Genie, Casanova, Ritter Blaubart?

Rose-Maria Gropp – „Göttinnen und Fußabstreifer – Die Frauen und Picasso“

von Johannes Vesper

Pablo Picasso:
Genie, Casanova, Ritter Blaubart?
 
Pablo Picasso (1881-1973) gilt als Prototyp des modernen Künstlers, als einer derjenigen, die um 1900 die Moderne in der Kunst erfunden haben. Seitdem geht es in der Malerei nicht mehr darum, die Welt abzubilden. Die Kunst beschäftigt sich mit sich selbst, und der Künstler damit, was mit ihr zu machen ist. Picasso bleibt bis auf wenige Ausnahmen merkwürdig unpolitisch. „Guernica“ ist neben dem „Beinhaus“ wahrscheinlich sein bedeutendstes politisches Werk, die „Friedenstaube“ sein bekanntestes. Zwar hat er Stalin gezeichnet und ihm zum Geburtstag gratuliert, aber eigentlich war er vor allem „ein Maler der Frauen, lebenslang“.
 
Damit beginnt Rose-Maria Gropp ihr Buch über Picassos Frauen. Deren Herkunft, Leben, Denken und Fühlen hat sie ergründet und dargestellt, wie Picasso auf sie eingewirkt, was er aus ihnen gemacht hat. Ihre Herkunft, ihr Charakter, ihre Kreativität und Widerständigkeit, ihre Persönlichkeit auch jenseits von Picasso ist das Thema. Welches Interesse hätten heutige Leser an seinen Frauen, wären sie von ihm nicht geliebt worden? Und was wäre Picasso ohne diese Frauen? Jedenfalls hat er sie alle gemalt, porträtiert. Bis zu 80 mal haben sie dafür Modell gesessen! Waren Picassos Frauen Assistenzfiguren, Musen, wie die von Simone de Beauvoir: „Die Muse schafft nichts aus sich selbst, sie ist eine gefügig gemachte und zur Dienerin eines Herrn gewordene Sibylle“? Heute protestieren Frauen gegen den „Frauen-Aggressor“. Wie einst eine feministische Kunstgeschichte Picasso sehen wird, bleibt abzuwarten. War er im Grunde ein malerisch genialer Casanova (116 Frauen in dessen Memoiren)? Für Picasso gab es zwei Kategorien von Frauen: „Göttinnen und Fußabstreifer“. Das hat er tatsächlich gesagt. Picasso war zweimal verheiratet, hatte mehr als 30 Geliebte, Modelle, Künstlerinnen Tänzerinnen, Schauspielerinnen, Kunstkritikerinnen, etliche gleichzeitig und hat sie alle porträtiert und geliebt. Darüber hinaus hat er Frauen nach älteren Vorbildern (Cranach, Velazques) gemalt. Von den Frauen, die offiziell sein Leben teilten, nahmen sich zwei das Leben, zwei wurden depressiv. Der Faszination des attraktiven Pablo kann sich die Autorin selbst kaum entziehen, wenn sie von der beeindruckenden Kraft der Erstkontakte des Malers mit seinen „Gespielinnen“ und seiner Ausstrahlung auf Frauen schreibt.
 
