Die investigative Kunst Martin Schepers´

„Wir verdunsten“ Rücksichtsloser Bergbau und Wassermangel als Folge der Transformation

von Johannes Vesper

Völlig mittellos dastehen / Estar uno a dos velas, 2023 - Stoff, Emaillefarbe, Mosaikstein, Fotografie, Salz auf Metall - 29,4 x 74,5 cm - Foto: Jens Ziehe

Die investigative Kunst Martin Schepers´
 
„Wir verdunsten“ Rücksichtsloser Bergbau und Wassermangel als Folge der Transformation
 
Wer im lieblichen Kraichgau Gemüse anbauen oder die Kinder im Garten spielen lassen will, tut gut daran, bei der unteren Bodenbehörde die Schwermetallbelastung des Bodens zu recherchieren. Beim mittelalterlichen Bergbau dort wurden auf den Wiesen neben den Bachläufen giftige Schlackenhalden gelagert. Wegen Umweltschäden infolge der Ausbeutung der Erde lieferten sich erst kürzlich Demonstranten und Polizei heftige Kämpfe auf Straßen und an Abbruchkanten (Hambacher Forst, Lützerath). Die Probleme bei der Gewinnung von Erdöl, Erdgas, Gold, Kobalt, Kohle, Uran, auch Lithium sind seit der 1. Weltumweltkonferenz der UN (1972 in Schweden) weltweit Thema. Elektromobilität kann zur Rettung des Weltklimas beitragen, glaubt man heute. Dafür werden Batterien en masse benötigt und für deren Produktion u.a. Lithium. Das Abwälzen von Lasten, Kosten und Schäden infolge Lithiumabbaus weg von hier auf weit entfernte Regionen („Externalisierung“) ohne Rücksicht auf die indigene Bevölkerung und die induzierte Landschaftszerstörung dort ist das Thema Martin Schepers´.
 
„Die Methoden der Energiegewinnung sind für mich eine Metapher für künstlerisches Forschen oder auch für menschliches Handeln, für Formen des gemeinsamen Erinnerns und Verdrängens“ sagte er im Gespräch.
Folgen des Antropozäns - der Begriff wurde 2016 geprägt - hat Martin Schepers schon 2010 in den Braunkohlegebieten der Niederlausitz fotografiert und gezeichnet. Jetzt hat er über den wenig hinterfragten Lithiumabbau in der Atacama-Wüste künstlerisch gearbeitet. Sie erstreckt sich über ca. 1200 km entlang der Pazifikküste Nordchiles. Schepers hat die Region besucht, wobei er auf Unterstützung seitens auch deutscher Lithiumkonzerne nicht bauen konnte. In dieser Wüste, einem der trockensten Orte unserer Erde, verdunstet in großen, eigens dazu angelegten Becken industriell aus der Erde gepumpte Salzlauge und aus dem Rückstand wird Lithium gewonnen. Außerdem benötigt man zusätzlich Brauchwasser für die Reinigung von Maschinen und den industriellen Verarbeitungsprozeß des Lithiumschlamms. In der Folge sinkt der Grundwasserspiegel, der einzigen verläßlichen Wasserressource auch dort. Martin Schepers hat bei seinem Besuch dieser im Hinblick auf die Temperaturen wirklich höllischen Region die Angst der indigenen Anwohner vor zunehmendem Wassermangel und deren Gefährdung persönlich mitbekommen und erfahren.
 

