„Ottos Mops…“
oder
„Sein Jahrhundert war ihm Züchtigung“
Dichterleben: Ernst Jandel 1925-2000
Biographie von Hans Haider
Das Übersichtlichste an dieser Biographie ist ihr Inhaltsverzeichnis, anhand dessen man das Leben dieses Sprechdichters noch am besten nachvollziehen kann. Der Text der Biographie gefällt sich darin, zu schildern, wann er wo sich mit wem getroffen hat, und wer aus aller Welt von Prag, Edinburgh, London, Stuttgart, Köln Berlin bis nach Rio de Janeiro und Bielefeld(! Kolloquium „Neue Poesie“) dabei war. Das geht weit über eine Biographie hinaus und selbst als aufmerksamer Leser ist es nicht einfach, den Zeitstrahl des Dichterlebens zu verfolgen, bei Unzahl von Begegnungen und Einzelaspekten die Orientierung zu behalten. Er wird zeitweise resignieren, das Buch mal weglegen und hoffen, daß Prokrastination die Lektüre erleichtert. 600 Seiten sind zu bewältigen. Ob die Literaturwissenschaft all diese Informationen nutzen wird?
Die Schwierigkeit, eine Biografie zu schreiben, kannte Jandl. Er wußte, „daß niemals er schreiben werde seine autobiographie“, Hans Haider aber, Freund und Gesprächspartner seit 1972, schreckte vor der Aufgabe nicht zurück. Die Vielzahl des zusammengetragenen Materials ist beeindruckend und entspricht der Produktivität des „experimentellen Poeten“, der rund 2500 Werke veröffentlicht hat. Biographisch unklar bleibt in dieser Darstellung, ob Ernst als 17jähriger tatsächlich die zweite Frau seines Vaters geschwängert hat. Klar wird, wie stark er als Kind von seiner religiösen Mutter Luise geprägt worden ist, die immer gebetet hatte, mit Rosenkranz, auch für ihn, als er mit sieben Jahren gefährlich an Masern erkrankt war, die manches geschrieben und gedichtet hatte, bis sie 1940 verstarb. Ihr hat er mit mit „Laut und Luise“, seinem ersten Gedichtband, 1966 ein Denkmal gesetzt und wurde selbst auf eigenen Wunsch mit Rosenkranz in den Händen beerdigt. Vom Onanieren hat sie ihn allerdings nicht abhalten können, obwohl das eine Todsünde ist, wie „seine Mutter ihm erklärt hat ehe man sie begraben hat“.
Seine konkrete Poesie, seine sinnfreien Experimente mit Buchstaben, sein Spiel mit Wörtern und Texten, frei von Situationen, Gefühlen, frei jeden Inhalts sind per se Sprachkunstwerke und in der Literaturgeschichte nicht völlig neu. Christian Morgenstern hatte „Fisches Nachtgesang“ schon 1905 veröffentlicht. Die Jandlsche Dichtkunst entwickelt ihren Charme wie Musik erst im Vortrag. Das berühmte Gedicht „schtzngrmm“ etwa entspricht fast Konzeptkunst oder auch einem Notenblatt, vor allem wenn Jandl prononciert mit Crescendo und Decrescendo, mit Agogik den Klang dieser Dichtung ins Ohr spricht. „Flüsternd, säuselnd, sprudelnd, zischelnd, rappelnd spricht er seine Gedichte, mit staunenerregender Präzision noch die stolprigsten Konsonantenfolgen meisternd, die oos und aas röhrend wie ein Ochs, die aus Dampschifftutentiefe hervorbrummend – unheimlich fidel und unvergeßlich eindrucksvoll“ wird Segebrecht zitiert. Recht hatte er. Und Ernst Jandl hatte Humor: Sein “lechts und rinks…, Fünfter sein…, Ottos Mops…„ die Passionsgeschichte mit den 12 Z-Wörtern (März-Herz, Holz-stolz, Sturz-kurz ….) das alles ist urkomisch und begeistert auch Kinder, obwohl er das Jugendbuch für einen Kommerzartikel hielt. Das Interesse Jandls an der Musik, bzw am Jazz wird ausgiebig thematisiert. Das umgekehrte z.B György Ligetis an konkreter Poesie nicht. Über die Beziehungen seiner Poesie zur Kunst der Schizophrenen kam Jandl mit Leo Navratil („Schizophrenie und Kunst“) ins Gespräch, der glaubte, daß seine psychiatrischen Patienten besonders frei, „weit entfernt von jeder sprachlichen und poetischen Norm“ mit Sprache umgehen.
Mit Hölderlin fühlte sich Janl geistig verwand, dessen „Jahrhundert-Züchtigung“ er als Motto vor alle seine Dichtung gestellt hat, was auch immer sie bedeutet. Zu seiner Paraphrase („Trost“) über Hölderlins Gedicht „An Neuffer“ schrieb Ernst Jandl dann ergänzend: „Der richtige Dichter, der Nur-Dichter, der nur Gedichte schreibt, ist das scheußlichste Tier, das es gibt.“ Selbstanalyse? Friederike Mayröcker war sicher nicht dieser Auffassung, sonst hätten die beiden es nicht jahrzehntelang miteinander ausgehalten. Außerdem hielt sie Arno Schmidt, Hölderlin und Ernst Jandl für die größten Dichter.
Dessen Erfolge stellten sich nicht sofort ein Immerhin 1965 kamen 5000 Zuhörer zu ihm in die Royal Albert Hall 1965. Auch die Aufnahme in die Berliner Akademie der Künste mit allen ihren Verbindungen war ein großer Erfolg. Siegfried Lenz wurde damals nicht aufgenommen. Zwischen 1969 un 1996 erhielt er 21 Literaturpreise vom Georg-Büchner-Preis und dem Kleist-Preis bis zum Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor.Neben den Gedichten sind seine Hörspiele und Bühnenwerke heutzutage weniger bekannt. Als Bühnenautor läßt er Texte an stumme Schauspieler kleben ( „Feucht Euch des kLebens“!), die dann mit ihren Bewegungen eher an Marionetten erinnern. Wer noch mehr oder sogar alles über diesen phantasievollen „Sprachingenieur“ wissen will, wird sich dieses Werk antun müssen, dessen umfangreiches Literaturverzeichnis 24 Seiten) gar zu weiteren Studien anregt. Das sehr große Personenregister (21 Seiten) erleichtert die Orientierung in dieser Geschichte der konkreten Poesie in der 2.Hälfte des 20. Jahrhunderts. Hans Haider – „Ernst Jandl 1925–2000“
Eine konkrete Biographie.
© 2023 J.B. Metzler, 600 Seiten, gebunden Buch, 20 Abbildungen - ISBN: 9783662666388
29,99 €
Weitere Informationen: www.metzlerverlag.de
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