Seine erste Freundin, Fernande Olivier, lernte er 1904 kennen im Bateau-Lavoir, einem Ateliergebäude am Abhang des Montmartre. In der ehemaligen Klavierfabrik hatten seit 1889 zunächst Anarchisten, später auch Maler heruntergekommene, verlotterte, kleine Räume, die als Atelier dienten, bezogen. Die neue Freiheit der Kunst, eigentlich gegen die traditionelle, akademische Malerei gerichtet, entwickelte sich in diesem „autonomen“ Zentrum zwischen Prostitution und Promiskuität. Dort erfand Picasso seine blaue, seine rosa Periode, erfaßte die Traurigkeit und Trostlosigkeit des damaligen Pariser Nachtlebens und malte 1907 seine „Demoiselles d`Avignon“, eines der wichtigsten Bilder der modernen Malerei, mit dem sich der Kubismus als neue Stilrichtung ankündigte. Von da an wird Picasso seine Fernande wie auch alle folgenden Frauen malerisch, „kubistisch“ in einer Mischung aus Demontage und Destruktion zerlegen und zerstückeln. Rose-Marie Gropp schreibt, Picasso habe Fernande wie alle folgenden (bis auf eine!) „verschlissen“, „der Priorität seiner artistischen Konsequenz geopfert“. Was meint die Autorin damit? Hat sie die kubistisch-analytische Zerlegung von Gemälden vor Augen? Oder denkt sie an die psychische Belastung der Frauen durch sicher schwer zu ertragende, parallele Lieb- und Leidenschaften in einem aktuell- eheähnlichen Verhältnis zu dem sadistischen Ritter Blaubart bzw. misogynen Macho? Erstaunlich bleibt, wie diese Frauen trotz ihrer Ambivalenz doch von ihm fasziniert waren und ihr Leben lang geblieben sind. Auch Fernande wird ihn trotz seiner Ungepflegtheit ihr Leben lang lieben, obwohl sie unter „olfaktorischen Gesichtspunkten“ seine körperliche Nähe Überwindung gekostet hat. Die Beziehung endete 1912. Seine Sexualität mit sado-masochistischer Vorlieben (?), wird Marie-Therese Walter (Nr. 6) zitiert, war schockierend frei von jedem Tabu, habe sie aber auch zum Lachen gebracht und ihr jedenfalls „vollkommen erfüllende Erfahrungen“ verschafft. Ist sein extrem komplexes und doch wohl vor allem erotisch-emotionales Verhältnis zu Frauen Ausdruck moderner Zeit? Ist das gelebter Surrealismus, den er dann auf die Leinwand gebannt hat? Die Kunst existiert jedenfalls unabhängig vom Künstler. Dem Ruhm der Malerei des Mörders Caravaggio hat dessen Untat jedenfalls nicht geschadet
 
Tatsächlich hat Françoise Gilot (40 Jahre jünger als Picasso) als einzige der elf im Buch behandelten Frauen ihm Widerstand geboten und sich nach sieben Jahren Zusammenlebens mit gemeinsamen Kindern aktiv von ihm getrennt. Sie ist trotz Picasso künstlerisch ihren eigenen Weg gegangen. Ihre Werke wurden von amerikanischen Museen gekauft. Sie hat bis zum 90. Lebensjahr rund 1500 Gemälde und mehr als 3000 Zeichnungen geschaffen.
Und wie sah Picasso sich selbst? Zeit seines Lebens liebte er nicht nur Frauen, sondern auch Stiere und ihre Kämpfe, zeichnete sich selbst gerne als Minotaurus (halb Mensch halb Stier), mit dessen Brutalität, Dominanz und Erotik er sich vielleicht am ehesten identifizieren mochte. Ist die Zahl seiner Frauen noch überschaubar, so ist es sein Werk nur schwer. Das Werkverzeichnis von Christian Zervos (33 Bände) enthält ca. 16.000 Abbildungen. Man spricht von 1885 Gemälden, 7089 Zeichnungen, 19.134 Grafiken, 3222 Keramiken, 1228 Skulpturen, 175 Skizzenbüchern und rund 7000 Vorzeichnungen. Mit allem signierten Drucken, Teppichen ist gar von rund 50.000 Werken die Rede.
 
Wer sich mit Pablo Picasso unterhaltsam beschäftigen will, dem sind „die Frauen um Picasso“ zu empfehlen. Bei der Lektüre erfährt man viel aus dem Umfeld dieses großen Malers, und das umfangreiche Literaturverzeichnis lädt zu weiterer Beschäftigung ein.
 
Rose-Maria Gropp – „Göttinnen und Fußabstreifer – Die Frauen und Picasso“
© 2023 Piper-Verlag, 2. Auflage, 288 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, mit 30 Farb- und Schwarz-Weiß Abbildungen – ISBN:
24,- €
 
Weitere Informationen: www.piper.de/