Gemeinschaftsaufgabe

Deutschlands Kinder lesen zu schlecht

von Lothar Leuschen​

Foto © Anna Schwartz
Gemeinschaftsaufgabe
 
Deutschlands Kinder lesen zu schlecht
 
Von Lothar Leuschen
 
Das Ergebnis ist alarmierend. Es ist bedrohlicher als die Resultate der Pisa-Studien vergangener Jahre. Dabei ging es vor allem um Naturwissenschaften, die bei Deutschlands Schülerinnen und Schülern viel zu oft viel zu großes Kopfzerbrechen auslösten. Die neue Untersuchung ist verglichen damit ein Schlag ins Kontor. Diesmal attestieren Wissenschaftler den Viertklässlern der Republik schwere Mängel in der Lesekompetenz. Das ist deswegen dramatisch, weil Lesen die Basis allen Lernens ist. Das lässt für die Zukunft des Industrie- und Exportlandes Deutschland Schlimmstes befürchten.
 
Die Ursachen für die Ergebnisse der internationalen Lesestudie sind auf den ersten Blick schnell ausgemacht. Die Grundschulen sind vielerorts überfüllt und schlecht ausgestattet. Die Sprachkompetenz viel zu vieler Erstklässler reicht zum Start der Bildungskarriere schon nicht aus, dem Unterrichtsinhalt zu folgen. Dass in Ludwigshafen zuletzt 40 Mädchen und Jungen die 1. Klasse wiederholen mussten, spricht Bände. Und noch so viele Lehrerinnen und Lehrer können das nicht ändern. Wenn Schülerinnen und Schüler nicht auf Lernen vorbereitet sind, dann sind Hopfen und Malz verloren.
 
Dass die Leseerfolge seit 2016 kontinuierlich zurückgehen, ist mit großer Wahrscheinlichkeit auch darin begründet, dass Schulen Flüchtlingskinder integrieren müssen, die aufgrund von Sprachbarrieren und Traumata viel mehr brauchen als Lehrerinnen und Lehrer ihnen in Klassenverbänden geben können. Auch Corona wird dazu beigetragen haben, dass die Leseleistungen schwächer geworden sind. Für alles können aber weder die Flüchtlingskinder noch die Pandemie herhalten. Lesen ist eine Kompetenz, die in früheren Familiengenerationen Kindern von ihren Eltern vermittelt worden ist. Aber in Zeiten der digitalen Dauerbeschallung, der Bilderfluten in sozialen Medienkanälen und durch notwendigerweise veränderte Familienstrukturen ist das anders. Was daraus folgt, zeigt die Lesestudie. Was aus ihr folgen muss, ist eine gemeinsame Anstrengung von Staat und Gesellschaft. Sonst verliert Deutschland erst seine Kinder und dann seinen Wohlstand.
 
 
Der Kommentar erschienen am 17. Mai 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.