Ein Bündnis verwandter Geister

Julia Fischer und Jan Lisiecki mit Beethoven, Schubert, Schumann

von Johannes Vesper

Rober Schumannn-Denkmal, Düsseldorf
Foto © Johannes Vesper
Ein Bündnis verwandter Geister
 
Julia Fischer (Violine und Klavier) - Jan Lisiecki (Klavier)
 
Klavierfestival Ruhr 2023, 24.06.2023
Historische Stadthalle Wuppertal, Großer Saal
 
Ludwig van Beethoven (1770-1827): Sonate für Violine und Klavier Nr. 3 in Es-Dur op. 12/3
Franz Schubert 1799-1827): Fantasie in f-Moll für Klavier zu vier Händen D 940 op. 103
Robert Schumann (1809-1856): Sonate für Violine und Klavier Nr. 2 in d-Moll op. 121
 
Zu Beginn dieses außerordentlichen Konzertes mit Julia Fischer und Jan Lisiecki gab es Beethovens frühe Sonate in Es-Dur op.12/3. Der Einfluß Mozarts ist noch deutlich spürbar. Überrascht schon die zupackende Virtuosität des lebendigen ersten Allegros con spirito, so läßt das Adagio con molta espressione doch schon das „Unbestimmte Sehnen“ bzw. die „unendliche Sehnsucht“ der Romantik (E.T.A. Hoffmann) erahnen. Bei subtilem Pianissimo beider Künstler hätte man die berühmte Stecknadel immer wieder fallen hören. Wenn leise die Arpeggien des Klaviers unter seelenvoller Violine (Giovanni Battista Guadagnin (1742)). perlen, kurze Einwürfe dynamischer Schläge rhythmisch überraschen, zeigen sich schon die Brüche der Romantik. Da ist nicht nur eitel Sonnenschein. Tänzerisch kontrapunktisch, zuletzt mit einer Fuge geht dieses herrliche Jugendwerk des großen Beethoven zu Ende. Das Publikum war trotz gelegentlich zu lautem Klavier begeistert und spendete Sonderapplaus schon nach dem ersten Satz.
 
„Der eine läßt sich vom andere inspirieren und wir präsentieren etwas anderes, frisches, wobei jeder von uns seine eigene Perspektive auf ein bestimmtes Werk einbringt“ hat Jan Lisiecki begeistert das gemeinsame Musizieren mit Julia Fischer beschrieben. Die beiden sind weltbekannt, spielen regelmäßig als Solisten mit den großen Orchestern unter berühmten Dirigenten, beide sind sie enthusiastischer Kammermusiker, spielen in Kammermusikensembles verschiedener Zusammensetzung, sind jedoch als Klavierduo zusammen noch nicht aufgetreten (auch nicht als Violinduo!). So gibt es heute also eine Premiere und zwar mit der Fantasie für Klavier zu vier Händen in f-Moll von Franz Schubert aus seinem Todesjahr 1828. Er hat sie der 20jährigen Karoline von Esterhazy gewidmet. Auf dem Schloß ihrer Eltern hatte er ihr schon als 6jähriger Klavierunterricht gegeben und sich bei seinem zweiten Aufenthalt dort (1824) beim vierhändigen Klavierspiel wohl in sie verliebt. Dabei kommen sich die Hände näher, aber für engere Intimitäten war die gesellschaftliche Kluft zu groß. Wer weiß? Er hat das Stück jedenfalls nicht der schönen Peki Pöckelhofer, dem sehr attraktiven Zimmermädchen auf Schloß Esterhazy gewidmet, obwohl er mit ihr gleichzeitig eine Affäre gehabt zu haben scheint. Bessere Tage, in denen er „gelebt und komponiert hat wie ein Gott“, mögen ihm beim Komponieren also durch den Kopf gegangen sein. Die Fantasie beginnt aber über gebrochenen f-Moll Akkorden mit zweifach punktierter und Vorschlag versehener Quart aufwärts. Quart und Rhythmus tauchen immer wieder auf. Kurze Einschübe in Dur vermögen die durchgehend melancholische Grundstimmung jeweils nur sehr kurz aufzuhellen. Am 09. Mai 1828 hat Schubert (mit Lachner) erstmalig diese „neue wunderbare, vierhändige Phantasie“ seinem Freunde Bauernfeind vorgespielt. Weitere Zuhörer gab es nicht. Die vier Sätze gehen bei wechselnden Tonarten ohne Pause ineinander über (wie bei der berühmten Wanderer-Fantasie). Technisch völlig einwandfrei lotete das Solistenpaar die „schmerzlich-schöne“ Stimmung aus, wobei mit vollem Körpereinsatz im gewaltig sinfonischen Fortissimo die klanglichen Grenzen des Steinway erreicht wurden und Franz Liszt noch Anregungen hätte bekommen können. Nach orchestraler Entwicklung im letzten Satz inklusive Orgelpunkts, Fuge und Generalpause schloß sich der Kreis wieder mit der melancholisch aufsteigenden Quarte des Anfangs. Nach großem Applaus wurde das Publikum in die Pause entlassen und der Flügel erstmal nachgestimmt.
 

