Ein bewundernswerter Film

„Das Lehrerzimmerr“ von Ilker Çatak

von Renate Wagner

Das Lehrerzimmer
Deutschland 2022
(Deutscher Filmpreis 2023)

Regie: Ilker Çatak
Mit: Leonie Benesch, Eva Löbau, Leonard Stettnisch u.a.
 
Das waren noch Zeiten, als man bei „Schule“ an die „Feuerzangenbowle“ dachte oder an die „Lümmel von der letzten Bank“, die einen skurrilen Lehrer wie Theo Lingen bestenfalls neckten. Man kann auch die Zeitläufte daran ablesen, wie sich die Themen – parallel zur Wirklichkeit – im Kino spiegeln. Filme, die das Thema „Schule“ behandeln, sind seit langem ausschließlich Psycho-Horror-Streifen über den Kampf, den hilflose Lehrer gegen aggressive Schüler führen – wenn sich beide Seiten (Lehrer und Schüler) nicht auch gegen einander (Schüler gegen Schüler, Lehrer gegen Lehrer) wenden. Die Variationen sind grenzenlos.
 
„Das Lehrerzimmer“ von Regisseur Ilker Çatak erzählt nun eine sehr zeitgemäße, weil auf die opportunistische „politische Korrektheit“, die menschliche Unkorrektheit ist, abzielende Geschichte. Wo die Schule genau steht, in der die junge Mathematik- und Sportlehrerin Carla Nowak erst kürzlich angeheuert hat, wird nicht gesagt, aber wohl ziemlich im Osten. Die Kollegen sprechen sie auf ihren Namen an – ja, die Eltern kamen aus Danzig. Ein anderer Lehrer will unbedingt Polnisch mit ihr sprechen, sie lehnt das freundlich ab. Ein Hauch von Distanz ist zu spüren, ob Fremdenfeindlichkeit, ob Unsicherheit, ob sich die „Neue“ brav ins System fügen wird, ist zu spüren.
 
Man muß gleich von Hauptdarstellerin Leonie Benesch sprechen, denn die „Heldengeschichte“ (im besten Sinn), die da folgt, ist nur durch ihre Leistung möglich. Es gibt die 32jährige schon länger auf der Leinwand, aber noch nie in einer so exponierten Leistung, wo gewissermaßen alles von ihr abhängt. Sie muß den geraden Weg gehen, während sich alle um sie auf die übelste Weise verbiegen. Eine Frau, die man als Vorbild bewundert – und nicht weiß, ob man so stark wäre wie sie.
Ausgangspunkt der Geschichte sind Gelddiebstähle in der Schule, was ja immer wieder einmal vorkommt. Die Lehrer versuchen auf übelste Weise, die Schüler dazu zu bringen, einander anzuschwärzen. Daß ausgerechnet ein ausländischer Junge in Verdacht gerät, ist vielleicht des Drehbuchs (Regisseur Ilker Çatak und Johannes Duncker) einzige billige Spekulation, die Ausländer-Keule zu schwingen (zumal die Eltern sich empört wehren, daß ihr Sohn einzig aus diesen Gründen verdächtigt wird). Carla Nowak hat hingegen Schritte ergriffen, den Dieb zu fangen, mit einer Kamera auf ihrem Laptop. Und kann beweisen, daß eine altbewährte Mitarbeiterin der Schule (Eva Löbau) die Täterin war.
 
Sie würde den Fall klein halten, untereinander regeln, aber die allseitige Empörung puscht ihn auf – und natürlich richtet sich die Abneigung aller gegen sie, die sie es gewagt hat, den Täter aus der Gemeinschaft zu outen.
Nun allerdings schwenkt die Problematik auf eine zweite Ebene, die ebenso ergreifend ist wie Carlas Schicksal. Die vorläufig suspendierte Mitarbeiterin hat einen Sohn an der Schule, Oskar (Leonard Stettnisch), der sich heftig gegen die Beschuldigung seiner Mutter wehrt. Und während alle Lehrer nun dieses Kind schnellstens los werden wollen, ist Carla (die ihre „Schuld“ an seinen Problemen sieht) die einzige, die sich um diesen verzweifelten, verstockten, wütend für die Mutter kämpfenden Jungen bemüht…

Wie perfide es im „Lehrerzimmer“ zugeht, ist die weitere Ebene des vielschichtigen Films, der die Hetzer und die schweigenden Duckmäuser und die „politisch korrekten“ Rechthaber zeigt – und man mag niemanden. Dabei tappt der Regisseur kaum je in die Falle der künstlichen Betroffenheit, sondern macht immer die Ehrlichkeit seiner Heldin glaubhaft. Und man weiß auch, daß sie einen aussichtslosen Kampf kämpft. Und bewundert sie umso mehr. Und den Film gleich mit.
 
 
Renate Wagner