Dauersuff und Schwadroneure

Alfred Komarek - "Narrenwinter"

von Frank Becker
Dauersuff und Schwadroneure

Vorgestern hat man in den deutschen Karnevalshochburgen den Hoppeditz auferstehen lassen, will sagen, die Karnevalssession eröffnet oder: die fünfte Jahreszeit eingeläutet. Da paßt Alfred Komareks dritter Roman um den sinnsuchenden Journalisten Daniel Käfer wie angemessen. Der geistert wie zu erwarten ein weiteres Mal durchs Salzkammergut. Ausreichend Andeutungen und Stoff zum Anknüpfen hatte sein Autor Alfred Komarek ja mit dem Ende des vorigen Daniel Käfer-Romans "Die Schattenuhr" im virtuellen Raum stehengelassen. Der entlassene Chefredakteur des einstigen Intelligenzblattes "IQ" kehrt also abermals zurück zu den Stätten seiner Kindheit und stürzt sich in noch kompliziertere menschliche und zwischenmenschliche Verwicklungen als bisher. Als Vehikel dient Komarek dafür das etwas düstere archaische Faschingstreiben im Salzkammergut.

Komarek schafft, noch dicker aufgetragen als bisher, eine Welt voller Originale, weit ab von jeder Realität - und doch steht diese, zumindest in Bezug auf seine eigenen Regionalliteraturen über das Salzkammergut und das Ausseerland, auffällig-unauffällig stets im Hintergrund. Exkurse über FHO (Fritz von Herzmanovsky-Orlando) lassen beinahe vermuten, daß da bald ein Buch über diesen brillanten k.u.k.-österreichischen Autor folgen könnte. Im übrigen aber werden bekannte (wie Eustach Schiller, die hübsche Anna und Maria Schlömmer) und neue (Bruno Puntigam, die Eheleute Köberl und Henning Mertens) Protagonisten und viele Nebenfiguren vorgeführt, die eine wie die andere eloquente, belesene Plauderer von kaum noch zu ertragender ironischer Witzigkeit sind. Die sprudeln unentwegt kunstvoll gedrechselt in sich überhöhenden Dialogen, jeder belehrt ständig jeden gestelzt und gewunden und es werden eins ums andere Mal auf einen Schelmen anderthalbe gesetzt. Ich zitiere den intriganten Bruno Puntigam auf Seite 104: "Wenn ein Bruno Puntigam Regie führt, hagelt es Pointen". So ist es. Und nicht nur ein bißchen zu dick. Ein "Kabinett des Kuriosen,  Sammelsurium des Sonderbaren, Bilderbogen des Bizarren" (der Residenzverlag über die dramatis personae des FHO) im Sinne Herzmanovsky-Orlandos kann Komarek dennoch nicht schaffen.

Sie sehen schon, liebe Leser, was in Komareks erstem Daniel Käfer-Roman "Die Villen der Frau Hürsch" noch so unterhaltsam war, ist ins Überfrachtete ausgeufert und hat sich totgelaufen. Es hagelt einfach zu viele Pointen. Eustach Schillers Weltschmerz, Daniel Käfers Todessehnsucht gleich neben der wiedererwachten Liebe zu Freundin Sabine, angedeutete erotische Abenteuer und sexuelle Übergriffe, kunstvoll aufgebaute Rätselfiguren, die dann wie ein falsch behandeltes Soufflé zusammenfallen und ständige halbwissenschaftliche Abhandlungen über die Geschichte der Faschingsbräuche im Salzkammergut ermüden eher, als daß sie noch fesseln. Daß nahezu sämtliche Figuren (die Damen eingeschlossen) sich nicht nur unentwegt schwadronierend sondern auch fast im Dauersuff durch den Roman bewegen, tut fast körperlich weh.

Aber es gibt auch immer wieder großartige Passagen, die Komareks literarische Klasse erkennen lassen: "Sabine schlief noch, als Käfer schon in den Faschingsbriefen las. Er hatte am vergangenen Abend nur mäßig getrunken, trotzdem nahm er den neuen Tag mit einer gewissen Unverbindlichkeit wahr. Er fühlte sich wohl in dieser zögernden Morgendämmerung, Niemandszeit, dem Diktat des Alltags entzogen". Allein um solche Perlen zu entdecken - und es gibt derer einige - lohnt es, sich durch den Roman zu quälen.

Beispielbild


Alfred Komarek
Narrenwinter

Roman

© 2006 Haymon Verlag
© 2008 Diogenes Verlag

265 Seiten, Broschur, detebe 23720
8,90 €

Weitere Informationen unter:
www.diogenes.ch