Laufsteg Frühling

von Detlef Färber

Detlef Färber - Foto © Silvio Kison
Laufsteg Frühling
 
Wie ich das hasse, wenn Leute rumjammern: Männer noch dazu! Und nur, weil's mal irgendwo zieht oder drückt: einfach schlimm! Bei mir ist es - wo wir schon drüber reden - der Hals. Nicht innen drin, sondern außen: Es ist wie eine Blockade. Auf einmal kann ich den Kopf nicht mehr drehen. Keinen Zentimeter! Wäre alles halb so schlimm, wenn wir November hätten. Aber ausgerechnet jetzt! Jetzt, wenn das gegnerische Geschlecht auf leichten Sommerzwirn umdekoriert. Was sollen die Frauen von mir denken?
       Zum Beispiel diese tapfer fröstelnde Schöne, die mir hier im hauchdünnen Kleidchen entgegenkommt. Ach was, entgegenkommt - entgegenschwebt auf dem Laufsteg des Frühlings. So, als ob sie von jeder Schwerkraft befreit wäre. Dabei ist sie durchaus mit Gewichten gesegnet - mit gut verteilten Gewichten. Und keine Mühe und kein Opfer hat diese Frühlingskönigin gescheut: Husten und Schnupfen und die kreuzgefáhrliche Zugluft im Nacken hat sie riskiert, nur um nur wegen nur aus nur Natur! Mit ihrer kaum verhüllten Präsenz beschämt sie sogar die noch gänzlich unbegrünte Außenwelt. Und belebt sie. Unfaßbar, wie!
       Wenn das keinen Blick wert ist! Aber was macht der ungehobelte Kerl, der Idiot, der Stiesel, der dieser Zauberfee hier in meiner kümmerlichen Gestalt entgegenkomrnt? Nichts, rein gar nichts! Der hat noch nicht mal so viel Anstand, den Kopf nach ihr umzudrehen! Nach ihr, der frühesten Frühblüherin im Sommerkleid: eine Frechheit! Oder - so muß sich die Frau nun fragen: Liegt diese Mißachtung etwa an ihr? Ist ihr Kleid schon aus der Mode? Oder, schlimmer noch, sie selber - wenn ihr im Vorübergehen nicht mal einer nachschaut. Und wenn hinter ihr noch nicht mal der - geschmacklich so umstrittene - Maurerpfiff ertönt. Gibt's keine Höflichkeit mehr?
       Ja, das alles wird sie, das alles muß sie denken, während sie längst schon an mir vorbeigerauscht ist. Ach, fremde Schöne, wenn du wüßtest, wie schmerzhaft ich soeben - beim bloßen Versuch, dir nachzusehen - das Nachsehen hatte! Doch du weißt es nicht. Aber vielleicht erfährst du es ja, wenn ich dich an dieser Stelle um Nachsicht bitte: Pardon, Madame, es war nur eine momentane Verklemmung.
Und hoffentlich bloß am Hals.
 
 
© Detlef Färber