Einmal-Kamera Aktion: Anonymer Beitrag von einem Mitarbeiter der chilenische Lithiumproduktion - Agua es vida, 2023 - Öl und Emaillefarbe auf Leinwand - 40 x 30 cm

Zur dokumentarischen Erfassung der Verhältnisse hat er Einmalkameras an Anwohner und Arbeiter vor Ort aber auch an Mitarbeiter deutscher Forschungseinrichtungen, die mit Lithium arbeiten, mit der Bitte ausgegeben, ihre Perspektive aufzunehmen. Der Rücklauf ergab eine große Zahl von Fotos, auf denen Lithiumbecken, Transportwege, Halden und die Zerstörung der Landschaft zu sehen ist. „Das Projekt war nur möglich in Kollaboration mit dem chilenischen Anthropologen Mauricio Lara Martinez. Er hat mich auf meiner Reise durch den Norden Chiles begleitet. Dank seiner Kontakte kam ich mit den Menschen dort ins Gespräch. So ist ein einzigartiges Archiv verschiedener Perspektiven des Lithiumabbaus und seiner Erforschung entstanden. Chilenische und deutsche Aspekte, technische wie ökologische Prozesse habe ich dann künstlerisch miteinander verbunden“ erläuterte er im Gespräch. „Ich habe Zeichenpapiere und Leinwände wochenlang in Salzwasser gelegt, und in Analogie zu den Witterungsprozessen in der Atacama-Wüste verdunsten lassen“.
 

Giftreife, 2022 - 16 zusammenhängende Papierbögen, Stoff, Garn, Tusche, Graphit, Salz-Alaun auf Papier, 280 x 400 cm

Die Verdunstungsbecken der Wüste färben sich je nach Lithiumgehalt verschiedenen. Schepers gibt bei seinen Werken statt Lithium eine Mischung aus Öl- und Emaillefarben in das Wasser, welches sich entsprechend den durch Verdunstungsprozess bedingten Strukturveränderungen verteilt. Oder er greift auf 280 x 400 cm z.B. den Wasserkreislauf in der Atacama-Wüste mit Anden auf, zeigt im Querschnitt durch den Wüstenboden die Salzlakenkammern, aus denen abgepumpt wird. Mit blauen Pfeilen und wird der Wasserkreislauf der Region wie in einem Lehrbuch schematisch angedeutet. „Giftreife“ heißt das Werk. Ein anderes (siehe Abb. 1) scheint in Mischtechnik ein Gebäude zu zeigen, dessen Art nicht näher bestimmt werden kann.
Kann solch ästhetische Kunst einen moralischen Kompaß bieten? Können wir, weil nach Langzeitausbeutung der Erde jetzt hier Klimaneutralität politisches Ziel ist, Wassermangel und zerstörerischer Bergbau über 12000 km rücksichtslos exportieren und neue Probleme skrupellos in Kauf nehmen?
 
Wassermangel auch in Deutschland ist längst offensichtlich und bedrohlich. Die Probleme sind riesig und investigative Kunst, das zeigt diese Ausstellung, will und kann die wichtige öffentliche Diskussion über Energiewende, die große ökologische Transformation (Uwe Schneidewind) und deren Gefährdung u.a. durch Klimaschutzlobby beleben. Mit seinen Werken befindet sich der Künstler Martin Schepers in bester Tradition (siehe z. B. auch Sebastiao Salgado).
Martin Schepers stammt aus Westfalen, studierte Bildende Kunst und Philosophie in Münster und Düsseldorf, stellte aus in Berlin, Köln, Düsseldorf Wien, Antwerpen, Los Angeles und New York, arbeitete als Bühnenbildner und erhielt mehrfach wichtige Stipendien (u.a. vom Centre internation d`a rt et du paysage, von der Kunststiftung NRW für einen Recherche-Aufenthalt in China und 2021 für den in Chile). Seit 2022 ist er Professor für Kunstpraxis mit dem Schwerpunkt Malerei und Grafik an der Universität Gießen.
 
 „Im Lithium Dreieck – Wir verdunsten“, die Ausstellung Martin Schepers´ ist im DG Kunstraum Diskurs Gegenwart, München, bis 11. Mai zu sehen und anschließend in Bochum (Situation Kunst, Kunstsammlungen der Ruhr-Universität Bochum) 27. Mai bis 7. Juli 2023.