956 Seiten, 1997 Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins

Gaston Salvatore, "Ein faltenreiches Kind" - Die Geschichte des Mannes mit der Pauke, 447 Seiten, 1974 S. Fischer

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