Sommerstunden des Lebens (14)

Tagebuchblätter und Skizzen

von Gisela von Baum
Sommerstunden des Lebens


Coraidelstein, im März

Wir fahren abends dem Meere zu und geraten auf eine schnurgerade Straße durch Wald, Kiefern, Fichten, zuweilen Buchen, aber meist Kiefern, weit auseinander stehend. - Es ist dämmerig und kühl. - Aus dem Wald kommen wir nicht mehr vor Nacht, es ist ein Hexenwald, der sicherlich neben uns mitläuft, wenn wir nicht genau hinsehen. Bauen wir also das Zelt vom Weg ab, mitten hinein ins Grüne! - Als die Morgensonne und weckt, heißa, da ist es blau und violett, unser Zelt, von all den Waldbeeren, die wir im Dunkeln nicht merh bemerkt haben. Schnell füllen wir unsere Kochgeschirre, eine Büchse Milch wird darüber gegossen, und das Schmausen beginnt. -

Auf dem bunten Markt kaufen wir eine Riesentüte blauer Trauben, nehmen unser Malgerät und
steigen in der Frühe in die Berge oberhalb des nächsten Ortes. - Ein Ausblick von einem Weinbergsweg über Olivenhänge aufs blaugrüne Meer hat es uns angetan, wir setzen uns auf ein Mäuerchen zur Arbeit. - Doch es locken die grünen Trauben mit ihrem Goldglanz um uns herum, wir legen den Pinsel hin, holen uns riesengroße. - Fpr den Fall, daß jemand käme, stellen wir die Tüte mit den blauen, gekauften offen zwischen uns. -

Als wir wieder in unsere Arbeit vertieft sind, kommt ein Mann daher; mißtrauisch mustert er uns, geht an uns vorbei, dreht um. Als ihm klar wird, daß wir Trauben zwischen uns liegen haben (die gekauften), schwadroniert er wild auf uns ein, während eruns mit kleinen schwarzen Augen anfunkelt. - Bis ich begreife, was er will, vergeht einige Zeit. - Es ist ein Weinbergswärter, der annimmt, wir hätten die blauen Trauben in seinen Weinbergen gestohlen, und Strafgeld verlangt. - Ich bin empört, beleidigt, tief gekränkt, und es gelingt mir, ihn von unserer Unschuld zu überzeugen, da ringsum nur grüne wachsen und die Tüte wohl dazu gehört. Er besteht schließlich nur darauf, daß wir den Wein­berg sofort verlassen. ­-

Vielleicht glaubt er, jetzt würden wir auf die Idee kommen, die grünen zu versuchen, nachdem er uns darauf aufmerksam gemacht hat. - Wir müssen unter seinen strengen Augen packen und ab­ziehen; alles Bitten hilft nichts. Auch unsere unfertigen Bilder können ihn nicht umstimmen, er bleibt unerbittlich und gänzlich ohne Kunstverständnis. - Die Sonne steht mittlerweile recht hoch, die vielen Trauben im Bauch kluckern beim Abstieg. Wir müssen schleunigst in einem Café am Kai einen Espresso trinken und eine ziemlich fragwürdige Retirata aufsuchen. -

Unsere blauen Trauben schleppen wir mit zum nächsten Motiv auf einem Steg überm Wasser. - Es wird Abend darüber. – Ob es der Anblick des Wassers unter uns ist, der so wenig durstig macht, oder das unangenehme Poltern in unsern Därmen uns warnt, wir schaffen sie nicht mehr ganz, so landen die letzten der blauen, etwas zerfallenen Beeren in Poseidons grünen Armen und tanzen auf den Wellen, locken die Fische, nach ihnen zu schnappen.



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Der Merkur-Verlag existiert nicht mehr. Die Autorin ist nicht zu ermitteln. Wir haben alle zur Verfügung stehenden Quellen befragt und konnten doch niemanden finden, der uns hätte Auskunft geben können. Sollten Sie einen Hinweis auf die Autorin oder Rechteinhaber für uns haben, bitten wir um Nachricht. Illustrationen: Gisela von Baum