Julia Fischer und Jan Lisiecki - Foto © Christian Palm

Mit der breit angelegten Sonate (Dauer gut 30 Minuten), die in strahlendem Dur endet, hat sich Robert Schumann Ende 1851 wohl von einer reaktiven depressiven Phase nach erstem Streit mit den Düsseldorfern befreit, die ihm später immerhin ein Denkmal gesetzt haben.
Innerhalb von zwei Wochen hatte er sie komponiert Die öffentliche Uraufführung fand erst am 29.10.1853 mit Clara Schumann und Joseph Joachim (s.u.) in Düsseldorf statt. Gewidmet ist sie Ferdinand David, Konzertmeister des Gewandhausorchesters, einem seiner engsten Freunde. Dessen Name hat Schumann in dieser Sonate mit dem Thema d-a-f-d verewigt, welches gleich in den herben, kurzen, energischen Akkordschlägen der langsamen Einleitung vorgestellt wird. Bald aber saust der Satz mit großen dynamischen Gegensätzen synkopisch, höchst virtuos und kraftvoll los, gelegentlich unterbrochen von dem delikat-zarten lyrischen Seitenthema. Immer wird das markante d-a-f-d Thema in Kombination mit kurzem unruhigem Sechzehntelmotiv umgedreht, gespiegelt. Der sehr lebhafte Stakkato-Ritt (flotter Dreier) des 2. Satzes in h-Moll wird durch den Mittelteil „im Volkston“ nur vorübergehend aufgelockert. Wunderbar klangen die hier Mittelstimmen des Klavierparts. Ein musikalischer Höhepunkt war der „leise, einfache“ 3. Satz mit dem im Pizzicato über ruhigen Klavierakkorden choral- jedenfalls liedartigem Variationsthema. Die ruhigen Doppelgriffe der Geige werden aber immer wieder gestört durch heftige, rhythmisch straffe Explosionen des Klaviers, die erst gegen Ende ihre Intensität verlieren. Die musikalisch-kontemplative Ruhe wird endlich von plötzlich einsetzenden synkopischen Sechzehntelwogen des schnellen letzten Satzes beendet. Ein derbes Marschmotiv bietet Struktur. „Bewegt“ überschrieben, atmete diese Kammermusik der Sonderklasse in ihren Gegensätzen und intensivem wie makellosem Zusammenspiel den Geist des Schumannschen Schelmenpaares („des wilden Florestan und des milden Eusebius“).
 

Julia Fischer und Jan Lisiecki - Foto © Christian Palm

Nach inzwischen stürmischem Applaus mit stehenden Ovationen, Pfiffen, Bravi und Blumen bedankten sich die beiden – wahrhaft ein „Bündnis verwandter Geister“ - mit dem furiosem Scherzo von Johannes Brahms aus der F-A-E Sonate, die er als 20jähriger gemeinsam mit den Freunden Robert Schumann und dem Komponisten Albert Dietrich (1829-1908) für Joseph Joachim 1853 komponiert hatte.