Zu viel der Ehre

Deutschlands höchster Orden für Merkel

von Lothar Leuschen​

Foto © Anna Schwartz
Zu viel der Ehre
 
Deutschlands höchster Orden für Merkel
 
Von Lothar Leuschen
 
Im Nachhinein ist es leicht, klüger zu sein. Im Nachhinein hätte auch Angela Merkel so manche Entscheidungen ihrer Kanzlerschaft vermutlich anders getroffen. Hinterher ist jeder schlauer. Deshalb ist es auch höchstens wohlfeil, mindestens aber Populismus, jetzt darauf zu verweisen, daß Deutschland sich niemals so abhängig hätte machen dürfen vom Gas aus Rußland.​
Denn es drängt sich die Frage auf, wer wohl den Finger dafür gehoben hätte, deutlich teureres Gas zu kaufen auf Kosten von Wirtschaft und Verbrauchern. Solche Vorwürfe taugen nicht, die Verleihung des höchsten Ordens der Bundesrepublik an Angela Merkel zu kritisieren. Dennoch wäre weniger mehr gewesen, hätte es sogar Sinn gehabt, in Zeiten wie diesen auf den glamourösen Akt zu verzichten.​
 
Natürlich verdient Merkel Anerkennung. Ihre Kanzlerschaft kennzeichnet einen Zeitraum, in dem Deutschland sich gedeihlich entwickelte. Die Wirtschaft wuchs, die meisten Einkommen wuchsen mit, Deutschland genoß durch seine Kanzlerin Ansehen in der Welt. Denn Merkel war eine Krisenmanagerin, wie der Globus sie heute dringend nötig hätte.​
Verläßlich in ihren Aussagen, beharrlich in Verhandlungen, jeder wußte, was er von Deutschland zu erwarten hatte und was nicht. So war es, als Merkel den Atomausstieg beschloß, so war es, als sie die Grenzen für Flüchtlinge öffnete,  so war es, als sie die Spargroschen der Deutschen für sicher erklärte.​
 
Doch die Auszeichnung hat jetzt einen faden Beigeschmack. Der wird nicht allein dadurch verursacht, dass der heutige Bundespräsident mit dem Orden an Merkel womöglich auch seine eigene Arbeit als Außenminister unter der Kanzlerin adelt. Schwerer wiegen die Folgen dessen, was Merkel in 16 Jahren Kanzlerschaft versäumt hat.​
Deutschland ist ein Fall für die Intensivstation. Das betrifft die Infrastruktur ebenso wie das Rentensystem, wie Zuwanderung, Integration und Demografie. Deshalb ist ein Orden, wie er bisher nur Konrad Adenauer für seine Westintegration der Bundesrepublik und Helmut Kohl für seine Europapolitik verliehen worden ist, für Angela Merkel ein bißchen zu viel der Ehre.​
 
 
Der Kommentar erschienen am 18. April 2023 in der Westdeutschen Zeitung.
Übernahme des Textes mit freundlicher Erlaubnis des Autors.